iPhone-Regulierung: Warum Apple mit Japan besser klarkommt als mit Europa

In Japan tritt am 18. Dezember ein Gesetz in Kraft, das dem Digital Markets Act (DMA) in Europa stark ähnelt. Trotzdem ist Apple entspannt. Woran liegt das?

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Nahaufnahme der japanischen Flagge

(Bild: Jim Barber/Shutterstock.com)

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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Versöhnliche Töne aus dem Hause Apple über Regulierung – das ist für europäische Ohren ein ungewohntes Erlebnis. Wenn es um die Vorgaben des Mobile Software Competition Act (MSCA) in Japan geht, ist aus Cupertino zwar auch ein deutlich zu vernehmendes Zähneknirschen zu hören. Eingriffe in Apples System von außen schaffen neue Risiken. Die iPhone-Käufer seien doch 20 Jahre lang mit dem geschlossenen System zufrieden gewesen, heißt es.

Doch anders als beim Digital Markets Act (DMA) der Europäischen Union stehen die Chancen offenbar gar nicht so schlecht, dass der iPhone-Hersteller mit den Vorgaben in Japan trotzdem seinen Frieden schließen kann. Am 18. Dezember 2025 treten die Vorgaben offiziell in Kraft. In iOS 26.2, dem jüngsten Update für das iPhone, werden die massiven Veränderungen im Betriebssystem für Japan umgesetzt und freigeschaltet, wie das Unternehmen jetzt mitteilte.

Eine Analyse von Malte Kirchner
Eine Analyse von Malte Kirchner

Malte Kirchner ist seit 2022 Redakteur bei heise online. Neben der Technik selbst beschäftigt ihn die Frage, wie diese die Gesellschaft verändert. Sein besonderes Augenmerk gilt Neuigkeiten aus dem Hause Apple. Daneben befasst er sich mit Entwicklung und Podcasten.

Dabei scheint der japanische MSCA sich auf den ersten Blick überhaupt nicht großartig vom europäischen DMA zu unterscheiden. Unternehmen wie Apple und Google wird aufgetragen, dass sie ihre Smartphones für alternative App-Marktplätze und externe Bezahlmöglichkeiten öffnen müssen. Browser Engines müssen ebenso austauschbar werden und Nutzer haben die Wahl, welchen Standardbrowser sie nutzen wollen, ebenso wie für etliche weitere Standard-Apps. Es geht wie in Europa um die Frage einer angemessenen Gebühr, um über die App Stores Software zu vertreiben, oder um Interoperabilität. Und Japan bekommt eine frei einstellbare Seitentaste für Sprachassistenten. Das war im Vorfeld schon laut geworden, EU-Nutzer werden sie mangels Vorschrift aber nicht bekommen.

Apples Antwort – ein abgestuftes Gebührenmodell für Entwickler und die Core Technology Fee – sind für Europäer alte Bekannte. Sie würden dazu führen, dass alle Entwickler in Japan künftig das Gleiche oder sogar weniger zahlen müssten, argumentiert man bei Apple. Die App-Store-Provision liegt dabei zwischen 10 und 21 Prozent, die Gebühr für Zahlungsabwicklung bei 5 Prozent. Und wer sich Apples System komplett entzieht, muss immerhin noch 5 Prozent Kerntechnologiegebühr zahlen. Das ist der Preis, den Apple dafür erhebt, alle Apps zentral zu notarisieren und technisch abzuwickeln.

Auf dem Papier sieht zwischen Japan und der EU vieles gleich aus. Doch der Ton macht die Musik. Das im Juni 2024 in Japan verabschiedete Gesetz setze stärker auf Dialog als auf Konfrontation, ist aus dem Apple Park zu hören. Den Japanern gehe es um Datenschutz, Sicherheit und Kinderschutz für Nutzer. In Europa, so polemisiert man in Cupertino, würden vor allem die Interessen einiger großer Mitbewerber befriedigt. Das führe zu einem schlechteren Nutzererlebnis und zu Abstrichen bei der Sicherheit, ist man bei Apple überzeugt.

Was Apple in Japan versöhnlich stimmt, dürften vor allem die zahlreicheren Ausnahmen und die Verhandlungsmasse sein, die sich dem Unternehmen dort bietet. Bedenken um die Cybersicherheit oder den Kinderschutz können dort bestimmte Regeln aushebeln. So gibt es in Japan zum Beispiel alternative App Stores, aber kein vollständiges Sideloading. Auch die Anforderungen an die Interoperabilität stellen das europäische Prinzip auf den Kopf: In Japan gibt es diese auf Anfrage, in Europa will man diese „by design“ – also dann, wenn neue Funktionen auf den Markt gebracht werden. Das europäische Modell fußt auf der Befürchtung, dass Anfragen ewig ausgesessen werden könnten. Deshalb will man die Interoperabilität sofort. Die US-Amerikaner sehen das hingegen als Innovationshindernis und als Enteignung geistigen Eigentums, aber auch als großes Sicherheitsrisiko.

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Dies führt in der EU zu unpopulären Verzögerungen und sogar dem Verzicht auf Funktionen. Die iPhone-Fernsteuerung für den Mac (iPhone Mirroring) gibt es jetzt schon im zweiten Jahr nicht im EU-Gebiet. Bei Apple Intelligence und der AirPods–Liveübersetzung ließ Apple die europäischen Kunden erstmal zittern, weil noch Änderungen vorgenommen werden mussten oder die Compliance zu prüfen war – am Ende war alles halb so wild und die Funktionen kamen unwesentlich später. Aber der Schrecken in den Gliedern der Kunden saß tief. Das hat viele Ressentiments gegen die EU geschürt, aber durchaus auch bei einigen dazu geführt, Apples Gebaren kritisch zu hinterfragen.

Zumindest am Tag der Einführung scheinen die japanischen Verhältnisse aus Sicht Europas beneidenswert zu sein. Keine Klageandrohungen, konstruktive Gespräche und der Regulierer bekommt seine Funktionen, während man neue Features ohne Verzögerung nach Japan bringen will – das wünschen sich zweifellos auch die europäischen Kunden. Der Realitätsabgleich, ob es in Japan wirklich so harmonisch bleibt und ob sich das Gesetz nicht als zahmer Papiertiger erweist, wenn die Regulierten all zu zufrieden damit sind, ist aber noch abzuwarten.

Was sich jedoch in jedem Fall feststellen lässt, ist, dass die traumhaften Zeiten größtmöglicher Selbstbestimmung, denen Apple nachtrauert, in immer mehr Teilen der Erde vorbei sind – nicht nur in Europa. Nach 20 Jahren scheint man sich deshalb jetzt auch in Cupertino langsam mit dem Gedanken zu arrangieren, dass die Erfolgsgeschichte des iPhones die Schattenseite mitbringt, sich stärkerer staatlicher Regulierung unterwerfen zu müssen. Die versöhnlichen Töne gegenüber dem japanischen Gesetz deuten an, dass Apple offenbar gewillt scheint, konstruktiv mit dieser neuen Situation umzugehen.

In Cupertino stellt man es so dar, dass alleine die Bürokraten in Brüssel an der bisherigen Unversöhnlichkeit der eigenen Verlautbarungen zum DMA schuld sind. Und zweifellos sind die Fronten zwischen der EU und Apple durch die vergangenen Monate und Jahre so verhärtet wie noch nie. Das Beispiel Japans und Strömungen in der EU, die Intensität der eigenen Regulierung zu hinterfragen, könnten allerdings ein Silberstreif am Horizont sein. Man sollte diesen nicht überbewerten: Es ist ein wirklich kleiner Hoffnungsschimmer. Aber dass Apple überhaupt Regulierung, die tief in das Betriebssystem hineinreicht, duldet und sie nicht einfach nur abgeschafft haben will, ist ein Fortschritt und eine Handreichung. Die größte seit Jahren.

(mki)