Hessen: Verfassungsschutz darf Staatstrojaner für Online-Durchsuchung einsetzen

Karlsruhe kippte das hessische Verfassungsschutzgesetz teils. Der Landtag hat eine Reform beschlossen, die dem Geheimdienst neue, weitgehende Befugnisse gibt.

vorlesen Druckansicht 17 Kommentare lesen
Hände am Smartphone im Dunkeln

(Bild: photobyphotoboy/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Inhaltsverzeichnis

Dieser Gesetzgebungsprozess stand unter besonderer Beobachtung, nachdem das Bundesverfassungsgericht 2024 den hessischen Gesetzgeber zu weitreichenden Nachbesserungen zwang. Vorige Woche hat der hessische Landtag nun in Wiesbaden die Novelle des Verfassungsschutzgesetzes (HVSG) mit der Mehrheit der schwarz-roten Koalition verabschiedet. Die Initiative, die Innenminister Roman Poseck (CDU) als "Meilenstein" bezeichnet, stattet das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) mit tiefgreifenden digitalen Befugnissen aus.

Allen voran steht die Möglichkeit zu heimlichen Online-Durchsuchungen und zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung mithilfe von Staatstrojanern. Kernstück der technischen Aufrüstung ist der neu gefasste Paragraf 7a. Er erlaubt dem Geheimdienst den verdeckten Zugriff auf IT-Systeme wie Computer, Smartphones und Tablets. Poseck begründete das damit, dass Extremisten die Möglichkeiten des digitalen Raums zur Vernetzung nutzten und die Behörden ihnen "auf Augenhöhe" begegnen müssten.

Technisch bedeutet die neue Norm, dass das LfV Sicherheitslücken ausnutzen darf, um Schadsoftware auf die Geräte von Zielpersonen aufzuspielen. Das Gesetz erlaubt dabei ausdrücklich, nicht nur Zugangsdaten zu erheben, sondern auch bereits verarbeitete Informationen auszuleiten. Um den verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Karlsruhe zu genügen, hat der Gesetzgeber diese Maßnahme an Bedingungen geknüpft.

Der Hessentrojaner soll laut Poseck nur als "Ultima Ratio" genutzt werden, wenn die Sachverhaltsaufklärung etwa durch die Polizei mit ihrer umstrittenen einschlägigen Befugnis anders nicht möglich ist. Zudem muss eine "konkretisierte Gefahr" für hochrangige Rechtsgüter wie den Bestand des Bundes oder das Leben einer Person vorliegen.

Videos by heise

Flankiert wird der tiefe Eingriff durch Verfahrensvorschriften in Paragraf 8. Der Einsatz der Spionagesoftware steht demnach unter Richtervorbehalt. Die Anordnung ist auf maximal einen Monat befristet, kann aber verlängert werden. Die am Zielsystem vorgenommenen Veränderungen müssen auf das Unerlässliche beschränkt bleiben und sollen bei Beendigung der Maßnahme "soweit technisch möglich automatisiert rückgängig gemacht werden".

Auch bei der klassischen Überwachung hat der Gesetzgeber nachgeschärft, um den Karlsruher Richtern zu genügen. Paragraf 9 regelt die Ortung von Mobilfunkendgeräten neu. Hier differenziert das Gesetz nun feiner: Werden technische Mittel wie stille SMS oder IMSI-Catcher so eng getaktet verwendet, dass ein Bewegungsprofil entsteht und Agenten so Rückschlüsse auf Gewohnheiten oder Vorlieben ziehen könnten, steigen die Hürden. Ein solcher Eingriff ist nur noch zulässig, wenn er zur Aufklärung einer "erheblich beobachtungsbedürftigen Bestrebung" unerlässlich ist. Auch hier greift der Richtervorbehalt, wobei die Anordnung auf sechs Monate befristet ist.

Erweitert haben die Volksvertreter zudem Optionen zur finanziellen Durchleuchtung. Nach Paragraf 10 darf der Verfassungsschutz bei Banken und Finanzdienstleistern Auskünfte über Konten, Geldbewegungen und Kontostände einholen. Dies zielt vor allem auf die Austrocknung von Terrorismusfinanzierung. Voraussetzung ist, dass die beobachteten Bestrebungen geeignet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen.

Ein politisch besonders umstrittener Punkt ist der Umgang mit Daten Minderjähriger. Die Koalition begründet die Notwendigkeit einer längeren Speicherung mit einer zunehmenden Radikalisierung junger Menschen, etwa über Plattformen wie TikTok. Poseck verwies auf die Zerschlagung einer mutmaßlich rechtsextremistischen Gruppe, in der sogar ein 14-Jähriger aktiv gewesen sei.

Die Reform sieht in Paragraf 16 vor, dass Daten über Personen unter 14 Jahren gespeichert werden dürfen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für schwere Straftaten vorliegen. Paragraf 24 regelt den Minderjährigenschutz bei der Datenübermittlung. Solange die strengen Speichervoraussetzungen erfüllt sind, dürfen diese Informationen auch an Dritte weitergeleitet werden. Fällt der Verdacht weg, ist eine Weitergabe nur zur Abwehr erheblicher Gefahren zulässig. Daten von Minderjährigen dürfen zudem grundsätzlich nicht an ausländische Stellen übermittelt werden.

Gleichzeitig versucht der Gesetzgeber mit Paragraf 23, die Balance zwischen Informationsfluss und Datenschutz zu wahren. Übermittlungsverbote greifen hier, wenn die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person das Allgemeininteresse überwiegen oder Gründe des Quellenschutzes entgegenstehen. Damit reagieren die Abgeordneten auf die Kritik des Bundesverfassungsgerichts an der zuvor zu schrankenlosen Weitergabe von Geheimdienstinformationen an Strafverfolgungsbehörden.

Trotz der eingearbeiteten Sicherungen stieß der Beschluss bei der Opposition auf Ablehnung. Die FDP enthielt sich, Grüne und AfD stimmten dagegen. Der Liberale Moritz Promny kritisierte, dass wer die "schärfsten Werkzeuge des Staates" einsetze, diese auch unverkennbar einschränken müsse. Er sieht insbesondere bei der Handy-Ortung die Grenzen nicht eng genug gezogen, da es hier um "intime Spuren unseres Alltags" gehe. Auch der Katalog der Straftaten, die Überwachungsmaßnahmen auslösen können, sei zu weit gefasst und unscharf – etwa bei Eingriffen in den Straßenverkehr.

(mho)