"Tendenzen zur Abschottung von Informationen verstärken sich"

Der Bundesbeauftragte für Informationsfreiheit und Datenschutz, Peter Schaar, kritisiert zum fünften Jubiläum des Informationsfreiheitsgesetzes, dass dessen Botschaft in vielen Verwaltungen noch nicht angekommen sei.

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Peter Schaar, Bundesbeauftragter für Informationsfreiheit und Datenschutz, kritisiert zum fünften Jubiläum des Informationsfreiheitsgesetzes, dass dessen Botschaft in vielen Verwaltungen noch nicht angekommen sei. Auch sei das Gesetz unter den Bürgern noch nicht ausreichend bekannt, sagte er im Interview mit heise online.

heise online: Hat sich das IFG nach fünf Jahren bewährt?

Peter Schaar: Es gibt eine gemischte Bilanz. Die positiven Aspekte sind: Das Gesetz wird angewandt, es gab bei den Bundesbehörden in den vergangenen Jahren jeweils rund 1500 Anträge. Kurz nach Inkrafttreten des Gesetzes lagen die Antragszahlen etwas höher, da hatte sich offenbar einiges aufgestaut. Die Anfragen werden in der Mehrzahl der Fälle auch positiv beschieden. Über solche positiven Verläufe erfahre ich in meiner Ombudsfunktion häufig nichts. In dieser Funktion erreichen mich eher die Beschwerden. Etwa zehn Prozent der gestellten Anträge landen bei meinen Mitarbeitern. Manche unzufriedenen Antragsteller ziehen direkt vor Gericht.

Können Sie bei den Beschwerden, die Sie erreichen, Abhilfe schaffen?

Schaar: Wir haben vielfach eine Änderung der behördlichen Entscheidung erreicht, den ursprünglichen Anträgen wurde dann doch noch ganz oder teilweise stattgegeben. In vielen Fällen konnte zumindest ein beschränkter Informationszugang gewährt werden, also dass etwa Teile von Akten zugänglich gemacht werden konnten, beispielsweise auch ohne Kopiermöglichkeit.

Wird das Gesetz von den Bürgern angenommen?

Schaar: Der Bekanntheitsgrad lässt zu wünschen übrig, vor allem, wenn ich es mit meinem anderen Aufgabenbereich Datenschutz vergleiche. Viele wissen noch gar nicht, dass es einen Anspruch gibt auf Zugang zu öffentlichen Verwaltungsakten, für den eine persönliche Betroffenheit nicht erforderlich ist.

Es wird oft kritisiert, dass das Gesetz ein zahnloser Tiger sei aufgrund seiner zahlreichen Ausnahmeregelungen. Wie steht es um die durchsichtige Verwaltung?

Schaar: Die Behördentransparenz hat sich verbessert. Richtig ist aber auch, dass es nach wie vor zu viele Ausnahmetatbestände gibt. Bisweilen suchen die Behörden geradezu nach einem Anhaltspunkt, wieso sie bestimmte Informationen nicht herausgeben können. In vielen Verwaltungen ist die Botschaft des Gesetzes, dass mehr Transparenz nötig ist, bedauerlicherweise noch nicht angekommen.

Wie erklären Sie die vergleichsweise geringe Zahl der Anträge auf Akteneinsicht bei gleichzeitig recht vielen Ablehnungsbescheiden?

Schaar: Die begrenzte Zahl der Anträge ist ganz wesentlich durch den mangelnden Bekanntheitsgrad des Gesetzes zu erklären. Aus diesem Grund beschränkt sich auch die Kenntnis über die durch das IFG eröffneten Möglichkeiten für die Bürger, mehr über die Hintergründe behördlicher Entscheidungen zu erfahren, auf relativ wenige Insider und Fachleute. Dass 2010 schätzungsweise ein Drittel der Anträge nicht oder nicht vollständig beauskunftet wurde, hängt aber sicher auch mit den vielen Ausnahmetatbeständen zusammen.

Wo muss dringend nachgebessert werden?

Schaar: Ich sehe da mindestens drei Punkte, die zu mehr Informationszugang führen würden: Anfragen dürfen derzeit abgelehnt werden, wenn dadurch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse enthüllt werden könnten. Dabei ist nicht einmal klar, was darunter zu verstehen ist. So sollte verdeutlicht werden, dass eine gesetzeswidrige Praxis bei Unternehmen nicht darunter fällt. Im Verbraucherinformationsgesetz ist das bereits der Fall. So wäre es in diesem Bereich nicht mehr möglich – wie vor einigen Jahren durch ein Gericht festgestellt worden war – Auskünfte über die systematische Unterschreitung der Füllmengen von Getränken unter Berufung auf das Geschäftsgeheimnis abzulehnen.

Wie könnte eine weitere Lösung für diesen Punkt aussehen?

Schaar: Wichtig ist mir auch, dass ein "Public-Interest-Test" eingeführt wird: Ihm zufolge müsste abgewogen werden zwischen öffentlichem Interesse an der Herausgabe der Informationen und dem Geheimhaltungsinteresse von Unternehmen. Wenn jemand in großem Umfang öffentliche Mittel erhält oder an der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen teilnimmt, sollte wegen des überwiegenden öffentlichen Interesses die Information nicht mehr verweigert werden. Ich halte es für widersinnig, wenn im IFG die Geschäftsgeheimnisse stärker geschützt werden als personenbezogene Daten, für die das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gilt. Bei letzteren steht nämlich schon heute eine Abwägungsklausel im Gesetz. Das heißt, sie sind nicht von vornherein von Informationsansprüchen ausgenommen.

Wie lauten Ihre weiteren Korrekturvorschläge?

Schaar: Ich trete dafür ein, dass Verträge, die die öffentliche Hand mit Privaten schließt – insbesondere wenn es um die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen oder staatlicher Infrastrukturen geht – grundsätzlich veröffentlicht werden. Wenn es um "Public Private Partnership" geht, liegt es nahe, dass die Öffentlichkeit erfährt, unter welchen Konditionen welche Leistungen vergeben oder Projekte durchgeführt werden. So kann man auch der Gefahr vorbeugen, dass über "Outsourcing" staatlicher Leistungen an Unternehmen das IFG leerläuft, da es ja nur für öffentliche Stellen gilt. Je mehr sich der Staat privater Dienstleister oder Lieferanten bedient, desto schwieriger ist es heute, das nachzuvollziehen. Der Bundestag könnte sich ein Beispiel am Berliner Abgeordnetenhaus nehmen, das die landeseigene Regelung zur Akteneinsicht entsprechend nachgebessert hat.

Was ist Ihr dritter Punkt?

Schaar: Drittens fordere ich eine aktive Informationspolitik im Sinne von Open Data. Dabei sollten Verwaltungen nicht warten, bis eine Anfrage eingeht, sondern von sich aus tätig werden. Ein erster Schritt könnte sein, Informationen, die bereits einmal bereitgestellt wurden, generell öffentlich zu machen, gemäß dem Prinzip "Access for one, access for all". Zudem sollten auch sehr viel stärker die Grundlagen von Entscheidungen und sonstiger Informationen, die die Öffentlichkeit betreffen, von vornherein veröffentlicht werden. Bei "Stuttgart 21" wäre es sicherlich hilfreich gewesen, wenn die Hintergründe des Bauvorhabens auch über das Planfeststellungsverfahren hinaus zugänglich gemacht worden wären. Selbst bei Expertengutachten weigern sich Behörden häufig – zum Beispiel unter Berufung auf das Urheberrecht der Sachverständigen – die Schriften vollständig publik zu machen. Mit gutem Beispiel voran geht hier die Bundesagentur für Arbeit. Sie hatte sich anfangs schwergetan, fachliche Weisungen herauszugeben. Seit einiger Zeit stellt sie diese alle von sich aus ins Internet. Damit hat sich auch die Zahl der Beschwerden deutlich verringert.

Haben sich die Kosten für die Bürger als Hindernis entpuppt?

Schaar: Die Gebühr kann vor allem abschreckend wirken, weil man sie vorher schlecht einschätzen kann. Gebührenfragen sind zwar nicht das große Thema, aber es gibt dazu durchaus Beschwerden. Bisweilen spielt dabei die wirtschaftliche Lage der Antragsteller eine Rolle. Teilweise sind die Forderungen aber auch objektiv zu hoch. Ich würde mir wünschen, dass der kostenfreie Zugang deutlich erweitert wird. Insbesondere bei der reinen Akteneinsicht sollte der Gebührenrahmen zurückgenommen werden. Kostenfrei sind bisher nur mündliche und einfache schriftliche Auskünfte, auch die Herausgabe weniger Abschriften. Generell kann eine Akteneinsichtnahme mit Gebühren zwischen 15 und 500 Euro zu Buche schlagen. Bei wenig Aufwand sollte ein Informationszugang generell gratis sein.

Wo sehen Sie außerhalb des Gesetzes Verbesserungsmöglichkeiten?

Schaar: Es gibt eine unglückliche Rechtsprechung eines Berliner Gerichts, die ein "Geheimnis des Regierungshandelns" postuliert hat, das so nicht einmal im Gesetz steht. Die entsprechende erstinstanzliche Auslegung haben sich Bundesministerien sehr bereitwillig zu eigen gemacht, während sie bei Urteilen, die den Informationszugang bei abgelehnten Anträgen bejahen, bis zu einer letztinstanzlichen Entscheidung hart bleiben. So wurde das Fahrtenbuch des Dienstwagens von Frau Ministerin Ursula von der Leyen unter Hinweis auf Regierungshandeln nicht herausgegeben. Auch wenn ich diese Praxis schon nach dem jetzigen Gesetz für falsch halte, wäre eine entsprechende Klarstellung sicher hilfreich.

Sollten verschiedene Informationsansprüche aus unterschiedlichen Gesetzen zu einem Bürgerinformationsgesetz zusammengeführt werden, wie es gerade zivilgesellschaftliche Organisationen gefordert haben?

Schaar: Ich halte das grundsätzlich für sinnvoll. Es müsste mindestens eine Harmonisierung geben. Derzeit existieren unterschiedliche Gebührenordnungen, Begrifflichkeiten und Ausnahmetatbestände. Zudem wird die Anwendung des Umwelt- und Verbraucherinformationsgesetzes – anders als beim Informationsfreiheitsgesetz – nicht durch mich kontrolliert.

Hat Geheimniskrämerei in Behörden angesichts Wikileaks und weiterer Whistleblower-Plattformen noch eine Chance?

Schaar: Das Problem ist, dass sich Tendenzen zur Abschottung von Informationen noch verstärken angesichts von Wikileaks. In den USA ist das schon zu beobachten. Die Plattform macht deutlich, wie groß das öffentliche Interesse an internen Informationen über staatliches Handeln ist. Ich hielte es deshalb für völlig falsch, wenn jetzt die Schotten dicht gemacht würden. Rechtsstaatlich nicht hinnehmbar fände ich es, wenn jetzt aus Angst Entscheidungen nicht mehr schriftlich dokumentiert würden. Staatliches Handeln muss gerichtlich und durch die Öffentlichkeit nachvollziehbar sein.

Werden die Konflikte zwischen Informationsfreiheit und Datenschutz mit dem Internet größer?

Schaar: Es wird nicht einfacher, personenbezogene Daten zu schützen, wenn sie erst einmal im Internet gelandet sind. Menschen verhalten sich heute in vielerlei Hinsicht freizügiger im Netz als im realen Leben. Es ist schwierig, hier eine Zweckbindung durchzusetzen wie in den konventionellen Medien. Deshalb halte ich die Diskussion über die zeitliche Befristung von Öffentlichkeit bis hin zum viel beschworenen "digitalen Radiergummi" für sehr wichtig. Persönlichkeitsrechte müssen auch unter sich verändernden technischen Gegebenheiten gewährleistet werden. Dazu brauchen wir angemessene rechtliche Regelungen und effektive technische Instrumente. Dabei ist mir natürlich klar, dass sich ein neues Bewusstsein für Datensparsamkeit und technische Mittel zum Datenschutz nicht einfach mit einem Federstrich per Gesetz durchsetzen lässt. (anw)