EU-Parlament: Provider sollen "rechtmäßige Inhalte" fördern

Das EU-Parlament hat in erster Lesung umfangreiche Korrekturen am Entwurf der EU-Kommission zur Reform des Telecom-Pakets vorgeschlagen. Die Abgeordneten befürworten eine stärkere Kooperation zwischen Zugangsanbietern und Rechteinhabern.

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Das EU-Parlament hat in erster Lesung umfangreiche Korrekturen am Entwurf der EU-Kommission zur Reform des Telecom-Pakets vorgeschlagen. Vom Tisch sind nach der Abstimmung über die Neuregulierung des Telekommunikationsmarktes zudem Änderungsanträge konservativer Abgeordneter für die direkte Etablierung eines Systems der "abgestuften Antwort" auf Urheberrechtsverletzungen, wonach Internetzugänge nach wiederholten Warnungen per E-Mail gekappt werden sollten. Einer flächendeckenden Internetüberwachung widersetzten sich die Parlamentarier ausdrücklich. Eine große Mehrheit fanden aber Kompromissvorschläge, wonach nicht näher spezifizierte Verfahren zur Kooperation zwischen Internetprovidern und Unterhaltungsindustrie zur Förderung "rechtmäßiger Inhalte" geschaffen werden sollen.

Zugangsanbieter wollen die Abgeordneten anhalten, Informationen über "unrechtmäßige" Internetnutzungen, "die Verbreitung schädlicher Inhalte" sowie Tipps zum Datenschutz nach möglichen Sicherheitsbrüchen bei Online-Anbietern zu verschicken. Ob Inhalte oder Dienste als "rechtmäßig oder schädlich" eingestuft werden, soll den zuständigen Behörden in den Mitgliedsstaaten überlassen werden.

Leicht verändert befürwortete das Parlament andererseits einen von Bürgerrechtlern unterstützten fraktionsübergreifenden Änderungsantrag. Er soll nationale Regulierungsbehörden zur Einhaltung des Prinzips bewegen, dass im Einklang mit der EU-Menschenrechtscharta "keine Eingriffe in die Rechte und Freiheiten der Endnutzer" ohne richterliche Anordnung erfolgen dürfen. Ausnahmen sollen zur Aufrechterhaltung der Integrität und Sicherheit von Netzwerken und zur Durchsetzung von Strafvorschriften gelten. Nicht durchsetzen konnte sich der konservative Berichterstatter Malcolm Harbour zudem mit einem Antrag, persönliche Informationen wie etwa Verbindungsdaten für die Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte freizugeben. "Das verhindert, dass die Provider zu Hilfssheriffs werden", begrüßte Helga Trüpel, grüne Vizechefin des Kulturausschusses im EU-Parlament, diese Klauseln gegenüber heise online.

Insgesamt hat die Mehrheit der Abgeordneten laut Trüpel "unterschiedliche Botschaften" rund um die Verfolgung illegaler Filesharing-Aktivitäten ausgesandt. Daher werde vor einer voraussichtlich anstehenden zweiten Lesung viel von der zunächst folgenden Stellungnahme des EU-Rates unter der französischen Präsidentschaft abhängen. Paris setzt sich für ein System zum Kappen von Internetzugängen nach mehrfachen Warnungen wegen Urheberrechtsverletzungen ein.

Das gesamte Paket umfasst Richtlinien zum Verbraucher- und Datenschutz, eine Direktive über den Zugang zu elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten und eine Verordnung zur Errichtung einer neuen Aufsichtsinstanz. Es soll prinzipiell die Rechte der Konsumenten verbessern sowie die Frequenzvergabe modernisieren. Um zu garantieren, dass der neue Rechtsrahmen EU-weit einheitlich umgesetzt wird, hat das Parlament die Schaffung eines Gremiums der Europäischen Regulierungsbehörden für Telekommunikation (BERT) gefordert. Die Abgeordneten erhoffen sich davon eine Vereinfachung der bisherigen Kooperations- und Abstimmungsverfahren, mit denen sich die bisherige Gruppe Europäischer Regulierungsstellen (ERG) schwertut. Die Kommission wollte anfangs eine zentralistischer angelegte, eigenständige EU-Regulierungsbehörde. Offen ließen die Abgeordneten die Finanzierung von BERT. Die Grünen drängen hier auf eine Kostenübernahme durch die EU, da sie sonst die Stellung der Einrichtung geschwächt sehen.

Die Reform berührt auch das Konzept der Netzneutralität. Sichergestellt werden soll die Übermittlung von Daten im Internet, unabhängig davon, woher sie stammen oder welche Anwendungen die Datenpakete erzeugt haben. Die Abgeordneten meinen, dass die nationalen Regulierungsbehörden Leitlinien mit Mindestanforderungen an die Dienstqualität veröffentlichen und gegebenenfalls Maßnahmen treffen können, um eine Verschlechterung der Dienste und eine Verlangsamung des Datenverkehrs zu verhindern. Die Behörden müssten dafür sorgen, "dass der Zugang der Nutzer zu bestimmten Arten von Inhalten oder Anwendungen nicht in unzumutbarer Weise beschränkt wird".

Im Streit um die Aufteilung der "digitalen Dividende", also Frequenzen, die mit dem Umstieg aufs Digitalfernsehen frei werden, hat sich das Parlament dafür ausgesprochen, die Neutralität der Kommunikationstechnologien und -dienste als verbindliche Prinzipien für die Frequenzvergabe einzuführen. "Prinzipiell werden Frequenzen als öffentliches Gut gefasst", lobte Rebecca Harms, grünes Mitglied im Industrieausschuss, den Ansatz der französischen Berichterstatterin Catherine Trautmann von den Sozialisten. Im Einklang mit nationalen und internationalen Plänen für die Frequenzvergabe könnte somit künftig jede Anwendung in jedem Frequenzband angeboten werden. Um sicherzustellen, dass drahtlose Dienste EU-weit kompatibel sind, sollen die Mitgliedstaaten untereinander und mit der Kommission bei der strategischen Planung und Harmonisierung der Funkfrequenznutzung zusammenarbeiten. Die Abgeordneten fordern die Kommission auf, einen Gesetzesvorschlag für ein Aktionsprogramm "Frequenzspektrum" vorzulegen.

Um die Entwicklung von Glasfasernetzen der nächsten Generation zu fördern, hat das Parlament sich auch für "geeignete Anreize für Investitionen in neue Hochgeschwindigkeitsnetze" ausgesprochen, um die Innovation bei neuen Internetdiensten zu unterstützen und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der EU zu stärken. (Stefan Krempl) / (pmz)