Neue Lauschverordnung steht kurz vor Verabschiedung

Die Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) soll am Freitag den Bundesrat passieren, doch von der Wirtschaft hagelt es weiter Proteste.

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Am kommenden Freitag soll der Bundesrat die Novelle der Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) verabschieden, doch von der Wirtschaft hagelt es weiter Proteste. "In wichtigen Fragen wurde die Diskussion leider nicht zu Ende geführt, sondern vom Entwurf nach später verlagert", beklagt Volker Kitz, Rechtsexperte beim Branchenverband Bitkom. Vor allem die vorgesehenen neuen Regelungen zur Überwachung von Nutzern im Ausland an Netzverbindungsknoten hält er "grundsätzlich für verfassungsrechtlich und auch völkerrechtlich sehr problematisch". Scharfe Kritik kommt auch vom Verband der deutschen Internetwirtschaft eco: "Die Provider werden weiter belastet und der Datenschutz leidet", beklagt der Chef der Lobby-Vereinigung, Michael Rotert. Anscheinend solle die Verordnung rasch noch als "Abschiedsgeschenk" von Bundesinnenminister Otto Schily der Wirtschaft präsentiert werden.

Obwohl sich auch zahlreiche Bundestagsabgeordnete gegen den Referentenentwurf aussprachen, verabschiedete das Kabinett das inzwischen 43 Seiten starke und heise online vorliegende Papier im Sommer ohne weitere Debatte mit nur geringfügigen Änderungen. So hält die Regierung etwa weiter an der so genannten Auslandskopf-Überwachung fest. Dabei wäre von dem Beschuldigten oder dem Nachrichtenversender, dessen Telekommunikation überwacht werden soll, lediglich ein bestimmter ausländischer Telekommunikationsanschluss bekannt. Die eigentliche Überwachung könne aber an den Übermittlungsstellen zu Netzen in fremden Ländern und daher noch im eigenen Territorium erfolgen. Entgegen der Schätzungen der Wirtschaft sieht die Regierung nur etwa "zehn bis fünfzehn Betreiber betroffen".

Der Verordnungsgeber entschuldigt sich in der Begründung aber doch selber über die "prinzipbedingte Abweichung" von den eigentlichen Abhörnormen der TKÜV bei der Auslandskopf-Überwachung. Für die technische Umsetzung derartiger, etwa im Rahmen der Terrorismusbekämpfung erforderlichen Lauschmaßnahmen sind zudem keine Festlegungen in der Technischen Richtlinie vorgesehen, welche die Einzelheiten fürs verordnungsgerechte Abhören festlegt. Die Gestaltung der Überwachungseinrichtungen soll vielmehr in Abstimmung mit der Bundesnetzagentur erfolgen. "Die Geheimdienste und Ermittler wollen ständig ein neues Spielzeug", lehnt Rotert die Pläne ab. Dabei hätten die Sicherheitsbehörden oft nicht einmal die nötige Ausrüstung, um die bislang schon gelieferten Abhördaten zu verarbeiten und auszuwerten.

Der eco-Chef scheint einen wunden Punkt zu treffen, denn in der Kabinettsversion der Verordnung wird erstmals ausdrücklich darauf hingewiesen, dass den Sicherheitsbehörden die gewünschten Kommunikationsinhalte nur exakt in dem Umfang übergeben werden dürfen, die in der Überwachungsverordnung genannt sind. Das "Aussortieren" von überflüssigen Daten dürfe nicht der "berechtigten Stelle" überlassen bleiben. Generell bestimmt die TKÜV die grundlegenden Anforderungen an technische Einrichtungen zur Überwachung der gesamten Telekommunikation einschließlich E-Mail und SMS. Sie leitet sich aus dem Telekommunikationsgesetz (TKG) ab. Wer in welchem Fall abhören darf, wird etwa in der Strafprozessordnung oder neuerdings den Überwachungsgesetzen der Länder bestimmt. Die TKÜV entscheidet aber mit, wie die starken Eingriffe in das Telekommunikationsgeheimnis konkret gehandhabt werden sollen.

Streit gibt es nach wie vor auch um die "Kennungen", die fürs Abhören herangezogen werden dürfen. Die Frage, inwieweit die Handy-Gerätenummer IMEI ein gültiger Anknüpfungspunkt für eine Überwachungsanordnung sein kann, hat die Regierung bis zum Erlass der Technischen Richtlinie verschoben. Dafür stellt sie in der Begründung fest, dass beim Überwachen von E-Mails nicht die eigentliche, leicht vom Nutzer veränderbare Adresse entscheidend sein soll, sondern die einer E-Mail-Adresse zugeordnete Benutzerkennung. Unverändert blieb die Passage aus dem Referentenentwurf, wonach bei einer zu überwachenden Kennung aus Mobilfunknetzen Angaben zum Standort des Handys "mit der größtmöglichen Genauigkeit, die in dem das Mobilfunkgerät versorgenden Netz für diesen Standort üblicherweise zur Verfügung steht", zu machen seien. Die Betreiber fürchten, dass sie bald genauere Informationen als die zur verwendeten Funkzelle geben und die Auswertungsfunktionen ihrer Netze drastisch aufrüsten müssen.

Zumindest ein kleines Bonbon für die mittelständischen Provider sieht eine Empfehlung des federführenden Wirtschaftsausschusses im Bundesrat vor, die auf Antrag von Rheinland-Pfalz den Kreis der Firmen einschränken soll, die zur permanenten Vorhaltung der teuren Abhörboxen verpflichtet sind. So sollen gemäß den Landespolitikern Betreiber von Telekommunikationsanlagen, an die nicht mehr als 20.000 Teilnehmer oder sonstige "Nutzungsberechtigte" angeschlossen sind, nicht die aufwendigen Überwachungsvorkehrungen nebst permanentem Bereitschaftsdienst treffen müssen. Zuvor lag die "Bagatellgrenze" bei 1000 Teilnehmern. Davon unberührt bleibt die generelle Verpflichtung, Anordnungen zeitnah umzusetzen. Die prinzipiellen Probleme mit der TKÜV würden mit dieser Entschärfung nicht gelöst, erklärt Rotert.

Ganz aus der Seele spricht den betroffenen Unternehmen die vom Wirtschaftsausschuss angeregte Empfehlung an die Bundesregierung zur Vorlage einer Entschädigungsverordnung. Einen entsprechenden Entwurf hatte Rot-Grün in der vergangenen Legislaturperiode bereits vorgelegt, angesichts der befürchteten Blockadehaltung des unionsdominierten Bundesrats aber wieder zurückgezogen. "Die neue Bundesregierung muss die Entschädigungsfrage nun mit Schwung angehen", fordert auch Kitz. Der Staat müsse von Verfassung wegen die Kosten zur Erfüllung seiner eigenen Aufgaben tragen. Generell sei die Entwicklung hin zum standardmäßigen Einsatz der Abhörkeule "alarmierend". (Stefan Krempl) / (anw)