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Was war. Was wird.

Das Prinzip Hoffnung hinterlässt Spuren, auch in der IT-Branche und den bunten Medien. Denn sind wir nicht alle ein bisschen ... Nein, wir sind alle Hal Faber, hofft Hal Faber.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wir sind Papst. Das muss man sich einmal vorstellen. Nicht Joseph Ratzinger, nein: Wir sind Papst. Ich bin Papst, du bist Papst, wir sind Papst. Der Erster-Poster ist Papst, der Linux-Troll auch, Kapitalismusfreund Yens sowieso schon länger. HenryPym ist Papst, HelpDesk ein dichtender Papst und die Junkies von Einstein@Home sind die offiziellen Prozessor-Päpste. Ich bin Papst. Das ist das Schöne am Menschen, dass man jederzeit Papst sein kann. Über die katholischen Atheisten hieß es zum Tode unseres Vorgängers im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung (das längst zu kostenpflichtigem e-Paper erstarrt ist): "Auch seine Unaffizierbarkeit durch den Zeitgeist beeindruckte den katholischen Atheisten. Es ist genau diese Bockigkeit, die ihn für den katholischen Atheisten vor der viel glatteren, widerstandslosen Heiligkeit eines Dalai Lama auszeichnete." Ommmm, ommmm ist out, der Rosenkranz in. Schön ist auch, den Teufelchen in der Hölle (alle Atheisten haben eine Hölle) ein Schnippchen zu schlagen. Kein Papst wird im Jenseits für die Artikel ausgepeitscht, die OS/2 loben, selbst wenn er es verdient hätte. Wir sind Papst. Wir sind besser. Und, wenn schon die taz fragt, ob Gott ein Deutscher ist, dann gibt es darauf nur eine Antwort, die teleologisch korrekt ist: Wir sind Weltmeister. Wirklich. Vorbei sind die Zeiten, an denen keiner an Gott vorbei konnte außer Stan Libuda. Wir sind Papst und können jeden Gott locker ausdribbeln. Wir sind dank Bild also ein Volk von Päpsten. Wie wäre es mit einem kleinen Konklave, das die Abschaffung von Gott beschließt? Nicht, dass wir Päpste danach führerlos sind. Wir haben ja noch Mathias Döpfner (42), Chef des Konzerns, der die Vergesellschaftung des Papsttums betreibt. Während Joseph Ratzinger dieser Tage zu Benedikt XVI. gewählt wurde, bekam Döpfner den Titel Sprachwahrer des Jahres. Was wahrlich schwerer ist als urbi et orbi zu segnen. Wir Päpste machen Urbi's Frittenbude und Orbi's Radschlag auf und warten -- würde ich mal so sagen -- auf Döpfner's Wahre.

*** Wir sind Papst. Benedikt 273469., Benedikt 273470., Benedikt 273471., Frauen zählen nicht. In einem Land mit der Hauptstadt Berlin, wo mehr Moslems als Katholiken wohnen, ist das Mitpapstsein natürlich eine große Verpflichtung. Talar gegen Kopftuch, lautet ab sofort die Parole. Wir sind natürlich ganz Bild. Wir wollen eine ganz besonders gute Kirche sein und wie alle anderen Kirchen behandelt werden, fordern deutsche Zeitungsverleger und Rundfunker in einer Erklärung. Wir Papstmacker müssen schon darüber entscheiden können, ob die zu Tage tretende Weltanschauung eines Mitarbeiters mit der Tendenz zur unaufhaltsamen Christianisierung der Rest-BRD zu vereinbaren ist. Wenn die Medien schon Kirchenersatz sind, dann aber auch richtig. Wir papstseinsollende Leser brauchen einen Halt, und der kommt nun einmal auf den Resten toter Bäume oder über die Klingelton-Kundeninterfaces des Privatfernsehens.

*** Doch Päpste sind nicht alles, was dieses unsere Land zu bieten hat. Deutschland ist ein Land der Opfer, derer man gerne und ausdauernd gedenkt. Auf allen Programmen wird die Flucht und Vertreibung so inszeniert, dass die Freude über den Untergang von Nazideutschland vom Jammern des Mördervolkes verdrängt wird. Sind wird denn allesamt Päpste mit der Gnade der späten Geburt? Die Frage stellt sich mit Schärfe an einem Datum wie dem 24. April, an dem vor 90 Jahren 2345 armenische Führungskräfte verhaftet wurden. Was folgte, waren Todesmärsche, die zwischen 800.000 und 1,5 Millionen Armeniern das Leben kosteten. Wie bei uns sind auch in der Türkei die Todesmärsche ein verdrängtes Thema, sieht man sich gerne als Opfer internationaler Vorwürfe. Was bleibt, ist die schwierige Aufgabe, immer wieder die alten Geschichten herauszukramen, auch wenn die Türkei, papsttechnisch gesehen, ein islamisches Fundament hat.

*** Zu den eher unchristlichen Erkenntnissen dieser Woche gehört die von Hewlett-Packard veröffentlichte Studie zur Info-Mania, dass der Versand von SMS schädlicher ist als regelmäßiges Kiffen. Während der IQ dabei nur um 4 Punkte abraucht, sinkt der Quotient bei der SMS-Kommunikation um 10 Punkte. Soweit die gute Nachricht, doch der Schock kommt noch: E-Mail macht genauso blöde. Was die Forscher über die Teilnahme an Foren herausgefunden haben, wurde erst gar nicht veröffentlicht. Dabei lodert hell die Flamme des Fortschritts, gerade hier beim Tendenzbetrieb Heise, wo nur noch die Zahl der Kommentare angezeigt wird und nicht mehr der letzte Fischwurf.

*** Ehe die Beweihräucherung für Spezialpäpste zu weit geht, bleiben wir beim Wort zum Sonntag. Wir sind besessen von den Dingen, die wir nicht ändern können. Der Tod und das Wetter gehören dazu. Die Kosmogenie lehrt, dass über dem Papst die Engel schweben, darüber die Wettersatelliten und noch höher die Kachelmänner. Wir mögen vielleicht fast wie ein trollfester Haruspiker die Zukunft aus einem Wiener Schnitzel auslesen können, doch müssen wir beim Wetter passen. So gesehen ist es richtig, wenn das öffentliche Wetter bald auch bei uns vom privaten Wetter abgelöst wird wie das öffentliche Fernsehen von den Klingeltönen mit Handlung drumrum. Zahlreiche Beispiele zum 35. Jahrestag beweisen es: Diese Erde ist nicht genug privatisiert, so sehr sich Firmen wie Apple auch anstrengen.

*** So ist das halt als Papst, unfehlbar, aber nicht allmächtig müssen wir uns immer noch mit den musikalischen Retorten-Schabracken herumschlagen, mit denen ausgerechnet Universal auch noch die Internet-Downloads forcieren will oder denen sich nun auch Annette Humpe, Schwester der popschlagernd zuerst comebackenden Inga Humpe, mit neudeutsch-seichtem Softsoul annähert. Wir sind Petersen, würden wir gerne sagen, aber nein, das können wir nun nicht mehr werden, wir müssen uns mit unserem Papstsein begnügen, denn einen Nachfolger für den großen Dänen mit dem endlosen Namen gibt es nicht. Einer der größten Jazzbassisten (nicht allein körperlich) hat uns verlassen. Mag man auch von seinem Hauptbrötchengeber Oscar Peterson halten was man will -- Niels-Henning Ørsted Pedersen schaffte es, auch dessen Jazzschlagern Haltung und Rhythmus einzuhauchen. Das swingte, nicht nur beim C-Jam Blues. Und er machte große Musik, etwa mit Albert Ayler oder Paul Bley oder Aki Takase oder mit eigenen Bands.

*** Da wir Postsakulären nun alle Papst sind, müssen wir natürlich Jürgen Rüttgers zustimmen: Die katholische Kirche ist das Geilste wo gibt. Bei der letzten Wahl in Nordrhein-Westfalen hetzte Rüttgers als CDU-Mann die IT-Branche mit dem seltsamen Slogan "Kinder statt Inder". Das geht diesmal nicht, weil die FDP mit den ebenso schwachsinnigen Slogan "Kinder fördern statt Steinkohle" unterirdisch argumentiert. In Erwägung der Tatsache, dass unser aller Münte bei der SPD die Heuschreckenschwärme des Kapitalismus entdeckt hat, all die Franzes, Gerde und Utens, die Lafontaine wegpatscht und Maxximo Leader Castro nie gesehen hat, muss man als Papst einfach ruhig bleiben. An die Mitpäpste und (hier erweitern wir den Katholizismus ganz im Sinne der Bild-Zeitung) Mitpäpstinnen darum die heitere Aufforderung: Ran an die Rosenkränze! Damals mit Luther passierte ein schrecklicher Fork, davor blieben die Juden bei ihrem Betriebssytem, danach verhedderten sich die Moslems im Aramäischen. Die letzten hartnäckigen Atheisten werden sicher durch das Argument überzeugt, dass Linus Torvalds' Schwester zum Katholizismus konvertierte: Wir sind wieder wer. Wir sind Papst, Weltmeister, 1-Euro-Jobber, 50-Cent-Zeitungskäufer: Habemus Papam Germanicum. Doch wie lange hält so ein Gefühl eigentlich an? Wenn 2015 der nächste Papst gewählt wird, wird man dann meinen Thinkpad aus meinen kalten, starren Fingern puhlen müssen? Wird man endlich Dvoraks amerikanisches Streichquartett F-Dur spielen oder nur eine Tastatur rauskramen? Eine spannende Frage.

Was wird.

Wir sind Papst. Doch wir haben uns nicht. Darum werden wir erst. (Hal Faber) / (jk)