Jugendschutz im Internet als "Jahrhundertaufgabe"

Bei der Feier des zehnten Geburtstages der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) waren sich Wirtschaft und Politik einig, dass das Modell der "Ko-Regulierung" der richtige Weg, das Ziel aber noch nicht erreicht sei.

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Bei der Feier des zehnjährigen Bestehens der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) am gestrigen Montagabend in Berlin waren sich Wirtschaft und Politik einig, dass das vom Gesetzgeber 2003 beschrittene Modell der "regulierten Selbstregulierung" der richtige Weg hin zu einem kinderfreundlichen Internet sei. Der Jugendschutz stelle im internationalen Netz aber eine "Jahrhundertaufgabe", beim Mobilfunk sogar eine "Jahrtausendaufgabe" dar, plädierte der Präsident der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM), Wolf-Dieter Ring, für weitere Anstrengungen auf beiden Seiten. "Wir mussten erst eine Regulierungskultur mit Unternehmen aufbauen, die das bisher nicht gewohnt waren im Unterschied etwa zu Fernsehanbietern", erinnerte sich der Medienwächter an die Frühzeit der viel gepriesenen, aber auch kritisch beäugten "Ko-Regulierung". Doch in der Zwischenzeit habe die gesellschaftliche Debatte über Jugendschutzprobleme und Wertvorstellungen "sehr viel" bewirkt.

Die KJM, die gemäß dem umstrittenen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) die Aufsicht über die Selbstkontroll-Einrichtungen der Wirtschaft in Rundfunk und Telemedien wahrnimmt, hat in den vergangenen viereinhalb Jahren laut Ring 2000 Aufsichtsfälle abgearbeitet. Als einen der erfolgreichsten Arbeitsbereiche nannte der Jugendschützer die "sehr scharfen" Vorgaben seiner Behörde für Altersverifikationssysteme, die Wirtschaftsverbände wie der BVDW oder der Bitkom ablehnen. Ring meinte dagegen, dass damit "eine Vielzahl sehr intelligenter" Lösungen zum Alterscheck im Netz entstanden seien. Es sei "erstaunlich, was durch harte rechtliche Regelung Kreatives hier entstanden ist".

Ring sieht aber noch erheblichen Arbeitsbedarf. Virtuelle Plattformen wie Second Life sowie mobile Medien "fordern uns in jeder Beziehung heraus", führte er Beispiele an. Großen Ärger mache ferner die Frage nach der Verantwortung der Firmen, welche die "technischen Voraussetzungen für die Verbreitung jugendgefährdender Inhalte schaffen", ging der KJM-Chef zugleich die Zugangsanbieter an. Dies sei ein international heikler Punkt für die in ihrer Form in der globalen Medienwelt "einzigartige" Aufsichtsbehörde. Man werde in der Auseinandersetzung mit anderen, etwa die Meinungsfreiheit höher ansetzenden Kulturen aber nicht den kleinsten Nenner suchen und den deutschen Jugendschutz relativieren. Zugleich kündigte Ring rechtliche Schritte gegen schwarze Schafe in der Branche an: "Bei denen, die sich nicht an die Regeln halten, müssen Verfahren begonnen werden."

Auch Martin Stadelmaier, Chef der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz, sprach von einem "schwierigen Startprozess" der Ko-Regulierung. So habe die Anerkennung der FSM durch die KJM erst einmal zwei Jahre benötigt. Doch auch die Länder hätten "völliges Neuland" betreten und mit dem System die klare Botschaft verbunden, dass das Internet "kein rechtsfreier Raum ist". Die Selbstkontrolle habe aber ihren Raum, da sie angesichts der raschen Veränderung von Inhalten im Netz flexibler und schneller reagieren könne als der Staat. International mahnte Stadelmaier eine stärkere Vernetzung von Beschwerdestellen vergleichbar zum EU-Dachverband Inhope an, um das Schutzniveau zu verbessern. Wichtig sei zudem eine zentrale Durchsetzung der KJM-Beschlüsse durch die Landesmedienanstalten. An einer Aufforderung an die Provider zu vorsorglichen Zensurmaßnahmen kam der Landesvertreter ebenfalls nicht vorbei. Diese sollten es "als ihre Aufgabe begreifen, dass menschenverachtende Inhalte im Netz nichts zu suchen haben".

Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, räumte ein, dass bei dem gefeierten Modell im globalen Netz "ein bisschen Augenwischerei" dabei sei. Der wirksamste Jugendschutz im Internet sei schlicht und einfach die fehlende Sprachkompetenz vieler Heranwachsender für die Nutzung zahlreicher entwicklungsbeeinträchtigender ausländischen Inhalte. Trotzdem halte er den Ansatz für sinnvoll, "weil sich die Partner aufeinander zu bewegen müssen". Als eines der zwei Mitglieder des Bundes bei der KJM monierte er zudem ein Vollzugsdefizit bei der Umsetzung der beschlossenen Verfahren. Hier sollte der Sachverstand der Länder stärker gebündelt werden. Bei der FSM hielt er hin und wieder ein "lautstarkes Wort in die eigene Branche" für nötig. Bei jeder technischen Neuentwicklung habe man den Eindruck, dass die Anbieter den Jugendschutz nach unten schrauben wollen. Da es eine "große Angst vor dem schädlichem Einfluss der Medien" bei Politikern gebe, werde so der "Alarmismus immer weiter angeheizt" und das Vertrauen in Regularien schwinde.

"Wir haben Spuren hinterlassen", hob die FSM-Vorsitzende Gabriele Schmeichel dagegen die Leistungen des Geburtstagskindes und seiner 38 Mitglieder hervor. Als Beispiele brachte sie die freiwilligen Verhaltenskodizes von Suchmaschinen zum Ausfiltern indizierter Inhalte und von Mobilfunkbetreibern ins Spiel. Damit sei die Wirtschaft über die staatlichen Forderungen hinausgegangen, ergänzte FSM-Geschäftsführerin Sabine Frank: "Wir stehen für Standards im Bereich Jugendmedienschutz." Anwandlungen zur Senkung der Schutzlevel sehe man höchstens bei Nicht-Mitgliedern. "Aber auch da sagen wir: So nicht."

Für einen zweiten Ansatz zum Jugendschutz durch die gezielte Schaffung kindergerechter Inhalte etwa in dem von ihm mitinitiierten "Netz für Kinder" rührte Hans Ernst Hanten, Ministerialdirigent beim Medienbeauftragten der Bundesregierung, die Trommel. "Wir müssen den Kindern Grenzen setzen, sie diese aber nicht spüren lassen." Gemeinsames Ziel über Europa hinaus sei es, das Vertrauen ins Netz zu stärken, da sich sonst der Verbraucher den Online-Unternehmen nicht nähere. "Gut" sei aber auch, dass EU-Mitgliedsstaaten mit der novellierten Fernsehrichtlinie "Angebote sperren lassen können". Sonst hätte Deutschland der Reform sicher nicht zugestimmt. Dass die vielfach an dem Abend mehr oder weniger latent angesprochenen Sperrungsverfügungen gegen Websites in einem Rechtsstaat schon allein technisch kaum umsetzbar sind, erwähnte Hanten nicht. (Stefan Krempl) / (jk)