BND-Präsident im NSA-Untersuchungsauschuss: Von No-Spy-Abkommen, Routineaufklärung und Begriffs-Wirrwarr

Es habe von US-Seite ein "konkretes Angebot" für eine Anti-Spionage-Übereinkunft gegeben, dementierte BND-Chef Gerhard Schindler als Zeuge im NSA-Ausschuss anderslautende Berichte: "Wir haben ernsthaft verhandelt."

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Der Skandal erreicht den Bundestag

(Bild: Deutscher Bundestag / Simone M. Neumann / NSA)

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Der Präsident des Bundesnachrichtendiensts (BND), Gerhard Schindler, hat eine Meldung von Süddeutscher Zeitung und ARD-Sendern zurückgewiesen, dass eine Art Nichtangriffspakt zwischen deutschen und US-amerikanischen Geheimdienstennie ernsthaft zur Diskussion gestanden habe. "Es gab ein konkretes Angebot für ein No-Spy-Abkommen", bekundete der Chefagent im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags. Er persönlich habe 2013 nach den Snowden-Enthüllungen konkret darüber ernsthaft verhandelt und zwar "keineswegs im luftleeren Raum".

BND-Abhörstation in Bad Aibling

(Bild: dpa, Andreas Gebert)

Der Begriff "No-Spy-Abkommen" sei von der US-Seite verwendet worden, erläuterte Schindler. "Sonst wäre ich nie darauf gekommen." Bei den einschlägigen Unterredungen habe es sich nicht um "Scheingespräche" gehandelt. Er selbst habe im Sommer 2013 auch den damaligen Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) über die Offerte informiert. Dieser hatte daraufhin in der Hochphase des Wahlkampfs erklärt: "Die US-Seite hat uns den Abschluss eines No-Spy-Abkommens angeboten." Spätestens im Januar 2014 galten die Gespräche aberals gescheitert.

Ihm sei nicht bekannt gewesen, dass irgendwo auf der Welt zwei Geheimdienste schon einmal eine entsprechende Anti-Spionage-Verabredung abgeschlossen hätten, räumte der Zeuge auf Nachfrage ein. Es wäre ein einmaliges Pilotprojekt gewesen, das sich aber eventuell als "wegweisend für die Zusammenarbeit zwischen Nachrichtendiensten" hätte entpuppen können. Es werde viel verwechselt in der ganzen Diskussion. So sei es nicht um einen völkerrechtlichen Vertrag gegangen, der von anderer Seite ins Spiel gebracht worden sei. Es habe noch viele andere Varianten in der damaligen Situation gegeben.

Im Kreuzverhör durch die Parlamentarier bekräftigte Schindler seine Auffassung, dass Ausspähen unter Freunden entgegen einer anderen Ansicht von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vielleicht unfein, aber kein Rechtsverstoß sei. Die gesetzlichen Grundlagen für die Fernmeldeaufklärung durch den BND unterschieden bei den Schutzvorgaben auch nur zwischen In- und Ausland. Mithin sei es "völlig egal", ob etwa ein Österreicher oder ein Afghane abgehört werde.

NSA-Skandal

Die NSA, der britische GCHQ und andere westliche Geheimdienste greifen in großem Umfang internationale Kommunikation ab, spionieren Unternehmen sowie staatliche Stellen aus und verpflichten Dienstleister im Geheimen zur Kooperation. Einzelheiten dazu hat Edward Snowden enthüllt.

Trotzdem habe er wohl im Oktober 2013 eine mündliche Weisung erteilt, die ein Abgeordneter mit den Worten umschrieb: Vorsicht bei Ausspähungen von Zielen in der EU. Dabei sei es aber nur um die BND-eigenen Selektoren gegangen, nicht um die zwischenzeitlich besonders umkämpften Zielmerkmale der NSA. Diese bezogen sich nach Erkenntnissen aufmerksamer Mitarbeiter der deutschen Behörde von 2005 und 2013 etwa auf EADS und Eurocopter sowie europäische Regierungseinrichtungen. Über diese Funde soll Schindler aber erst im März 2015 aufgrund eines Beweisbeschlusses des Untersuchungsausschusses unterrichtet worden sein.

Der Führungskultur im BND und dem Bemühen, die Schotten dicht zu halten, wollte Schindler nicht die Schuld geben für die ausgebliebene Meldung an die Behördenspitze. Er werfe sich selber vor, dass er nicht auf die Idee gekommen sei, dass die NSA die Kooperationsvereinbarung von 2002 unterlaufen wollte. Dem Anschein nach habe der BND aber keinen Grund zur Annahme, dass es der US-Partner darauf abstelle, Wettbewerbsvorteile für die eigene Industrie zu erlangen oder die Konkurrenz auszuspähen: "Die Amerikaner haben immer versichert, dass sie keine Wirtschaftsspionage betreiben." Dies untermauere eine einschlägige Weisung, die Gesetzeskraft habe in den USA.

Dass der BND eine Anordnung zum Einschränken des Fernmeldegeheimnis nach dem einschlägigen G10-Gesetz verwendet habe, um beim Projekt Eikonal an die "Routineverkehre heranzukommen, die über einen Netzknoten der Deutschen Telekom in Frankfurt liefen", war laut dem Behördenleiter gegenüber der zuständigen G10-Kommission des Bundestags schlecht kommuniziert worden. Diese Daten aus dem Ausland seien aber das eigentliche Ziel des BND, da daraus ein Großteil der Resultate aus der technischen Fernmeldeaufklärung stammten, die wiederum fast 50 Prozent aller verwertbaren Erkenntnisse des Hauses ausmachten. Die eingeschränkte G10-Überwachung spiele dagegen eine untergeordnete Rolle.

Genaue Angaben zu den Metadaten, die der BND der NSA pro Monat aus dem Anzapfen von Satelliten über den Horchposten Bad Aibling übermittelt, wollte Schindler in öffentlicher Sitzung nicht nennen. Bei den kolportierten 1,3 Milliarden Metadaten handle es sich um eine Schätzung, die nach den Snowden-Enthüllungen erfolgt sei. Inzwischen habe man auf Antrag des Parlamentarischen Kontrollgremiums vom Oktober vorigen Jahres hin aber nachgezählt.

Nach der Vernehmung, die um Mitternacht zunächst abgebrochen wurde aufgrund der bis dahin begrenzten Arbeitszeit der offiziellen Protokollanten, beklagte der Grüne Konstantin von Notz, dass weiterhin ein "Definitions- und Begriffswirrwarr" bestehe. Die Ausführungen Schindlers zu einem No-Spy-Abkommen tat er als "Haarspaltereien" und Versuch ab, die Öffentlichkeit erneut zu manipulieren. Wie groß die Verantwortung des BND-Chefs sei, könnten die Abgeordneten erst sagen, wenn sie die umstrittenen Selektorenlisten in Augenschein nehmen dürften, ergänzte von Notz' Fraktionskollege Hans-Christian Ströbele.

Für Christian Flisek von der SPD hat sich verdichtet, dass der BND mit den "nicht lupenreinen" Zielvorgaben der NSA ein "erhebliches Problem" gehabt habe. Es sei zudem dringend, den Bereich der "Routineaufklärung" auf eine verlässliche Rechtsgrundlage zu stellen. (jk)