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Was war. Was wird.

Wahre Mutterliebe verträgt an dem schönsten Tag des Jahres eine klitzekleine Kritik, meint Hal Faber aus gegebenem Anlass.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Liebe Mutter, mir geht es gut. Ich hoffe, dass du einen sonnigen Muttertag verbringen kannst und dich etwas von dem großen Erschrecken erholen kannst, der dich befallen hat. Von Vater habe ich zuletzt wenig gehört, er ist noch sehr mit den Folgen der Flutkatastophe beschäftigt. Aber ich bin mir sicher, er wird sich auch noch melden: "Arbeiter, die gegen erhöhte Mieten kämpfen, unterliegen und daraus lernen, die sich gegen den Verlust des Arbeitsplatzes wehren, erfolglos bleiben und daraus Schlüsse ziehen, die schließlich den Streik organisieren, ihre Kraft erkennen und ihre Lage zu ändern beginnen; solche Arbeiter zeigt dieser Film, und er stellt die Frage, warum sie uns nicht alltäglich erscheinen." Ja, warum erscheinen sie uns nicht alltäglich? Warum nennen Finanzzeitungen das Gewerkschafts-T-Shirt obszön, auf dem dein Name nicht als "Incomptence by Management" verhöhnt wird, sondern nur schlicht der Satz steht "8 Mrd $ Gewinn reichen nicht, um meinen Job zu erhalten." Liebe Mutter, du meinst es ja nur gut, wenn du "in Ländern mit langsamem Wachstum die Bürokratie reduzieren" willst. Du musst nur den Menschen richtig und ruhig erklären, dass sie die Bürokratie stellen und nicht mehr die Arbeiteraristokratie. Dass der Shareholder Value es dir gewissermaßen zur ehrenvollen Pflicht macht, die Buchhaltung von Böblingen nach Indien auszulagern. Und dass du Outsourcing-Spezialistin natürlich den anderen zeigen musst, wie das geht. Die Vorbildfunktion von IBM ist doch ein toller USP.

*** Liebe Mutter, vor 60 Jahren begann die Stunde Null der deutschen Wirtschaft. Das waren harte Zeiten, als sich Degesch praktisch von heute auf morgen von der Zyklon-B-Prozesskette auf Friedensgas umstellen musste, damit Degussa heil davon kommt. Ob Krupp, ob Siemens, ob Thyssen, all die Großen, die Zwangsarbeiter beschäftigten, werden in der Extraausgabe der Financial Times Deutschland zur Stunde Null gefeiert. Statt Geburtstagstorte gibt es einen imposanten Stammbaum der deutschen Wirtschaft. Nur dich, Mutter, haben sie vergessen. Dankt denn niemand mehr deiner Meisterleistung, IBM und Dehomag wie zwei völlig verschiedene Firmen aussehen zu lassen, damit bis ganz zum Ende genügend Lochkarten nach Auschwitz geliefert werden konnten? Ich weiß, solche Nickligkeiten können den Muttertag und den "Tag für die Demokratie" nicht wirklich stören. Schon die bezaubernde Formel ist doch etwas anderes als das "Nieder mit dem Krieg". Wer MEADS braucht, braucht keinen Mut mehr, solche Parolen zu pöbeln.

*** Liebe Mutter, wahre Mutterliebe verträgt an dem schönsten Tag des Jahres eine klitzekleine Kritik. Weißt du noch, damals, wie du OS/2 geherzt und umsorgt hast, da haben es einige nicht verstanden, wie harsch du manchmal mit dem Baby umgegangen bist. Ja, du wolltest es abhärten, weil du wusstest, zu was die Barbaren aus Seattle im Stande waren. Ein Kraftprotz sollte OS/2 werden, trotz der schwachen Kondition und unglücklicher API-Anlagen. Als das Baby mit dem Kosenamen "Warp" etwas zu blühen begann, hast du dich abgewendet und dich lieber mit Monterey beschäftigt. Nun weißt du ja um die Konsequenzen, mit diesem Prozess, in dem dir hin und wieder Sachen gelingen, für die ich stolz auf dich bin. Welcher Edelmut, den gegnerischen Anwälten einen ganzen Server zu schenken, konfiguriert und mit der ganzen Bemutterungs-Software bespielt. Ist es bei dieser generösen Geste nicht etwas kleinkariert, bei den gleich mit verschenkten Passworten den Namen sc0root1 statt SCOroot zu schreiben? Sind denn alle Nullen? Diese deine Nickligkeit ist unnötig, schließlich wird SCO bei der kommenden Konferenz der NYSSA als der New Internet Leader gefeiert. So ist das mit den Zarten und ganz Harten.

*** Liebe Mutter, dein Hal ist nicht besonders brav gewesen. Wie Zugehonkel Max schrieb, bin ich dem verhassten Fluch des Fleisches gefolgt und war nicht mehr die verhinderte Maschine, als ich meinen treuen Leser in der vorigen Woche erklärte, dass sie mich mal teeren und federn können, weil ich parteilich schreibe. Ja, das war schon emotional und das schickt sich nicht im Journalismus. Ärsche dürfen nur in Blogs, diesen Labereien der an Wikipedia glaubenden Nichtse straflos Ärsche genannt werden. Das fördert die unterrichtliche Nutzung des Internet. Der belegbare Zusammenhang hingegen, dass die Staatsanwaltschaft mit ihrem Strafbefehl eindeutig die Mitgründerin von Stop1984 belangt und nicht eine x-beliebige Almosenempfängerin, die gefehlt hat (ja, ja), wird mir als Verschwörungstheorie noch lange nachhängen. Aber bitte, was sollen diese Nickligkeiten am Muttertag? Trifft es sich nicht gar wunderbar, dass vielleicht Stop1984 gefährdet ist, wir dafür aber wieder eine Bürgerrechtspartei F.D.P. haben, die den Großen Lauschangriff abschaffen wird, wenn Wester- unser aller Kanzlerwelle geworden ist und Müntefering in Kanada Heuschrecken züchtet? Sind noch Steigerungen möglich? Cornelia Pieper als Schirmherrin der Big Brother Awards? Entdeckt die CDU das Ahlener Programm?

*** Liebe Mutter, ich weiß, dass dein Mutterherz immer etwas schneller schlägt, wenn du von diesem netten Steve Jobs hörst, dem Rächer im schwarzen Pullover. Nun ist ein weiteres Buch draußen, in dem Steve Jobs zugibt, dass es Apple ohne seine LSD-Trips nie gegeben hätte und ihm seine LSD-Erfahrungen heute noch nutzen, ein Produkt wie den iPod Shuffle zu entwerfen. So triumphiert der zugedröhnte menschliche Geist über die künstliche Intelligenz, die nur bei der Todesstrafe nützliche Dienste leistet.

*** Du weißt, ich wollte immer Journalist werden, aber nicht so ein Depp wie Baby Schimmerlos, der Texte über Paris Hilton schreibt, die sich eh nur die Fotos ansieht. Ich wollte schon immer hingehen und mit den Leuten reden. Doch davon gibt es noch eine Steigerung, nämlich ein Journalist sein, der lässig morgens im Bademantel vor die Kamera tritt und den Leuten erzählt, was wirklich Sache ist in der Welt. Das durfte nur einer, Bob Hunter in Toronto. Einem der ganz großen Journalisten nahmen sie in dieser Woche den Griffel aus seinen harten, kalten Händen. Doch in jedem Tod steckt ein Arsch oder ein Anfang, das wusste schon Geburtstagskind Robert Johnson, der von den Super-Oldies Cream gespielt wurde. Und nein, dies ist keine Anspielung auf Uschi Glas, Mutter. Einen schönen Tag noch wünscht Dir Dein Hal.

Was wird.

Wir haben uns nicht, das war zur Papst-Kolumne ein kleines Bloch-Zitat. Doch wir haben schon das HeiseForenWiki und seit neuestem auch die HeiseForenComics. Was wir nicht mehr haben, ist die Bekanntschaft von sophist, Geburtshelfer von 547 Unternehmen. Hätte er die Zeit nicht mit Hal Faber verschwendet, wären es sicher mehr. Was wir hingegen haben werden, das ist die Gesundheitskarte. In der nächsten Woche gibt es mehrere Kongresse, die dieses auf Karte gepresste Schlangenöl verkaufen. Am schönsten klingt es noch bei der Initiative D21, die nicht einmal das Wort Gesundheitskarte richtig schreiben kann, aber mit den Journalisten den Kommunikationsprozess begleiten will.

Ach ja, der Papst, die Mutter aller Katholiken: Spannend wird es in der Kommunikationsposse um Herrn Ratzinger, den die Kollegen von der Fraktion 1001 unentdeckte Windows-Tipps begleiten. Momentan steht es 1:0 für Wikipedia. Dabei stellt sich die Frage: Warum soll der Brockhaus eigentlich nicht die Wikipedia benutzen, unter voller Anerkennung der Lizenzbestimmungen? Das wäre die Anerkennung, dass hüben wie drüben nur der heiße Lötkolben in den kalten Kaffee gehalten wird. (Hal Faber) / (anw)