EU-Parlament stimmt gegen Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten

Die Abgeordneten haben im Plenum der pauschalen Überwachung der Nutzer eine Absage erteilt, fordern aber mehr Bemühungen in der Anti-Terrorpolitik und den besseren Schutz kritischer Infrastrukturen.

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Das EU-Parlament hat in seiner Plenarsitzung am heutigen Dienstag den vom EU-Rat vorangetriebenen Plänen zu einer Vorratsspeicherung der Telekommunikationsverbindungsdaten eine klare Absage erteilt. Bei der pauschalen Überwachungsmaßnahme geht es um die Verpflichtung der Anbieter zur Aufbewahrung sämtlicher Verbindungs- und Standortdaten über Monate und Jahre hinweg, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, E-Mailen, SMS-Versand, Surfen, Chatten oder Filesharing anfallen. Einstimmig haben die Abgeordneten den entscheidenden und auch hierzulande kontrovers diskutierten Vorstoß zu dem Vorhaben aus Frankreich, Großbritannien, Irland und Schweden für einen EU-Rahmenbeschluss abgelehnt.

Die Parlamentarier folgten einer Vorlage (DOC-Datei) des Liberalen Alexander Alvaro, der in weiten Teilen den EU-Rat rechtlich nicht für das Verabschieden eine entsprechenden europaweiten Gesetzes zuständig sieht und die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme anzweifelt. "Der hierfür erforderliche Investitionsaufwand im Bereich der klassischen leitungsvermittelten Telefonie liegt nach Schätzungen verschiedenster größerer Unternehmen innerhalb der Mitgliedstaaten bei 180 Millionen Euro im Jahr pro Unternehmen", erklärte Alvaro. Für kleinere und mittlere Unternehmen wäre der Geschäftsbetrieb gefährdet. Die Belastungen im Bereich des Internets würden den Investitionsaufwand "um ein Vielfaches übersteigen".

Der FDP-Politiker sieht die Vorratsdatenspeicherung auch nicht vereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention. Er geht davon aus, dass die angeführten Ziele bereits mit der Umsetzung der umstrittenen Cybercrime-Konvention erfüllt werden könnten. Alvaro kritisierte auch, dass die Bundesregierung trotz eines gegenteiligen Bundestagsbeschlusses die Ratspläne in Brüssel unterstütze. Der Rat muss bei der gewählten Rechtsgrundlage das Parlament nur anhören. Die Vertretung der Mitgliedsstaaten erteilte denn auch dem Ansinnen des Parlaments eine Absage. Die Minister verfolgen ihre Pläne momentan zielstrebig weiter, wobei die EU-Kommission zu vermitteln sucht und die Abgeordneten dann mit entscheidungsberechtigt wären. Der Bericht Alvaros soll nach der Sommerpause erneut im federführenden Innen- und Bürgerrechtsausschuss behandelt werden. Bis dahin wird spätestens mit einem Vorschlag der Kommission gerechnet.

Die Debatte über die Vorratsdatenspeicherung erfolgte im Bündel mit Beratungen über eine ganzen Reihe anderer Stellungnahmen des Parlaments zur Anti-Terrorpolitik. Die Abgeordneten haben noch einige Verbesserungen am Aktionsplan der EU zur Bekämpfung des Terrorismus vom März 2004 sowie dessen Überarbeitung durch Rat und Kommission angemahnt. Generell geht es in den Vorschlägen und Gesetzesvorhaben darum, ein kohärentes Rahmenwerk gegen Terrorattacken zu schaffen und den Informationsaustausch zwischen europäischen Sicherheitsbehörden zu verbessern.

Ein Bericht (DOC-Datei) der spanischen Sozialistin Rosa Díez González etwa enthält den Vorschlag, "die Kooperation zwischen nationalen Behörden und Staatsanwaltschaften sowie Eurojust voranzutreiben", um die Täter und Komplizen insbesondere terroristischer Straftaten vor Gericht zu bringen. Gestärkt werden soll auch der "Austausch vorbeugender Informationen der Nachrichtendienste der Mitgliedstaaten untereinander" und mit Europol. Dabei müssten aber stets die Grundsätze des Datenschutzes sichergestellt werden. Alvaro betonte, dass etwa nicht das in Deutschland gültige Trennungsgebot zwischen Verfassungsschutz und Polizei aufgehoben werden dürfte.

Die europäische Polizeibehörde soll nach dem Willen der Abgeordneten in eine EU-Agentur umgewandelt werden, die der Kontrolle es Parlaments und des Gerichtshofs unterworfen wäre. Generell wird die Kommission aufgefordert, "eine wirkliche europäische Politik zur Terrorismusbekämpfung einzuleiten, die alle Faktoren berücksichtigt, die zur Entstehung des Terrorismus und zu seiner Ausbreitung sowohl in der EU als auch in der übrigen Welt beitragen". Erforderlich sei eine "eingehende Evaluierung" des Aktionsplans vor Ende des Jahres sowie eine "weltweite Definition" des Begriffs "Terrorismus".

Ebenfalls verabschiedet hat das Parlament einen Bericht (DOC-Datei) des griechischen Sozialisten Stavros Lambrinidis. Er will sicherstellen, dass die Anti-Terrorstrategie "vor allem die potenzielle Bedrohung kritischer Infrastrukturen, einschließlich der EDV-Anlagen, berücksichtigt". Deren Störung oder Zerstörung würde weitreichende negative Folgen für die Gesundheit, Sicherheit oder wirtschaftliche Lage der Bürger haben. Daher soll "ein einheitlicher Mechanismus" etabliert werden, dank dem "die Mitgliedstaaten, Betreiber, Organisationen und für die Sicherheit verantwortliche Personen" über einheitliche Standards besser kritische Infrastrukturen ermitteln, deren Anfälligkeit und Interdependenz analysieren sowie rascher Gegenmaßnahmen bei Angriffen ergreifen können.

Die Parlamentarier drängen darauf zu diesem Zweck, ein mehrjähriges Forschungsprogramm ins Leben zu rufen. Die EU-Gremien sollen anerkennen, dass ein Frühwarnsystem für kritische Infrastruktur (European Critical Infrastructure Early-Warning Information Network) nur erfolgreich sein kann, wenn es nicht nur den Informationsaustausch hinsichtlich gemeinsamer Bedrohungen und gegenseitiger Gefährdung fördert", sondern auch Maßnahmen und Strategien entwirft, mit deren Hilfe "Risiken minimiert und kritische Infrastrukturen wirksamer geschützt werden können".

Zur Auseinandersetzung um die Vorratsspeicherung sämtlicher Verbindungs- und Standortdaten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, E-Mailen, SMS-Versand, Surfen, Chatten oder Filesharing anfallen, siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)