Neue Kontroverse um Online-Publikationsrechte in der Wissenschaft

Der Streit um den freien Zugang zu wissenschaftlicher Information gemäß dem "Open Access"-Prinzip hat sich durch die Forderung von Forschern nach einem "formatgleichen Zweitveröffentlichungsrecht" verschärft.

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Der Streit um den freien Zugang zu wissenschaftlicher Information gemäß dem "Open Access"-Prinzip hat sich durch die Forderung von Forschern nach einem "formatgleichen Zweitveröffentlichungsrecht" verschärft. Auf einem Fachgespräch der SPD-Bundestagsfraktion Anfang der Woche zur geplanten erneuten Novellierung des Urheberrechts kam es so zu einem Schlagabtausch zwischen Vertretern der Verleger und Wissenschaftlern. Christian Sprang vom Börsenverein des deutschen Buchhandels beklagte im Rahmen der Veranstaltung, dass die Forscher sich einen "entschädigungslosen" Zugriff auf die Veredelungs- und Navigationsleistungen von Verlagen und die von ihnen aufgebauten Marken und deren Qualitätsimage wünschten. Dem Markt bliebe damit keine Chance.

Stein des Anstoßes ist vor allem das Drängen von Vereinigungen wie der "Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen" auf ein "unabdingbares" Recht für wissenschaftliche Autoren, ihre Aufsätze und unselbständig erschienenen Werke "nach einer angemessenen Embargofrist" Eins zu Eins in der Verlagsversion im Internet veröffentlichen zu dürfen. Es gehe darum, dass die Möglichkeit zur kostenfreien Publikation öffentlich geförderter Forschung nach rund sechs bis zwölf Monaten wieder an den Urheber zurückfalle, erläuterte Anne Lipp, Leiterin der Gruppe "Wissenschaftliche Literaturversorgungs- und Informationssysteme" bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), gegenüber heise online. Um die Zitierfähigkeit zu erhalten, sei es dabei wichtig, dass die Zweitveröffentlichung im Netz im Format der verlegerisch betreuten Erstpublikation erfolge.

Laut Sprang würde ein derartiger, noch über Forderungen des Bundesrats in der Debatte um den "2. Korb" der Urheberrechtsreform hinausgehender Ansatz nicht nur dem auf Finanzierung durch Zahlungen von Nutzern angelegten Abomodell kommerzieller Verlage den Boden entziehen. Vielmehr würde auch den Anbietern genuiner "Open Access"-Zeitschriften, die von Anfang an gemäß dem "goldenen Weg" kostenfrei ins Netz gestellt und über Autorengebühren finanziert werden, "eine ruinöse Konkurrenz erwachsen". Letztlich drohe eine "Enteignung von Verlagsleistungen", schreibt der Rechtsexperte in einer Stellungnahme des Börsenvereins (PDF-Datei) zu einem Papier (PDF-Datei) der Wissenschaftsallianz. Den bestehenden bewährten Arten wissenschaftlichen Publizierens werde damit "die Nachhaltigkeit" genommen.

Dass eine Embargofrist das wirtschaftliche Arbeiten von Verlagen sicherstellen könne, ist für Sprang eine Behauptung "ins Blaue hinein". Viele Zeitschriftenbeiträge würden erst Jahre nach ihrem Erscheinen gelesen und genutzt. Besonders auf die Palme bringt den Börsenverein, dass nach dem Willen der Allianz auch kommerzielle Verlage sich nach der Übergangszeit an Veröffentlichungen der Konkurrenz "formatgleich" bedienen könnten. Insgesamt würden Wissenschaftsverlage, die viel Geld in die Selektion, Auffindbarkeit und Qualität von Publikationen in elektronischer und gedruckter Form investierten, "in volkseigene Betriebe umgewandelt".

Wie bei der Expertenrunde der Sozialdemokraten weiter deutlich wurde, liegen Forscher und Verleger nach wie vor auch in der Frage der umkämpften Intranetklausel in Paragraph 52a Urheberrechtsgesetz über Kreuz. Die 2003 erstmals eingeführte und derzeit befristete Regelung besagt, dass Lehrer und Wissenschaftler "kleine Teile" von Werken ausschließlich einem "bestimmt abgegrenzten Bereich von Unterrichtsteilnehmern" in einem Intranet "öffentlich zugänglich" machen dürfen. Sie gilt auch für Personen im Rahmen ihrer "eigenen wissenschaftlichen Forschung". Die Wissenschaftsallianz drängt auf eine Entfristung des Paragraphen, da sonst "Medienbrüche" entstünden und durch diese eine "netzgestützte Forschung und Lehre" behindert würden. Die Regelung abzuschaffen hieße vor allem, "ältere Literatur von elektronischen Lehr- und Forschungsplattformen auszuschließen". Kommerzielle Verlage seien wegen fehlender Rechte hier gar nicht in der Lage, Inhalte im angemessenen Umfang bereitzustellen.

Für Sprang ist diese Begründung haltlos. Nach den Erkenntnissen des Börsenvereins werde in den Intranetforen von Ausbildungseinrichtungen hauptsächlich mit neuerer und neuester Literatur gearbeitet, für die in der Regel von den Verlagen Lizenzen zur campusweiten Nutzung erworben werden könnten. Falls tatsächlich ein nennenswertes Bedürfnis nach der Nutzung älteren Schrifttums bestehen sollte, sei es etwa über den Ausbau des Dokumentenlieferdienstes Subito zu befriedigen. Darüber könnten neben Zeitschriftenartikeln auch Ausschnitte aus älteren Büchern "in vertraglich abgesicherten Bahnen" genutzt werden.

Die SPD-Fraktion will den Ausgang des Gesprächs derzeit noch nicht bewerten. Im Vorfeld hatte der forschungspolitische Sprecher der Sozialdemokraten, René Röspel, bereits im Einklang mit Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion und von den Grünen erklärt, dass "wir neue rechtliche Rahmenbedingungen für das wissenschaftliche Publizieren brauchen". Es bestehe dringender gesetzlicher Handlungsbedarf, um Open Access zu ermöglichen und die Stellung wissenschaftlicher Urheber zu stärken. Ein erster wichtiger Schritt dazu wäre ein verbindliches Zweitveröffentlichungsrecht. (jk)