Die Ausdehnung der Anti-Terrorgesetze und der gläserne Nutzer

Laut dem Entwurf für das "Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz" sollen Geheimdienste neben Verbindungsinformationen auch Bestands- und Nutzungsdaten ohne große Eingriffshürden von Online-Anbietern abfragen dürfen.

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Laut dem Regierungsentwurf (PDF-Datei) für das "Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz" (TBEG) sollen Geheimdienste zusätzlich zu Verbindungs- und Standortdaten aus dem Telekommunikationsbereich erstmals auch Bestands- und Nutzungsdaten von Online-Anbietern ohne große Eingriffshürden abfragen dürfen. Die Bundesregierung begründet den Vorstoß damit, dass "beispielsweise Vertragsdaten bei Internetauktionshäusern und ­Tauschbörsen etwa zum Handel und Vertrieb volksverhetzender Propagandamaterialien erhoben" und derlei Umtriebe besser verhindert werden könnten. Ebenfalls ins Visier der Nachrichtendienste geraten dürften nach Ausstellung der neuen Vollmachten insbesondere viel genutzte Suchmaschinen wie Google und Yahoo oder E-Commerce-Größen wie Amazon.

Die weitgehende Formulierung, die deutlich über die zuvor von der Großen Koalition bekannt gegebenen Eckpunkte der Novelle hinausgeht, findet sich in Paragraph 8a des umstrittenen Gesetzesentwurfs. Er bezieht sich zunächst auf den Verfassungsschutz. Dieser soll laut Absatz 5 bei Telediensteanbietern Auskunft einholen dürfen zu "Merkmalen zur Identifikation des Nutzers", zu "Angaben über Beginn und Ende sowie über den Umfang der jeweiligen Nutzung" sowie Informationen "über die vom Nutzer in Anspruch genommenen Teledienste". Dies entspricht der vollständigen Definition von Nutzungsdaten aus dem Teledienstedatenschutzgesetz und würde komplette Server-Logdateien mit einschließen. Im Folgetext des Entwurfes werden die Befugnisse auch auf den Militärischen Abschirmdienst (MAD) und den Bundesnachrichtendienst (BND) ausgedehnt, die beide im Zuge der Reform hinter dem Verfassungsschutz nicht länger zurückstehen sollen.

"Man glaubt es kaum: das Surfverhalten kommt auf den Präsentierteller und der gläserne Internetnutzer wird Realität", empört sich der Elmshorner Jurist Patrick Breyer über die Pläne. Und dies in Zeiten, in denen sich die Geheimdienste bei der Wahrung von Grundrechten immer wieder unzuverlässig gezeigt hätten. In der Sache würden sich die Begehrlichkeiten auf "alle Daten über die Telefon- und Internetnutzung" beziehen. Dazu komme, dass die Anbieter mit der anstehenden Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten diese mindestens sechs Monate aufbewahren und den Nachrichtendiensten zugänglich machen müssten.

Die Anwendung der Bestimmungen will die Bundesregierung auf die Untersuchung von Bestrebungen und Tätigkeiten beschränken, "die bezwecken, zu Hass oder Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung aufzustacheln oder deren Menschenwürde durch Beschimpfen, böswilliges Verächtlichmachen oder Verleumden anzugreifen und dadurch die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt zu fördern und den öffentlichen Frieden zu stören". Eingeschlossen werden sollen auch Fälle, in denen konkret Gewalt angewendet oder ihr Einsatz vorbereitet beziehungsweise dazu aufgerufen wird. Dies kann sich laut dem Entwurf auch auf die Unterstützung von Vereinigungen beziehen, "die Anschläge gegen Personen oder Sachen veranlassen, befürworten oder androhen". Anordnungen sollen über die entsprechenden Ministerien erteilt werden können. Teilweise ist vorgesehen, später die "G 10-Kommission" des Bundestags, das parlamentarische Gremium zur Geheimdienstkontrolle, zu informieren.

In der Gesetzesbegründung argumentiert die Regierung, dass die Einsicht in die Bestandsdaten die bisher bestehende Auskunftsregelung zu Verkehrsdaten "abrundet". Mit Sorge verweist sie darauf, dass etwa eBay die Möglichkeit biete, "auf seiner Plattform einen eigenen virtuellen 'Verkaufsraum' einzurichten". Entsprechend wäre die Information relevant, ob eine Person dort als so genannter Powerseller registriert ist, also regelmäßig Waren in größerem Umfang an- und verkauft. Dies könne Rückschlüsse auf die Beschaffung von Finanzmitteln zulassen. Im Bereich der Spionageabwehr sieht die Regierung ferner "einen Bedarfsfall beispielsweise gegeben, wenn auf der Internetplattform eines Auktionshauses Patente und technische Zeichnungen eines proliferationsrelevanten dual-use-Produktes angeboten werden". Bei solchen möglichen Waffenhändlern wäre es interessant zu erfahren, "welche Person und/oder Firma sich hinter dem – üblicherweise verwendeten – Anbieterpseudonym verbirgt und ob Informationen über weitere Internetangebote dieser Person/Firma vorliegen".

Auch die bisherigen Auskünfte zu Post-, Telekommunikations- und Telediensten sollen künftig unter der neuen, etwa auch ein Vorgehen gegen Hassprediger erlaubenden Einsatzschwelle der Bestands- und Nutzungsdatenabfrage erteilt werden. Bisher waren diese an die strengeren Voraussetzungen des G 10-Gesetzes gebunden, die einen konkreten Bezug etwa zu terroristischen Straftaten oder zur organisierten Kriminalität erforderten. Die Regierung hält die Erleichterung für angemessen, da "Auskunftsgegenstand keine Kommunikationsinhalte sind und insofern eine andere abstrakte Verhältnismäßigkeitsabwägung" als nach dem normalen Geheimdienstgesetz angezeigt sei. Dass Nutzungsdaten aus dem Web oft mehr Aussagekraft etwa über religiöse oder sexuelle Vorlieben und sonstige Interessen haben können als Gesprächsinhalte, thematisiert der Entwurf nicht. Der "spezifischen Sensibilität" der abgefragten Informationen will man allein "verfahrensmäßig" Rechnung tragen, indem die Kontrolle der Bespitzelung "insoweit bei den am G 10 orientierten Maßgaben bleibt".

Die Opposition kritisierte den Kabinettsbeschluss zum TBEG vergangene Woche scharf. Die FDP-Innenexpertin Gisela Piltz warf der Regierung vor, endgültig die Grenzen grundgesetzlicher Vorgaben zu überschreiten. Die bewährte Trennung zwischen Geheimdiensten und Polizei werde aufgehoben. Eine zunehmende Datenschnüffelei befürchtet auch die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth. Es sei unverfroren, wenn Schwarz-Rot Ausnahmegesetze zur Terrorismusbekämpfung zum Alltagsinstrumentarium der Geheimdienste machen wolle. Die nach dem 11. September 2001 erweiterten Befugnisse haben laut den Grünen nur Begehrlichkeit bei anderen Diensten geweckt.

Siehe dazu auch:

(Stefan Krempl) / (jk)