"Albtraum Vorratsdatenspeicherung"

Bei einer Anhörung der Liberalen in Brüssel liefen Vertreter der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft Sturm gegen die Pläne der EU zur pauschalen Speicherung der bei der Telekommunikation anfallenden Verbindungsdaten der Nutzer.

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Die Pläne des EU-Rates, Telekommunikationsanbieter zur pauschalen Überwachung sämtlicher Datenspuren ihrer Nutzer über Monate und Jahre hinweg zu verpflichten, stießen am heutigen Dienstag im EU-Parlament in Brüssel auf heftigen Widerstand. Bei einer Anhörung der liberalen Fraktion sprachen sich Vertreter der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft entschlossen gegen das heftig umstrittene Vorhaben aus, bei dem es um die Speicherung sämtlicher Verbindungsdaten geht, die bei der Abwicklung von Diensten im Bereich Sprachtelephonie und Internet anfallen. Das "wirtschaftspolitische Thema allererster Güte" betreffe nicht nur die Unternehmen, "sondern auch und insbesondere die Nutzer von Telekommunikationsdienstleistungen", stellte etwa Christiane Eichele im Namen des Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und der Union of Industrial and Employers' Confederations of Europe (UNICE) klar. Der mit der Überwachung einhergehende Vertrauensverlust berge die Gefahr, "dass die Weiterentwicklung der Informationsgesellschaft nachhaltig gehemmt wird".

Die Frage des "Ob" einer Vorratsdatenspeicherung ist für Eichele noch lange nicht entschieden. Der Ministerrat und das Parlament haben ihrer Ansicht nach "das Recht und die Pflicht, erst nach einem demokratisch legitimierten Diskussionsprozess" über die Einführung der kostspieligen Maßnahme zu entscheiden. Auch der EU-Kommission, die momentan an einem eigenen Gesetzgebungsvorschlag arbeitet und mit einer einjährigen Speicherpflicht liebäugelt, warf die Industriegesandte vor, noch keine solide "Rechtsfolgenabschätzung" durchgeführt zu haben. Ein "ausführlicher und konkreter Dialog mit allen Beteiligten" habe noch gar nicht stattgefunden. Generell würde eine Vorratsdatenspeicherung laut Eichele "neue, die Wirtschaft belastende, Maßnahmen" mit sich bringen. Von einer "Harmonisierung" in der EU könne dagegen keine Rede sein, da noch kein Mitgliedsland eine entsprechende umfassende Verpflichtung fest implementiert habe.

Fabian Fahr vom Branchenverband Bitkom ging auf die "mysteriöse deutsche Liste" ein, die als "Kompromisspapier" aus Verhandlungen einer Handvoll größerer Telcos mit der Bundesregierung hervorgegangen sein soll. "Die Industrie hat zu gar nichts zugestimmt", betonte er. Allein die Strafverfolger hätten sich in einem Dokument mit der halbjährlichen Speicherung eines begrenzten Umfangs von Verbindungs- und Standortdaten zufrieden gegeben, gegenüber dem sich die Wirtschaft aber ebenfalls noch reserviert gezeigt habe. Sollte eine Vorratsdatenspeicherung trotzdem weiter politisch gewünscht werden, dürfte sie 180 Tage nicht überschreiten und müsste mit einer "vollen Entschädigung" der betroffenen Firmen einhergehen. Die Lagerung von Informationen über fehlgeschlagene Anrufversuche, der IP-Datenkommunikation im Internet sowie von Standortdaten dürfte zudem auf keinen Fall verlangt werden.

Scharfe Kritik übte auch Klaus Landefeld, Vorstandmitglied im europäischen Providerverband EuroISPA. Er wies auf zahlreiche Unklarheiten im aktuellen Entwurf für einen Rahmenbeschluss hin. So sei im Zusammenhang mit der geforderten Datenspeicherung einmal von allen "öffentlich verfügbaren elektronischen Kommunikationsdiensten" unter der Aufführung sämtlicher Internetdienste von E-Mail über ftp bis hin zu VoIP die Rede. An anderer Stelle würden "Dienste der Informationsgesellschaft" aber ausgenommen. Zudem wies er auf technische Probleme für die Provider hin: Angesichts der Wunschliste bräuchte schon ein mittlerer Netzanbieter unter Berücksichtigung der Zunahme des Datenverkehrs "300 oder 600 mal" mehr Speicherkapazität als heute, um den Auflagen Folge zu leisten. Angesichts der Datenmengen würden die Kosten dafür disproportional in die Höhe wachsen und den Providern bis zu "1200 mal" höhere Rechnungen bescheren. Es handle sich zudem um Rohdaten, die zunächst allein maschinenlesbar seien.

Gus Hossein von Privacy International malte zudem auf Basis einer Stellungnahme zahlreicher Bürgerrechtsorganisation ein dunkles Bild des Überwachungskomplexes, in den sich die EU mit der Beschattung sämtlicher Bewegungen der Nutzer elektronischer Medien verwandeln würde. Ähnlich bezeichnete auch Andreas Gebhard vom Newthinking Network in Berlin die Vorratsdatenspeicherung als "Albtraum der Zivilgesellschaft". Als "Horrorvorstellung" empfindet er es insbesondere, dass trotz der breit aufgestellten Front gegen die Maßnahme Rat und Kommission weitgehend unbekümmert die Gesetzgebung weiter vorantreiben. Dies werfe kein gutes Licht auf die demokratische Entwicklung der EU. Alexander Alvaro, Berichterstatter für den Rahmenbeschluss im EU-Parlament und Mitglied der Liberalen, hat den Ministerrat bereits offiziell aufgefordert (PDF-Datei), seinen Vorstoß zurückzuziehen. Doch davon wollen die Regierungsvertreter der Mitgliedsstaaten bislang nichts wissen.

Zur Auseinandersetzung um die Vorratsspeicherung dämtliche Verbindungs- und Standortdaten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, E-Mailen, SMS-Versand, Surfen, Chatten oder Filesharing anfallen, siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)