Ubuntu 10.04 im Test [Update]

Zwei wesentliche Neuerungen springen bei Lucid Lynx ins Auge: die grundlegend veränderte Optik und die Integration zahlreicher Internet-Dienste in den Desktop.

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Ubuntu 10.04 (8 Bilder)

Ambience, das neue Standard-Theme von Ubuntu, verwendet invertierte Menüs.

Alle zwei Jahre veröffentlichen die Ubuntu-Entwickler eine Version mit Long Term Support (LTS), deren Fokus weniger auf neuer Technik als auf Stabilität und Bedienerfreundlichkeit liegt. Ubuntu 10.04 (Lucid Lynx, zu deutsch leuchtender Luchs) ist eine solche LTS-Version mit Langzeit-Support: Ubuntu-Sponsor Canonical garantiert für die Desktop-Version drei, für die Server-Variante fünf Jahre Support und Updates.

Wie üblich ist Ubuntu als Live-CD erhältlich, mit der man die Linux-Distribution testen und bei Gefallen auf der Festplatte installieren kann. Upgrades im laufenden Betrieb sind möglich von der Vorversion 9.10 sowie von der letzten LTS-Version 8.04-- wenn die Aktualisierungsverwaltung das Upgrade nicht von selbst anbietet, muss man sie einmal mit update-manager -d von Hand aus der Kommandozeile starten.

Beim Start von der CD zeigt Ubuntu 10.04 nicht mehr das gewohnte Startmenü an, in dem sich Sprache und Bootoptionen einstellen lassen, sondern bootet direkt durch bis zum Desktop -- hier kann der Anwender dann die Sprache einstellen und entscheiden, ob er Ubuntu im Live-Betrieb von CD testen oder gleich auf der Platte installieren möchte. Offenbar sind die Ubuntu-Macher mittlerweile von der Qualität ihrer automatischen Hardwareerkennung so sehr überzeugt, dass sie Boot-Hacks wie acpi=off nicht mehr für nötig halten; und tatsächlich hat der leuchtende Luchs auf keinem unserer Testrechner gezickt. Wenn Ihre Erfolgsquote nicht so hoch ist: Ein Druck auf die Esc-Taste, bevor das Ubuntu-Logo erscheint, bringt das alte Startmenü mit seinen Einstellmöglichkeiten auf den Schirm.

Installation von Ubuntu 10.04 (9 Bilder)

Ubuntu 10.04 startet ohne Bootmenü direkt durch – ein Druck auf Escape an dieser Stelle bringt das Menü mit seinen Einstellungsmöglichkeiten wieder auf den Schirm.

Schon der erste Blick auf den leuchtenden Luchs zeigt die größten Veränderungen gegenüber der Vorversion 9.10: Die Optik hat sich grundlegend geändert. Bislang erkannte man Ubuntu an den Brauntönen, die seit der ersten Version 4.10 (Warty Warthog) den Standard-Desktop beherrschen. Das dafür verantwortliche Human-Theme wird standardmäßig nicht einmal mehr installiert, der neue Default nennt sich Ambience und ist gleich in zweierlei Hinsicht gewöhnungsbedürftig: invertierte Menüs und Panels mit weißer Schrift auf dunklem Grund sowie nach links verlagerte Buttons zur Fensterkontrolle.

Radiance, die hellere Variante der neuen Optik.

Beides lässt sich aber ändern: Wer die neue Optik grundätzlich mag, sich aber (beispielsweise aus so kleinlichen Gründen wie Ergonomie) an den dunklen Menüs stört, stellt unter "Erscheinungsbild" (zu finden unter "Einstellungen" im System-Menü) auf Radiance um -- schon werden die Menüs, wie anderer Text auch, in schwarzer Schrift auf hellem Grund dargestellt.

[Update] Die Fensterknöpfe erfordern ein bisschen mehr Handarbeit: In dem Tool gconf-editor öffnet man im Baum "apps" die Einstellungen für den Fenstermanager Metacity und ändert dort unter "general" das "button_layout" auf :minimize,maximize,close. Mit der Zeile

menu:minimize,maximize,close

erhält man auch das vetraute Icon für das Fenster-Menü in der linken oberen Ecke zurück. Das Menü öffnet sich in Ubuntu 10.04 allerdings auch, wenn man mit der rechten Maustaste auf den Titelbalken klickt oder die übliche Tastenkombination Alt+Leertaste verwendet. [/Update]

Hinter der neuen Optik steckt aber mehr als nur ein neues Theme für den Desktop: Ubuntu-Sponsor Canonical möchte die Marke Ubuntu neu positionieren. "Linux für Menschen", lautete der Ubuntu-Slogan, als das Projekt 2004 startete. Gemeint war damit: eine Linux-Distribution für jedermann und -frau, nicht nur für Geeks und Hacker, mit einer Community, in der auch ganz normale Anwender und Linux-Anfänger willkommen sind. Dieser Community-Gedanke hat sich jetzt als Zusammenarbeit und Freiheit konkretisiert, ergänzt durch die Werte Präzision (bei der Entwicklung) und Zuverlässigkeit (der Software).

Ubuntu-Optik – von 2004 bis heute (13 Bilder)

Ubuntu 4.10

Mit Ubuntu 4.10 "Warty Warthog" nahm der Siegeszug von Ubuntu seinen Anfang.

Die Stoßrichtung ist deutlich: Ubuntu soll auch in Unternehmen als Konkurrenz zu Red Hat und Suse Linux wahrgenommen werden. Canonicals neuer COO Matt Asay soll die Beziehungen zu Hardware- und Softwareherstellern verbessern und dafür sorgen, dass OEMs Rechner vorinstalliert mit Ubuntu anbieten und ISVs ihre Anwendungen für Ubuntu zertifzieren. Erste Erfolge gibt es bereits zu vermelden: Dell will auf seinen Poweredge-C-Blades neben Suse Linux und Red Hat Linux zukünftig auch Ubuntu 10.04 anbieten. Schon jetzt liefert das Unternehmen ausgewählte Notebooks, Workstations und Server mit vorinstalliertem Ubuntu Linux.

Technisch hat sich gegenüber der Vorversion vergleichsweise wenig getan. Das neue Dateisystem Ext4 etwa und der Bootmanager Grub2 wurden mit Ubuntu 9.10 zum Standard. Der Umstieg auf Kernel-based Mode-Switching, der im letzten Jahr einen grundlegenden Umbau des Grafiksystems von Linux mit sich brachte (und in Ubuntu 9.04 für heftige Probleme mit Intel-Grafikchips sorgte), war in der Version 9.10 ebenfalls bereits weitgehend abgeschlossen. Den Bootprozess hatten die Entwickler bereits in der Version 9.04 vor allem durch Entschlacken der Init-RAM-Disk und eine Opimierung und Parallelisierung der Hardware-Erkennung drastisch verkürzt, in Version 9.10 auf Upstart umgestellt und dadurch weiter beschleunigt -- da blieb für Lucid Lynx nur noch Raum für ein wenig Feintuning.

Wer von der letzten LTS-Version 8.04 updatet, erhält freilich einen ganzen Schwung technischer Neuerungen – die allerdings schon bei Millionen Ubuntu-Anwendern gut durchgetestet sind. Offenbar sind die Ubuntu-Entwickler in den zwei Jahren seit Erscheinen der letzten LTS-Version einem groben Plan gefolgt: Neue Technik kommt in den Zwischen-Releases, für das neue LTS-Release hingegen konzentriert man sich auf Feintuning und die "User Experience" – was weit über die neue Optik hinausgeht.

Ubuntu One: 2 GByte kostenloser Webspeicher für jeden Ubuntu-Anwender.

So hat Canonical den mit Ubuntu 9.10 eingeführten kostenlosen Online-Dienst Ubuntu One ausgebaut, der jedem Ubuntu-User zwei GByte kostenlosen Speicherplatz in der Cloud zur Verfügung stellt. Mit Ubuntu 10.04 kann man nicht mehr nur einzelne Dateien mit der Canonical-Cloud synchronisieren, indem man sie ins Verzeichnis "~/Ubuntu One" verschiebt, sondern auch beliebige Ordner über ihr Kontext-Menü in Nautilus mit Ubuntu One synchronisieren. Zu den Tomboy-Notizen gesellen sich Firefox-Lesezeichen (mit Hilfe eines Plug-ins) und die Kontakte in Evolution. Aktiviert man die Synchronisierung, werden Notizen und Kontakte in einer lokalen CouchDB-Instanz gespeichert, die sich mit der Ubuntu-One-Datenbank synchronisiert.

Da man einem Ubuntu-One-Account mehrere Rechner zuordnen kann, lässt sich so auch der Datenbestand beispielsweise zwischen Notebook und PC synchron halten – sofern sich alle wichtigen Daten in den zwei GByte kostenlosem Speicherplatz unterbringen lassen. Wenn nicht: Für 10 US-Dollar im Monat bietet Canonical ein Update – dann kann man 50 GByte Daten in der Cloud speichern und auch das Adressbuch des Handys synchronisieren. Wer das kostenlose Angebot nutzt, kann die Handy-Synchronisation 30 Tage testen.

Auch der neue. in die Musikverwaltung Rhythmbox integrierte Musik-Shop nutzt Ubuntu One: Musik, die man dort kauft, wird automatisch in die Ubuntu-One-Cloud übertragen -- und taucht dann auf allen Rechnern in Rhythmbox auf, die mit demselben Account in der Canonical-Cloud angemeldet sind. Vor dem ersten Einkauf installiert die Musikverwaltung auf Mausklick das MP3-Plug-in von Fluendo: Auf der Ubuntu-CD ist – wie bei den meisten Linux-Distributionen – kein MP3-Codec enthalten.

Mit dem Musik-Shop scheint sich Canonical ein weiteres kommerzielles Standbein schaffen zu wollen. Und das – in Ubuntu 10.04 runderneuerte und unter anderem um die Anzeige externer Repositories erweiterte – Software-Center enthält bereits eine Infrastruktur, über die Partner Anwendungen anbieten können. Da fehlt nur noch eine Bezahlmöglichkeit (die man im Musik-Shop ja schon hat), schon wäre der Ubuntu App Store fertig. Vielleicht schielt Canonical hier ein bisschen auf die Erfolge von Apple? Die Jobs-Firma macht den Großteil ihres Umsatzes ja auch nicht im Firmengeschäft. Und das neue Desktop-Design ist Mac OS X auf jeden Fall ähnlicher als Windows.

Natürlich ist die Software in Ubuntu 10.04 aktualisiert. Der Kernel 2.6.32 bringt vergleichsweise wenige Verbesserungen gegenüber dem Kernel 2.6.31 in Ubuntu 9.10, bietet aber zusammen mit dem Update von X.org von 7.4 (X-Server 1.6) auf 7.5 (X-Server 1.7) 3D-Support auf verbreiteten Radeon-Karten der Serien 2000, 3000 und 4000. Ebenfalls neu ist der Nouveau-Treiber, den Ubuntu jetzt standardmäßig für Nvidia-Karten verwendet – allerdings noch ohne 3D-Beschleunigung. Wie schon in früheren Versionen installiert das Tool "Hardware-Treiber" in der Systemverwaltung auf Wunsch die proprietären Herstellertreiber von AMD und Nvidia nach. Das zur Veröffentlichung des Release Candidate aufgetrete Speicherleck im X-Server ist behoben.

Der neue Ubuntu-Desktop gibt sich "sozial".

Durch Verbesserungen beim Powermanagement von I/O-Geräten soll der neue Kernel etwas sparsamer mit dem Strom umgehen, sodass Mobilgeräte etwas länger laufen. Und wie immer verbessert der neue Kernel die Hardwareunterstützung durch eine Reihe neuer Treiber. Der NetworkManager 0.8 unterstützt jetzt auch den Internet-Zugang über per Bluetooth angekoppelte Handys – sofern diese das PAN-Profil (Personal Area Network) beherrschen. Unterstützung für das von mehr Telefonen angebotene Dial UP Network (DUN) ist in Arbeit.

Mit Gnome 2.30, KDE 4.4.2 und XFCE 4.6.1 sind die aktuellen Versionen der Linux-Desktops enthalten – großartige Fortschritte gegenüber den Versionen in Ubuntu 9.10 gibt es nicht zu vermelden. Gleiches gilt für den Firefox 3.6.3 und OpenOffice 3.2; lediglich Thunderbird hat einen größeren Versionssprung von 2 auf 3 gemacht und bringt so einige Neuerungen. Neu ist der Video-Editor Pitivi; das Grafikprogramm Gimp ist, wie schon vergangenes Jahr entschieden, nicht mehr auf der CD, lässt sich aber natürlich nachinstallieren. Gegenüber der letzten LTS-Version 8.04 mit dem Kernel 2.6.24, X.org 7.3, Gnome 2.22, Firefox 3.0 und OpenOffice 2.4 bedeutet Lucid Lynx allerdings einen kräftigen Sprung vorwärts.

[Update] Anders als ursprünglich geplant, ist der Hardware Abstraction Layer HAL immer noch nicht ganz aus der Distribution verschwunden, da einige Anwendungen wie Evolution und das Palm-Pilot-Tool immer noch darauf oder auf das von HAL abhängige Gnome VFS aufsetzen – obwohl das längst durch das neuere gvfs abgelöst und "deprecated" ist. Der Bootprozess ist allerdings schon komplett HAL-frei, was ihn gegenüber dem aktuellen Ubuntu 9.10 weiter beschleunigt. [/Update]

Die neue Netbook-Optik.

Ausgebaut haben die Ubuntu-Macher die "sozialen Funktionen" des Desktops. Aus einem neuen Panel-Applet, der "Sitzungsanzeige" ("MeMenu"), lassen sich Chat-Accounts von Facebook und MySpace bis ICQ und AIM sowie Nachrichtenkonten (Twitter, Flickr, Facebook, Digg und so weiter) verwalten. Das Chatten erledigt man mit Empathy, der neue Gwibber ist für die Anzeige von Tweets und Co. zuständig. Selber twittern kann man auch gleich aus dem MeMenu.

Die Ubuntu Netbook Edition hat eine neue Oberfläche erhalten, die offenbar schon auf Touchscreen-Bedienung ausgelegt ist: Um zu scrollen, packt man nicht – wie üblich – mit der Maus den Scrollbar an der Seite, sondern klickt mitten in den Bildschirm. Die großen Icons und der Fenstermanager Maximus, der immer nur eine Anwendung bildschirmfüllend anzeigt, sind für kleine Bildschirme optimiert.

Bei der Server-Version setzt Canonical stark auf die Karte Cloud Computing. Eucalyptus 1.6.2 ist eine Software, mit der sich eine private, Amazon-EC2-kompatible Cloud aufsetzen und verwalten lässt. Fertige Ubuntu-10.04-Images zum Einsatz in einer privaten, EC2- oder hybriden Cloud stehen bereit. Als Virtualisierer kommt KVM zum Einsatz, das jetzt auch die Live-Migration von virtuellen Maschinen unterstützt. An Management-Werkzeugen sind unter anderem Libvirt und Puppet enthalten.

Natürlich bringt Ubuntu 10.04 Server gängige Server-Software von MySQL, Samba und Tomcat über Nagios und SpamAssassin bis zu Web-Toolkits mit. Der Kernel ist gehärtet, einige Serveranwendungen sind mit AppArmor-Profilen gesichert. Der Installer unterstützt RAID und iSCSI; das Management mit dem Canonical-Werkzeug Landscape soll vor allem in Hinblick auf die Verwaltung großer Installationen mit physischen und virtualisierten Ubuntu-Servern verbessert sein.

Ubuntu 10.04 wird seinem LTS-Ruf als ausgereifter Linux-Distribution gerecht: In der Redaktion laufen bereits mehrere Rechner seit der ersten Beta-Version im Produktivbetrieb, ohne dass dabei ernsthafte Probleme aufgefallen wären. Die Softwareausstattung ist auf dem aktuellen Stand, die neue Optik vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig, aber durchaus gelungen, Ubuntu One ein echter Mehrwert – insgesamt eine runde Sache.

Ubuntu steht wie üblich in verschiedenen Varianten zum Download bereit: Als Desktop, Server und Alternate Install CD für 32- und 64-bittige x86-Systeme sowie als Netbook-Live-CD für 32-Bit-Prozessoren. Für den Einsatz in der Cloud bietet Canonical ein spezielles UEC-Image (Ubuntu Enterprise Cloud) in 32 und 64 Bit an. Außerdem existieren Versionen mit KDE (Kubuntu) und XFCE-Desktop (Xubuntu), für den Einsatz im Unterricht (Edubuntu), als Mediencenter (Mythbuntu) und für die Musikproduktion (Ubuntu-Studio). (odi) (odi)