E3: Spieleindustrie im Umbruch

Xbox Kinect und Playstation Move sind der Wii technisch überlegen, aber werden sie auch erfolgreicher sein? Nintendo hält mit der 3DS eine stereoskopische Trumpfkarte in der Hand, aber können sie damit Apple auf dem Casual-Markt tatsächlich ausstechen? Zehn Thesen zum Zustand der Spieleeindustrie.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 245 Kommentare lesen
Lesezeit: 13 Min.

Selten wurden auf der Electronic Entertainment Expo (E3) von den Konsolenherstellern so viele Neuerungen präsentiert wie in diesem Jahr. Microsoft und Sony wollen mit Xbox Kinect und Playstation Move den Erfolg der Wii wiederholen. Nintendo macht sich derweil mit der 3DS auf zu neuen Ufern und könnte 3D-Spielen zum Durchbruch verhelfen. Wir haben die Shows und Spiele analysiert und stellen zehn Thesen auf, wie sich die Spieleindustrie entwickeln wird.

Sportspiele fürs Wohnzimmer kennt man bereits seit EyeToy und Wii, damit lock man selbst keine Casual-Spieler mehr von der Couch.

(Bild: Microsoft)

1. Kinect und Move bringen die Wii nicht ins Schwitzen.

Microsofts Kinect-Kamera ist technisch beeindruckend, keine Frage. Alle Bewegungen des Spielers in Echtzeit dreidimensional einfangen zu können, ermöglicht völlig neue Spielerfahrungen. Doch leider fällt den Spieleherstellern kaum mehr ein, als bekannte Konzepte von der Wii in einem schickeren Outfit neu aufzukochen. Mit Boxen, Tennis, Bowling und all den anderen Hüpf-Minispielsammlungen ist man bereits auf der Wii die vergangenen vier Jahre zugeschmissen worden. Damit lockt man niemanden mehr von der Couch.

Allerdings ist Kinect mehr ein System der großen Gesten statt der kleinen, feinfühligen Mikrobewegungen, die Move den Spielern abverlangt. Man könnte es auch als Wii-Plus-Plus bezeichnen. Voriges Jahr hat Nintendo die Genauigkeit der Wii durch den Plus-Aufsatz verbessert, genutzt haben es bislang aber kaum Spiele, weil es die Anwender anscheinend wenig interessiert. Um im Wohnzimmer ein bisschen Sport zu treiben, reicht vielen die Wii aus – das gilt vor allem für die Zielgruppe der Neulinge und Gelegenheitsspieler, für die die Geräte vornehmlich vermarktet werden. Wenn diese sich eine neue Konsole kaufen, werden sie für ein bisschen HD-Grafik kaum 400 Euro für ein Komplettset aus Konsole und Bewegungscontroller ausgeben, wenn sie eine Wii für 200 Euro bekommen. Kinect und Move sind primär für die Kinder, Frauen und Mütter der männlichen Spieler gedacht, die bereits eine Xbox 360 oder PS3 haben. Sony und Microsoft werden mit ihren Systemen aber keine gänzlich neue Kundschaft anlocken und Nintendo Marktanteile abknöpfen, dafür kommen sie zu spät und sind zu teuer.

Zu Weihnachten droht eine Flut von Fitness- und Tanzspielen wie Singstar Dance die Wohnzimmer zu überschwemmen.

(Bild: Sony Computer Entertainment)

2. Bis zum Abwinken: Die neue Flut der Fitness- und Tanzspiele

Seine wahren Stärken spielt Kinect bei Tanzspielen und Fitnessprogrammen aus. Wenn die Software die Bewegungen des Spielers überwachen und Fehler korrigieren kann, dann liefert sie einen echten Mehrwert. Doch wer braucht 50 verschiedene Tanz- und Fitnesspielvariationen? Zwei bis drei würden hier locker reichen. Auf der E3 fährt aber jeder Hersteller eine ganze Bastion solcher Spiele auf und vergisst dabei offenbar, dass die Konsolen meist im Wohnzimmer mit Sesseln und einer Couch und nicht in der Turnhalle stehen.

Bei Move setzt Sony zwar auf eine größere Varianz an Spielen aus eigener Produktion, Dritthersteller werden aber auch hier verstärkt auf Fitness und Tanz setzen und künftig ihre Titel auf den kleinsten gemeinsamen Nenner von Wii, Kinect und Move ausrichten, weil sie möglichst auf allen Plattformen vertreten sein wollen, um ihre Reichweite zu vergrößern. Es steht zu befürchten, dass die Spieleindustrie diese Genres in den kommenden Monaten ähnlich totreiten wird wie im vergangen Jahr die Musikspiele mit ihren Plastikinstrumenten.

Um sich von der Konkurrenz abzusetzen, müssten Kinect und Move vielmehr neuartige Spielerfahrungen vermitteln, die auch das Stammpublikum bei Laune halten. Hier gab es mit Ubisofts Child of Eden und vielleicht noch Sonys Sorcery aber nur vereinzelte Titel zu sehen.

Neuartige Spiele wie Ubisofts "Child of Eden" erfreuen mit ihren frischen Ansätzen zwar Spieler, aber keine Aktionäre.

(Bild: Ubisoft)

3. Electronic Arts wird ein gutes Geschäftsjahr hinlegen, leider.

"Keine Experimente", mit diesem Slogan gewann schon 1957 Konrad Adenauer Wahlen und mit dieser Haltung wird auch Electronic Arts seine Aktionäre befriedigen. In den vergangenen zwei Jahren veröffentlichte der Publisher mit Mirror's Edge und Brütal Legend zahlreiche neue Spielideen und IPs, landete aber in den roten Zahlen. Deshalb wurde das Portfolio deutlich konsolidiert und von kreativen Einfällen weitgehend befreit. Auf der E3 waren mit Ausnahme von Bulletstorm nur Fortsetzungen etablierter Serien zu sehen. Nachdem Erzkonkurrent Activision mit Call of Duty die Lizenz zum Gelddrucken erworben hat, holt EA seine Medal of Honor aus der Mottenkiste und versetzt den Spieler in den Afghanistan-Krieg, wo er nach Herzenslust Taliban-Krieger abschießen kann – geschmacklos und langweilig, aber offensichtlich profitabel.

Wesentlich kreativer und experimentierfreudiger zeigte sich da schon Ubisoft, die dank ihrer Erfahrungen mit der Wii wohl auch am meisten von den neuen Eingabegeräten profitieren werden. Neben dem bereits erwähnten Rez-Nachfolger Child of Eden führten sie einen ganzen Blumenstrauß frischer, unkonventioneller Ideen vor: Battletag, bei dem Spieler mit Laserpistolen aufeinander schießen und der Rechner nur noch die Punkte zählt, das Entspannungsspiel Innergy, das mit der Atmung gesteuert wird und den Mania Planet, der das Konzept von Trackmania auf Ego-Shooter und Rollenspiele ausweitet. Allerdings ist zu befürchten, dass die meisten der neuen Ideen an der Kasse floppen werden, und Ubisofts Aktionäre (zu denen auch Electronic Arts gehört) im kommenden Jahr einen ähnlich konservativen Kurs wie bei EA und Activision fordern werden. Doch wenn kein Hersteller solche Experimente mehr wagen würde, wäre die Spielelandschaft um einiges ärmer.

Little Big Planet 2 weitet sein ansteckendes Spielprinzip vom Jump&Run auf andere Genres aus.

(Bild: Sony Computer Entertainment)

4. Little Big Planet 2 rettet Sony das Weihnachtsgeschäft.

In den vergangenen Jahren gab es kaum ein Spiel, das einen derart breiten Konsens über Geschlechter- und Altersgrenzen hinweg geschaffen hat, wie Little Big Planet. Die zu Weihnachten erscheinende Fortsetzung unterstützt die bereits zwei Millionen von Spielern erschaffenen Level und gibt ihnen neue Bausteine, mit denen sie Side-Scrolling und Top-Down-Arcade-Shooter, Echtzeitstrategiespiele und andere neue Arten entwickeln können, die sich in 2,5 Dimensionen darstellen lassen. Kein anderer Hersteller hat ein derart kreatives und vielseitiges Spiel im Programm, weshalb Little Big Planet zum erfolgreichsten System-Seller der PS3 avanciert.

Die neue Xbox 360 rauscht weniger als ihr Vorgänger, bietet aber sonst wenig Neues.

(Bild: Microsoft)

5. Die neue Xbox 360 ist nicht slim genug.

Ein Redesign der Xbox 360 war lange überfällig. Doch die Änderungen fallen zu vorsichtig aus. Gewiss, die beiden wichtigsten Kritikpunkte, die Geräuschentwicklung und das Lüftersystem, wurden endlich verbessert. Aber das klobige externe Netzteil und eine Laufwerksschublade statt Einzugsschlitz für DVDs (die Blu-ray-Wiedergabe fehlt weiterhin) sind 2010 einfach nicht mehr zeitgemäß. Da hätte man nach fast fünf Jahren mehr erwartet.

Ebenso hätte mit dem Neudesign eine Preisreduzierung einher gehen müssen, wenn man die mit Kinect neu anvisierte Zielgruppe der Gelegenheitsspieler erreichen wollte – aber vielleicht kommt diese ja noch im Herbst mit einem neuen abgespeckten Arcade-Modell. Mit einem Preis von 250 Euro wird Microsoft der Konkurrenz hingegen nicht gefährlich.

Im Kino mag eine Filmvorführung mit 3D-Brillen funktionieren, zuhause verhindern Sie jedoch den Sprung der Stereoskopie in den Massenmarkt.

6. Stereoskopische 3D-Spiele im Wohnzimmer bleiben ein Nischenprodukt.

Als weitere Neuerung unterstützen die PS3 und auch die Xbox 360 stereoskopische 3D-Spiele. Sony will diese Ausgabemodi zukünftig mit einer ganzen Reihe seiner Titel unterstützen, von Gran Turismo 5 bis Killzone 3. Dazu braucht man allerdings einen der sündhaft teuren 3D-Fernseher, die in der ersten Generation mit ihrer dunklen Ausgabe, Geisterbildern und flimmernden Brillen nicht besonders überzeugen. Es wird mindestens noch zwei bis drei Jahre dauen, bis die Zahl der Spieler mit passendem 3D-Fernseher soweit gewachsen ist, dass sich die Produktion stereoskopischer Titel tatsächlich lohnt.

Mit der 3DS scheint Nintendo alles richtig zu machen und könnte stereoskopische 3D-Spiele im Massenmarkt etablieren.

(Bild: Nintendo)

7. Nintendo verhilft 3D-Spielen zum Durchbruch.

Besser ist da schon Nintendos Ansatz mit der 3DS. Autostereoskopische Displays haben den Vorteil, dass der Betrachter keine Brille benötigt. Allerdings muss er genau im richtigen Abstand und Winkel vor dem Schirm sitzen, weshalb die Technik für Fernseher (vor denen man häufig mit mehreren sitzt) noch nicht gut genug funktioniert. Anders bei Handhelds, wo man den Betrachtungswinkel mit den Händen justieren kann. Nintendo hat bereits früher mit Paper Mario und anderen Titeln gezeigt, dass sie die dritte Dimension durchaus kreativ in das Spieldesign mit einbinden können. Nach den ersten Spielen zu urteilen, kann sich die grafische Qualität der 3DS durchaus mit der PSP messen. Die neuen Speichermodule bieten mit 2 GByte sogar mehr Platz als eine UMD, sodass deutlich aufwendigere Titel möglich werden als bei der DS/DSi. Nach zwei einfallslosen Auftritten lieferte Nintendo in diesem Jahr auf der E3 die überzeugendste Präsentation ab.

Exklusive PSP-Spiele wie Metal Gear Solid Peace Walker sind selten geworden. Das Epos wird durch die engen Grenzen der PSP-Hardware aber zu sehr eingeengt und nährt den Wunsch nach einem verbesserten Handheld-Nachfolger.

(Bild: Konami)

8. Die PSP ist tot.

Die PSP Go ist bislang weder von Spielern noch vom Handel gut angenommen worden, und jetzt verstößt auch Sony sein ungeliebtes Stiefkind. Auf der E3 präsentierte Sony eine neue Werbekampagne, um die Verkäufe der PSP zu stimulieren – zu sehen war allerdings das alte Modell mit UMD-Laufwerk. Auch neue Spiele wie Invizimals: Shadows Zone laufen nicht auf der PSP Go, weil sie keine Kamera unterstützt.

Doch auch die normale PSP hängt an der Herzlungenmaschine, weil sie an einer chronischen Armut attraktiver Spiele leidet – das können auch neue Auflagen von Metal Gear Solid und God of War nicht kaschieren. Sony braucht dringend eine neue Hardware mit intaktem Kopierschutzsystem, Kamera, Touchdisplay, Bewegungssensor und 3G-Unterstützung zum Online-Shopping für unterwegs. Doch solch ein PSP-Handy ist noch nicht in Sicht – vielleicht wird es ja im nächsten Jahr etwas.

Mit dem explosionsartig wachsenden Angebot an Spielen im App Store kann derzeit keiner der alt eingesessenen Konsolenhersteller mithalten.

9. Apple wird künftig nicht nur den Casual-Markt dominieren.

Doch ein neuer Big Player im Spiele-Markt fehlte völlig auf der E3: Apple. Mit dem kontinuierlich verbesserten App Store, einem unvergleichlich großen Angebot an günstigen kleinen Casual-Spielen zum Download, die neuerdings auf dem iPad auch von größeren Spielen mit mehr Tiefgang ergänzt werden, ist das Unternehmen aus Cupertino den alt eingesessenen Konsolenherstellern um Jahre voraus. Das hat auch Nintendo erkannt, die in Sony und Microsoft keine Gegner mehr sehen, sondern sich vorgenommen haben, Apple nicht kampflos das Feld zu überlassen. Bei der 3DS muss Nintendo deshalb sein Online-Angebot mit Spieler-Accounts und Download-Spielen deutlich ausbauen. Es ist aber fraglich, ob sie das schnell genug auf die Beine stellen können, bevor die just dazugewonnene erwachsene Käuferschaft wieder zum iPhone, iPad und anderen Smartphones und Tablets abwandert. Microsoft wird versuchen, mit dem Windows Phone 7 dagegen zu halten, allerdings kommen die ersten Geräte frühestens zum Ende des Jahres und die Redmonder müssen quasi bei Null anfangen.

Cloud-Dienste wie OnLive könnten bald selbst komplexe PC-Spiele wie das für das nächste Jahr erwartete Deus Ex: Human Revolution auf das iPad und andere Tablets streamen.

(Bild: Eidos)

10. Tablets und Cloud-Gaming bilden die nächste Generation der Spieleplattformen

Während früher alle fünf Jahre eine neue Konsolengeneration das Licht der Welt erblickte, verlängern Microsoft und Sony nun mit Kinect und Move die Lebensphase ihrer aktuellen Modelle. Der bisher gültige Zyklus ist durchbrochen und es ist fraglich, ob es überhaupt in drei bis fünf Jahren eine neue Next-Generation der klassischen Konsolen geben wird. Schaut man sich den Entwicklungseifer der asiatischen Computerhersteller an und wie sie händeringend nach einem iPad-Clone suchen, kann man sich leicht ausrechnen, dass in ein paar Jahren der klassische PC durch ein großes Multitouch-Tablet (iDesk) abgelöst wird. Deren Rechenleistung wird überschaubar bleiben, schon allein aus dem Grund, weil niemand mehr einen Lüfter haben will, der einem heißen Prozessor Luft zufächelt und gleichzeitig die Stromaufnahme gering gehalten werden muss, damit der Akku den ganzen Tag hält.

Mit dem zu erwartenden Siegeszug der Tablets schlägt auch die Stunde der Cloud-Dienste, die rechenintensive Spiele auf eine Server-Farm auslagern und nur noch Grafik und Sound auf die Geräte streamen. OnLive zeigte auf der E3 bereits beeindruckende Demonstrationen, was der Service auf dem iPad kann. Gewiss muss man noch die Eingabe anpassen und im ersten Jahr wird der Service noch mit Kinderkrankheiten bei der Übertragung zu kämpfen haben (weshalb er zunächst auch kostenlos bleibt). Mit dem Ausbau des 100-MBit-Internet und einem dichteren Netz der Server-Zentren werden anfängliche Probleme aber bald überwunden sein. Man denke nur an die Anfangsprobleme von Steam zurück und wie Valve Software seinen Dienst inzwischen ausgebaut hat. Und nichts hindert OnLive daran, einen Bluetooth-Controller für das iPad und andere Tablets herauszubringen, der die Steuerung vereinheitlicht und für Action-Titel verbessert. Cloud-Gaming erspart dem Anwender die nervige Installation, Einspielung von Patches und das Aufrüsten seiner Hardware und die Hersteller müssen keine Raubkopien mehr fürchten und ihre Spiele nicht auf jedes neue Betriebssystem wie iOS, Android & Co. und jeden Prozessor einzeln anpassen. Es ist – wie der Amerikaner sagen würde – eine Win-Win-Win-Situation für die Anwender, Hardware- und Software-Hersteller. (hag)