Merkel findet Debatte über Online-Razzien "bedenklich"

Die Kanzlerin ist sich sicher, dass die Union im Streit über die Online-Überwachung bald eine Lösung finden wird, während die Internet-Wirtschaft ihre Kritik an den Plänen Schäubles verschärft hat.

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Nach Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) reißt anscheinend auch bei Kanzlerin Angela Merkel langsam der Geduldsfaden im andauernden Koalitionsstreit um Online-Razzien. Die Diskussion über heimliche Online-Durchsuchungen sei "bedenklich", sagte die CDU-Politikerin angesichts der vehementen Kritik an Schäubles Vorhaben am gestrigen Freitagabend auf einer Regionalkonferenz zum Grundsatzprogramm ihrer Partei in Berlin. Neue Argumente für die geplante Ausforschung "informationstechnischer Systeme" führte Merkel aber nicht an: "Es kann ja nicht sein, dass wir einen Raum ermöglichen, in dem Terroristen sicher sind, dass der Staat dort nicht 'ran kann", erklärte Merkel. Sie wiederholte damit die bekannte Linie der Union. Im Blick auf die SPD meinte die Bundeskanzlerin, "ich bin ganz sicher, dass wir da eine Lösung finden".

Zugleich warb Merkel auch für das geplante gesetzliche Vorgehen der Bundesregierung gegen die Ausbildung in Terrorcamps. Der Staat müsse generell "wehrhaft" sein gegenüber denen, die sich vorgenommen hätten, ihn zu vernichten. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla lobte in seiner Rede, dass Schäuble gegen viele Widerstände immer wieder auf Gesetzeslücken bei der Gewährleistung der inneren Sicherheit hinweise. In dem Grundsatzprogramm warnen die Christdemokraten davor, dass Datenschutz nicht zum "Täterschutz" werden dürfe.

Einzelne Sozialdemokraten hat die Union bereits weitgehend auf ihrer Seite, während Bundesjustizministerin Brigitte Zypries skeptisch bleibt. Der rheinland-pfälzische Innenminister Karl Peter Bruch sagte dem Nachrichtenmagazin Focus: "Wir werden das brauchen", auch wenn die Befugnis voraussichtlich nur in "ganz wenigen Ausnahmefällen" genutzt werde. "Wir können uns nicht dumm stellen." Eine Einigung mit der Union könne es in dieser Frage jedoch nur geben, betonte der SPD-Politiker die Grundlinie seiner Partei, wenn Online-Durchsuchungen "rechtsstaatlich klar geregelt" würden. "Es muss ein Straftatenkatalog dabei sein, die Eingriffsschwelle muss hoch sein, ein Richter muss darüber entscheiden und ähnliches mehr. Mit dem Eindringen in fremde Rechner habe ich unter diesen Voraussetzungen kein Problem."

Bruch zweifelte aber zugleich an dem Versprechung des Bundeskriminalamts (BKA). Dessen Chef, Jörg Ziercke, ging bislang von "acht bis zehn" Einsätzen des sogenannten Bundestrojaners im Jahr aus. "Ich glaube, es wird mehr", räumte der rheinland-pfälzische Minister dagegen ein. Die Techniker seiner Landespolizei hätten prognostiziert, dass in wenigen Jahren der gesamte Telefonverkehr in der Regel verschlüsselt als VoIP abgewickelt werde. Auch dafür müssten Abhörmöglichkeiten geschaffen werden. Der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Jürgen Gehb, schloss nicht aus, dass für Online-Razzien – wie beim großen Lauschangriff – eine Grundgesetzänderung erforderlich sein könnte. Der vom Bundesverfassungsgericht geforderte Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung dürfe aber nicht dazu führen, "dass das Instrument praktisch nicht einsetzbar ist".

Der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Bosbach will derweil Kenntnis davon erlangt haben, dass die Terror-Ermittler vor dem jüngsten Fahndungserfolg 20 Prozent des Daten- und Mobilfunkverkehrs der Verdächtigen aufdecken konnten. Wegen dieser dem CDU-Politiker gering erscheinenden Menge hätten abgesehen von den drei Festnahmen sieben weitere Terrorverdächtige vorerst entkommen können. Zumindest von dem mutmaßlichen Anführer der ausgemachten Anschlagplaner, Fritz G., ist bekannt, dass er zahlreiche Handys benutzte und über weit entfernte Callshops ins Internet ging.

Das aktuelle ZDF-Politbarometer hat derweil sein Scherflein zu der wachsenden Zahl an Umfragen zur Meinung des Volkes zu Online-Razzien beigetragen. Vor dem Hintergrund der Verhaftung mehrerer Terrorverdächtiger glaubt eine Mehrheit der Befragten von 57 Prozent, dass in Deutschland zum Schutz vor Anschlägen genug getan wird. Nur 34 Prozent halten die Schutzmaßnahmen für nicht ausreichend. Für die vor allem von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und anderen Unionspolitikern geforderten heimlichen Online-Durchsuchungen privater Computer sprechen sich dennoch 65 Prozent aus, während solche Maßnahmen 31 Prozent ablehnen. Vergangene Woche hatte eine andere repräsentative Befragung noch ergeben, dass sich Befürworter und Gegner von Online-Überwachungen fast die Waage halten.

Der Verband der deutschen Internetwirtschaft eco hat derweil seine Kritik am geplanten Einsatz des Bundestrojaners verschärft. Es wäre laut der Provider-Lobby für böswillige Angreifer ein Leichtes, das Installationsprogramm des Innenministers zu kapern, um sozusagen "auf dem Rücken der Schäuble-Software" in die Rechner der Bevölkerung einzudringen. "Dann wäre ganz Deutschland unter dem Deckmantel der inneren Sicherheit offen für Online-Spionage aus aller Welt", warnt eco-Geschäftsführer Harald Summa vor den seiner Meinung nach vom Innenressort noch nicht ausreichend bedachten Folgen. Dies gelte umso mehr, als die Sicherheitsbehörden mit dem aktuellen Gesetzesentwurf nicht nur zur Beschnüffelung von PCs, sondern auch von Smartphones, Navigationsgeräten und Servern ermächtigt würden.

"Das Bundeskriminalamt und viele weitere staatliche Stellen rund um den Globus kämpfen gemeinsam mit der Internetwirtschaft für saubere Datennetze", führt Summa seine Bedenken aus. "Würden wir in diese Sicherheitssysteme eine Lücke einbauen, um den Schäuble-Trojaner durchzulassen, käme dies einer Einladung an die Hacker-Gemeinschaft aus aller Welt gleich." Der aktuelle Schlag gegen Phishing-Betrug, den Bundeskriminalamt und Staatsanwaltschaft Bonn landeten, zeigt nach Einschätzung des eco-Geschäftsführers beispielhaft, wie leicht die Glaubwürdigkeit elektronischer Behördenpost zu erschüttern sei. Die Betrügerbande aus Deutschland, Russland und der Ukraine schickte Spionage-Programme zum Ausspähen von Kontodaten unter anderem unter dem Absender bundesdeutscher Behörden wie dem BKA an Verbraucher. Ein ähnliches Verfahren hat das Innenministerium auch zur Installation des Bundestrojaners nicht ausgeschlossen.

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:

Siehe dazu auch die Anmerkungen zur Online-Durchsuchung von BKA-Chef Jörg Ziercke und von Datenschützern auf der Datenschutz-Sommerakademie des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz:

Einen ausführlichen Einblick in die jüngsten Ausführungen des Bundesinnenministeriums zu den Plänen für Online-Razzien und in die Antworten Schäubles auf den Fragenkatalog des Bundesjustizminsteriums sowie der SPD-Fraktion zur Online-Durchsuchung bieten Meldungen im heise-Newsticker und ein Bericht in c't – Hintergrund:

(Stefan Krempl) / (jk)