Schweden will Provider im Kampf gegen Filesharing einspannen

In einem Bericht für Justizministerin Beatrice Ask schlägt eine hohe Richterin vor, die Zugangsanbieter beim Kampf gegen Urheberrechtsverletzungen in die Pflicht zu nehmen: Sie sollen ihren besonders P2P-aktiven Kunden den Zugang sperren.

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In der Piratenbucht stehen die Zeichen weiter auf Sturm, und wieder sorgt die schwedische Justiz für Wellengang. Nach einigen erfolglosen Versuchen, die rund um den Globus beliebte Torrent-Suchmaschine vom Netz zu nehmen, sondiert die schwedische Staatsmacht weiter ihre Optionen. In einer offiziellen Bestandsaufnahme für die Regierung empfiehlt die Berufungsrichterin Cecilia Renfors, die Zugangsanbieter bei der Bekämpfung der Piraterie stärker in die Pflicht zu nehmen. In dem Bericht "Musik und Film im Internet – Bedrohung oder Chance?" spricht sich die Juristin dafür aus, dass Provider ihren Kunden, die mit ausgedehntem Filesharing auffallen, den Zugang sperren sollten.

Renfors schlägt vor, "dass Internetprovider verpflichtet werden sollten, ihren Beitrag zur Beendung sämtlicher Urheberrechtsverletzungen zu leisten". Damit meint sie keinen finanziellen Beitrag: Den Vorschlag, die Zugangsanbieter mit einer pauschalen Urheberrechtsabgabe zu Gunsten der Inthalteindustrie zu belegen, lehnte die ehemalige Vorsitzende der schwedischen Rundfunkkommission ab. Mit einer solchen Gebühr würden Rechteinhaber zwar entschädigt, aber der Kontrolle ihrer Rechte beraubt. Stattdessen sollten die Provider den Zugang von Kunden sperren, "die das Internet nutzen, um urheberrechtlich geschütztes Material in großem Stil zu verteilen". Zwar sei auch der Download nicht gerade erlaubt, doch solle ein solcher Verstoß nicht ausreichen, um den Zugang zu sperren. Unklar bleibt indes, was "in großem Stil" in diesem Zusammenhang bedeutet. Doch geht es offenbar um Intensiv-Sharer, die ihren Esel rund um die Uhr knechten: Eine solche Sperre, meint die Richterin, würde es vielleicht ein paar Mal pro Jahr geben.

Immerhin sollen die ISPs nach Renfors Vorstellungen nicht selbst nach besonders aktiven Filesharern fahnden. Vielmehr sollen sie nur auf Initiative der Rechtinhaber tätig werden. Sollten die Provider dem allerdings nicht nachkommen, soll der Rechteinhaber vom ISP eine Entschädigung verlangen können. Kein Wunder, dass die Branche nicht gerade euphorisch reagiert. "Das ist ein schlechter Vorschlag, ineffektiv und vom Prinzip her falsch", sagte der Chef des schwedischen Providers Bredbandsbolaget, Marcus Nylen, der Online-Zeitung The Local. Der Manager fragt sich zudem, wie das in der Praxis funktionieren soll. Ein Zugangsanbieter habe keine polizeilichen Befugnisse und könne nicht prüfen, wo sich die Kunden im Netz gerade rumtreiben. Der Verband der schwedischen IT-Industrie hat eine Anfrage von heise online bisher nicht beantwortet.

Der auf Initiative von Justizministerin Beatrice Ask entstandene Bericht setzt die bisher erfolglosen Bemühungen der schwedischen Regierung fort, dem Filesharing in Schweden neue Grenzen zu setzen. Das relativ liberale schwedische Recht macht es den Behörden bisher sehr schwer, effektiv gegen massive Urheberrechtsverletzungen vorzugehen. Schweden ist dank dieser Gesetzeslage Heimat eines der Erzfeinde der Film- und Musikindustrie: ThePirateBay, einer der größten Bittorrent-Seiten der Welt, operiert keck unter schwedischer Jurisdiktion. Wie zum Spott der Inhalteanbieter, die seit Jahren vergeblich gegen die schwedischen Freibeuter vorzugehen versuchen, hat sich die PirateBay zuletzt einen Zwilling zugelegt. Auch der beliebte Tracker Suprnova, nach Ärger mit den Behörden Ende 2004 vom Netz genommen, segelt nun unter schwedischer Piratenflagge. Bei der Vorstellung der Betaversion sparten die Betreiber nicht mit Provokationen für die Inhalteindustrie, die sie für einen scheintoten Riesen ohne Zukunft halten.

Auch wenn ähnliche Theorien, weniger krass formuliert, von durchaus seriösen Beobachtern geteilt werden, führt die provokative Haltung der PirateBay-Betreiber in einen Konflikt, den sie auf Dauer nicht gewinnen können. Die Tatsache, dass insbesondere die Musikindustrie zu einem großen Teil die Verantwortung für ihre eigene Misere trägt, macht die unberechtigte Weitergabe von Musik nicht legitim und schon gar nicht legal. Dass der moralische Kompass der PirateBay nicht mehr ganz eingenordet ist, zeigt auch die jüngste Aufregung um vermutlich kinderpornografische Torrents, die mit Kenntnis der Administratoren zwei Wochen verfügbar gewesen sein sollen. Anstatt anzuerkennen, dass massives Filesharing ein gesellschaftliches Problem ist, zieht sich die Szene gerne auf juristische Spitzfindigkeiten zurück. Natürlich finden sich auf Torrent-Sites selbst keine geschützten Inhalte, sondern nur die Informationen, wo diese zu finden sind. Doch ist Bittorrent auch nicht deshalb so populär, weil es dort nur Selbstgemachtes und Kochrezepte gibt.

Diese ignorante Haltung führt zu einem Wettrüsten mit Justiz und Politik, bei dem die Justiz zu fragwürdigen und manchmal verzweifelten Mitteln greift: Kinderpornografie und Rechtsextremismus waren zwei der Aufhänger, mit denen die Justiz zuletzt gegen PirateBay vorgegangen war. Der Gesetzgeber steht nicht nur in Schweden unter dem enormen Druck der einflussreichen Inhalteindustrie, deren Lobbymacht trotz des Schwundes wirtschaftlicher Bedeutung nicht abgenommen hat. Überall gibt es Bestrebungen, den freien Umgang mit Inhalten zunehmend einzuschränken. Oder schlimmer noch: Der Staat zieht sich machtlos zurück und gibt den Begehrlichkeiten der Industrie nach. In diesem Fall sollen die Provider zum verlängerten Arm der Inhalteindustrie gemacht werden; auch hierzulande wünscht sich die Musikindustrie nichts sehnlicher, als direkten Zugriff auf die Kundendaten der Provider. Den Kalten Krieg ums Copyright verlieren so am Ende nicht nur die Piraten in der Bucht, sondern die ganz normalen Verbraucher. (vbr)