Kommentar: Das neue iPhone ist Modellpflege ohne Visionen

Das iPhone 5 ist Futter für Fans und Aktionäre, es macht alles besser, was die alten iPhones ausgezeichnet hat. Tolle Kamera, tolles Display, tolles Smartphone. Trotzdem fehlt was.

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Das iPhone 5 ist Futter für Fans und Aktionäre, es macht alles besser, was die alten iPhones ausgezeichnet hat. Das größere Display ist toll, keine Frage, vor allem in Kombination mit dem so niedrigen Gewicht. Gegen eine Verbesserung der ohnehin schon guten Kamera hat ebenfalls niemand was. Auch LTE ist eine tolle Technik. Trotzdem fehlt was.

Besser als das iPhone 4S, aber nicht gut genug, um Android-Fans zurückzugewinnen.

Apple entwickelt das iPhone konsequent weiter: Wer mit den bisherigen Modellen glücklich war, wird jetzt noch glücklicher. Das iPhone 5 wird weggehen wie warme Semmeln. Tolles Smartphone. Doch es fehlt eine Vision, ein neues Killer-Feature. So wird Apple keine neuen Nutzergruppen erschließen. Keines der Probleme, die die Leute zu Android treiben, versucht Apple zu lösen.

Denn die Musik spielt mittlerweile woanders: Auf dem Samsung Galaxy Note kann man Notizen und Scribbles mit einem Stift festhalten. Das Nokia Lumia 920 soll man mit Handschuhen bedienen können, zudem hat die Kamera einen mechanischen Bildstabilisator. Apples Siri versteht Fragen, doch Google Now liefert direkt die Antworten, ohne dass man fragen müsste. Das Bezahlen per Handy hat Apple nicht voran getrieben, ja nicht einmal auf dem Stand der Konkurrenz implementiert. Fehlanzeige auch beim drahtlosen Laden oder beim günstigen Aufstocken des Speichers erst bei Bedarf (eine Micro-SD-Karte mit 64 GByte kostet 50 Euro).

Stattdessen nur eine Aufholjagd: Dualband-11n gehört bei High-End-Smartphones schon länger zum guten Ton. Panorama-Fotos liefern andere schon lange mit, das war per App eh gelöst. LTE kommt in drei Versionen, die je nur drei Bänder können, funktioniert aber trotzdem nur bei einem Provider – da sind andere weiter. Mit den Neuerungen der Navi- und Karten-App kaschiert Apple nur den Wegfall von Google Maps, das mit der Android-Version schon lange nicht mehr mithalten konnte.

Die neue proprietäre Buchse zwingt Besitzer von Zusatzhardware zum Adapterkauf, statt bestehende Standards wie MicroUSB oder MHL zu implementieren. Bei der Displaygröße wird dem Kunden mal wieder eine einzige Lösung als ideal vorgesetzt, statt ihm die Wahl zu lassen – das kann Apple doch schon bei den eigenen Produkten besser, beispielsweise den vier iPod-Größen, den dreien bei Notebooks oder den zwei iMac-Modellen. Günstigere Preise erwartet man ja schon gar nicht mehr.

Mit Evolution statt Revolution kann man ja leben – niemand erwartet ernsthaft jedes Jahr einen so gewaltigen Schritt wie beim ersten iPhone – aber das iPhone 5 wirkt wie eine Resignation vor der Android-Übermacht: Kein Schritt hin zu wirklich konkurrenzfähigen Preisen, zu (wirklich) großen Displays, vielleicht zu einer zweiten Modellreihe. Kein Hinweis, dass so eine Revolution, wie iTunes im Musik- und Videoangebot war, auch beim allgemeinen Bezahlen kommt.

Gegen Android kommen nur die Anwälte zum Einsatz, aber nicht mehr die Entwickler und Visionäre. Apple ruht sich auf dem Erfolg der ersten Generationen und auf dem weiter unbestritten gut funktionierendem Ökosystem mit unerreicht riesigem Medienangebot aus. Nach den markigen Werbesprüchen der Vorjahre, wieder einmal alles zu ändern, schreibt Apple jetzt nur noch "Das größte, was dem iPhone passieren konnte" auf die Homepage. Selbst dem Werbetexter fehlen Visionen. (Jörg Wirtgen) (jow)