Heftige Kritik an Münchner Softwarepatent-Gutachten

Die von der Stadt München angeforderte Rechtsbeurteilung der Risiken möglicher Patentklagen bei der Linux-Migration schießt laut dem Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur weit am Thema vorbei.

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Die von der Stadt München angeforderte Rechtsbeurteilung der Risiken möglicher Patentklagen bei der Linux-Migration im Rahmen des Projekts LiMux schießt laut dem Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) weit am Thema vorbei. "Viel Irreführendes" und "wenig Substanz" hat FFII-Vorstand Hartmut Pilch in dem 42-seitigen "Kurzgutachten" der Münchner Kanzlei Frohwitter ausgemacht, das seit Ende der vergangenen Woche über das Ratsinformationssystem der bayerischen Landeshauptstadt online verfügbar ist (PDF-Datei).

Pilchs Verband lässt in einer ersten Analyse kaum ein gutes Haar an dem Papier, das aus der Feder des Rechtsanwalts Roman Sedlmaier und des Patentanwalts Jan Gigerich stammt. Der FFII stößt sich vor allem daran, dass das Gutachten in weiten Teilen allein die neuere Auslegung des Europäischen Patentübereinkommens durch den Bundesgerichtshof und die darauf aufbauende Spruchpraxis des Europäischen Patentamts rechtfertigt und erst in den Schlusskapiteln auf die eigentlichen Ängste des Auftraggebers eingeht.

Für die Autoren des Attestes gehört der Monopolschutz für "computerimplementierte Erfindungen" alias Softwarepatente "seit über 30 Jahren in Europa" zum Rechtsalltag. Damit seien Patentverletzungen durch Computerprogramme "heute bereits möglich", wobei dies aber für proprietäre und Open-Source-Software genauso gelte. Die konkrete Untersuchung von Linux und des gesamten darauf aufbauenden Münchner Projekts zur Umrüstung der kompletten IT-Landschaft in der Verwaltung auf freie Software sparten sich die Kanzleimitarbeiter auf Grund dieser Herangehensweise an das Problem.

"Sollte die Stadt München durch den Einsatz von Software ein Patent verletzen", führen sie allgemein aus, "wird zumeist ein vergleichsweise geringer Streitwert anzusetzen sein." Patente auf "computerimplementierte Erfindungen" würden sich regelmäßig nicht auf ein Programm als Ganzes beziehen, sondern nur auf einzelne Funktionalitäten. Die Gutachter zeigen sich zuversichtlich: Letztlich könne jede patentrechtliche Funktionalität mit einer hohen Wahrscheinlichkeit ersetzt beziehungsweise "gegen Entrichtung einer angemessenen Gebühr lizenziert werden". Um sich für alle Eventualitäten zu wappnen, schlagen die Anwälte der Münchner Verwaltung das Eingehen einer "Allianz" mit weiteren Linux-Anwendern im öffentlichen Bereich in Bayern vor. Zudem sollte die Stadt Dokumentationszentren der Open-Source-Gemeinde unterstützen, "die den jeweiligen Stand der Technik in den unterschiedlichsten Bereichen der Softwaretechnik mit einem entsprechenden Zeitstempel versehen" und so bei Patentklagen die Frage der Neuheit von "computerimplementierten Erfindungen" klären helfen könnten.

Der Münchner Stadtrat, in dem sowohl die Grünen als auch die CSU unterstützt von Berichten über potenzielle Patentgefährdungen für Linux Alarm rund um LiMux geschlagen und für die kurzfristige Unterbrechung des Projekts gesorgt hatten, hat die Frohwitter-Bescheinigung Ende September als Ausgangspunkt für die weitere Unterstützung der Migration genommen. Gleichzeitig sprachen sich die Stadtväter mehrheitlich für die "Münchner Linie" aus, die Rechtssicherheit rund um Linux und klare Formulierungen in der umstrittenen Brüsseler Patentrichtlinie fordert. Als vorbildlich dient den Abgeordneten -- und auch dem FFII -- dabei die Version der Direktive aus dem Europäischen Parlament.

Das Rechtsgutachten stimmt nun aber just ein Loblied auf die von Softwarepatentgegner abgelehnte Richtlinienvariante des EU-Rats an. Diese sei "klar" gefasst und gebe die bestehende Rechtslage wieder, während die Parlamentsversion "viele Widersprüche" in sich vereinige und den Patentschutz für ganze Wirtschaftszweige -- insbesondere in der Mobilfunktechnik -- abschaffe. Diese Einschätzung mag der FFII keinesfalls mittragen: "Die Selbstverständlichkeit, mit der Juristen für sich Gesetzgebungsbefugnisse reklamieren und die Hartnäckigkeit, mit der sie einmal errungene Vorrechte gegen ein Aufbegehren der legitimen Gesetzgeber zu behaupten versuchen, verschlägt einem immer wieder die Sprache", erklärte Pilch gegenüber heise online. Die von der Kanzlei bemängelten Formfehler im Parlamentsbeschluss würden sich leicht korrigieren lassen, auch ohne seinen materiellen Gehalt komplett auf den Kopf zu stellen.

Der Streit um Softwarepatente steht auch im Zentrum weiterer Diskussionsrunden in München, wo es vermutlich zu heftigen Wortwechseln zwischen Befürwortern und Gegner des Monopolschutzes für Computercode kommen wird. So laden das Bundesjustizministerium und das Deutsche Patentamt am 21. Oktober in der Tradition des "Runden Tischs" zu einer Debatte zur Frage "Schutz computerimplementierter Erfindungen -- Wie geht es weiter?" (Einladung als PDF-Datei). Schon am heutigen Montagabend hat Jerzy Montag, der rechtspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, ferner zu einer Gesprächsrunde gebeten, an der unter anderem der EDV-Chef der Stadt München, Wilhelm Hoegner, teilnehmen soll.

Zum Thema Linux-Migration in München siehe auch:

Zum Thema Softwarepatente siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)