Trampender Roboter HitchBOT zerstört: Wunderliches Überwachungsvideo

Der trampende Roboter HitchBOT ist nicht mehr. Am Samstag wurde er in Philadelphia zerstört. Ein Überwachungsvideo soll den Vandalenakt zeigen. Doch wirft es mehr Fragen auf, als es beantwortet.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 131 Kommentare lesen
hitchBOT

Eine US-Reise wurde hitchBOT zum Verhängnis.

(Bild: Rebecca Tennenbaum)

Lesezeit: 7 Min.
Inhaltsverzeichnis

Enthaupteter hitchBOT in Philadelphia

(Bild: Rebecca Tennenbaum )

Seine US-Reise des kanadischen Konversations-Roboters hitchBOT wurde ihm zum Verhängnis. Am Samstag wurde hitchBOT in Philadelphia zerstört. Weil der Kopf und wichtige elektronische Bauteile fehlen, ist Habsucht ein naheliegendes Motiv. Der Täter ist unbekannt. Am Montag tauchte dann jedoch ein Video auf, das angeblich aus einer Überwachungskamera stammt. Es soll die Zerstörung hitchBOTs als sinnlosen Vandalenakt zeigen. Wahrscheinlich ist das Video aber nicht echt.

Die meisten Elektronikteile fehlten, doch das GPS-Modul war noch da.

(Bild: Rebecca Tennenbaum )

HitchBOT war das Experiment eines Teams um die beiden kanadischen Universitätsprofessoren Frauke Zeller und David Harris Smith. Sie wollten mit ihrem billig gebauten Bot, der sich selbst nicht fortbewegen konnte, herausfinden, ob Roboter den Menschen vertrauen können. Dafür schickten sie ihr Gerät vergangenen Sommer per Autostopp quer durch Kanada, und im Frühjahr durch Deutschland.

HitchBOTs letzte Aufgabenliste.

(Bild: hitchbot.me)

In Kanada war seit jeher die Auffassung weit verbreitet, dass eine erfolgreiche Durchquerung des Landes ohne Diebstahl oder Vandalismus zwar in Kanada, nicht aber bei den südlichen Nachbarn möglich wäre. Leider haben die Kanadier Recht behalten. Erstaunlicherweise wollen die Eigentümer trotzdem nicht, dass die Polizei ermittelt.

heise online hat hitchBOTs letzte Stationen anhand von Tweets, Videos, Telefoninterviews und anderen Quellen nachvollzogen. Der Wahrheitsgehalt der einzelnen Angaben ist allerdings unbestimmt. Wie es aussieht, wurde der Bot am Freitag von Byron Scott und seinem Kumpel, der auf Twitter als TheBeardedOne86 auftritt, zu einem Museum in Philadelphia gebracht. Es gibt einen Hinweis darauf, dass noch ein dritter Mann dabei war.

In den frühen Samstagstunden (alle Angaben Ortszeit) nahmen dann Jesse Wellens und sein Bekannter Ed Bassmaster den trampenden Roboter mit. Wellens ist ein YouTube-Star, der sich mit seiner Lebensgefährtin seit Jahren einen öffentlichen Wettkampf im Streichespielen liefert. Auch Bassmaster ist mit YouTube-Videos bekannt geworden. Einer der von ihm verkörperten Charaktere ist als "Always Teste" bekannt.

Der trampende Roboter HitchBOT

Per Anhalter alleine unterwegs - ein Roboter trampt nun schon zum dritten Mal. Es ist vor allem ein soziales Experiment: Können Roboter Menschen vertrauen? Und wie reagieren unterschiedliche Kulturen auf das ungewöhnliche Ansinnen?

Wellens kündigte auf Twitter an, hitchBOT zur Elfreth's Alley in Philadelphia zu bringen. Das ist die älteste dauerhaft bewohnte Straße der USA. Ein von Wellens veröffentlichtes Video zeigt Wellens, Bassmaster und hitchBOT am Ausgang von Elfreth's Alley. Die Männer fragen einen Taxifahrer, ob er den Roboter in die US-Hauptstadt Washington, DC, bringen würde. Den Fahrpreis wollen sie dann aber doch nicht aufbringen. In dem Video geben sie an, hitchBOT bei Elfreths' Alley zurücklassen zu wollen. Das wäre auch im Einklang mit den hitchBOT-Anleitungen.

Wellens und Bassmaster sind bislang die letzten bekannten Personen, die hitchBOT "lebend" gesehen haben. Im Laufe des Samstag hat Byron Scott dann von der Zerstörung hitchBOTs erfahren. Als Beweis wurde ihm ein Handy-Screenshot geschickt. Den veröffentlichte TheBeardedOne86 auf Twitter.

Daraufhin kündigte Wellens an, sich um etwaige Videos aus Überwachungskameras zu bemühen. In den frühen Montagstunden meldete er auf Twitter, ein Video aufgetrieben zu haben und es zu sichten. In einem eigenen Video zeigte er einige Sekunden lang sein Handy, wie es das angebliche Überwachungsvideos abspielt.

Montagnachmittag gelangte dann eine dreieinhalb Minuten lange Version in Umlauf. Der Schwarz-Weiß-Film hat deutliche Interlacing-Artefakte und zeigt eine Nachtszene an jener Ecke, an der hitchBOT zuletzt gesehen worden war. Links im Bild ist auch die niedrige Mauer zu sehen, hinter der hitchBOT von der Künstlerin Rebecca Tennenbaum gefunden wurde.

Ein Mann, der Always Teste frappierend ähnelt, kommt vorbeigeschlendert. Er entdeckt hitchBOT, inspiziert ihn, geht aber weiter, als ein Fahrzeug vorbeifährt. Kurz darauf kehrt der Mann zurück. Er reißt hitchBOTs Arme aus und drischt und tritt auf hitchBOT ein. Dann entfernt er sich vom Tatort, ohne etwas mitzunehmen.

Zumindest soll es so wirken. Denn bis auf etwas, was die Arme sein sollen, ist von hitchBOT nichts zu sehen. Leider verdeckt ein Straßenmöbel die Sicht. Zudem fehlten später der Kopf und wichtige Bauteile. Der im Video zu sehende Mann nimmt aber nichts mit. Wo ist also die Szene, wo jemand Stücke an sich nimmt und den Rest über jene Mauer wirft, hinter der hitchBOTs Torso gefunden worden sein dürfte?

Auf Street-View-Bildern sowie diversen Videos von lokalen Nachrichtensendern und Wellens selbst ist keine Überwachungskamera zu sehen. Vom Blickwinkel aus zu schließen könnte die Kamera höchstens in einen Pflanzentopf oder einem Straßenschild versteckt sein. Möglich, aber unwahrscheinlich.

Denn eine so kleine Videokamera wäre jüngeren Datums und würde kaum Interlacing-Artefakte hervorrufen. Außerdem werden Datum und Uhrzeit auffallend prominent eingeblendet. Vor allem aber: Der von Wellens zunächst veröffentlichte Kurzausschnitt weist offenbar keine Interlacing-Artefakte auf. Diese dürften also nachträglich erzeugt worden sein.

Adieu hitchBOT (13 Bilder)

Home of the Brave

Am 17. Juli war der Start zur US-Reise noch zünftig gefeiert worden. (Bild: hitchbot.me)

Zudem parkt im Hintergrund ein Pickup-Truck, der Bassmasters Fahrzeug sein könnte. Wellens und Bassmaster stellen in Abrede, hitchBOT zerstört zu haben. Und das anscheinend von ihnen produzierte "Überwachungsvideo" liefert dafür auch keine Anhaltspunkte. Damit bleibt offen, wer warum hitchBOT den Garaus gemacht hat.

heise online konnte jene Frau telefonisch erreichen, die hitchBOTs Überreste gefunden hat. Sie heißt Rebecca Tennenbaum und ist eine junge Künstlerin, die vorwiegend Collagen, aber auch Fotos macht. Sie hat auch die hitchBOT-Reste abgelichtet und die Bilder heise online freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Tennenbaum sammelte die Überreste und lagerte sie auf ihrer Veranda zwischen. Später wurden sie abgeholt – angeblich im Auftrag der hitchBOT-Eigentümer.

(Bild: Rebecca Tennenbaum )

Tennenbaum erzählte, dass sie von einem Bekannten gebeten worden war, hitchBOT von der Elfrey's Alley abzuholen. Zunächst habe sie ihn aber nicht finden können. Erst hinter der niedrigen Mauer habe sie die Reste gefunden. Der Kopf und ein Teil der elektronischen Teile hätten bereits gefehlt.

Auch das Tablet, auf dem die hitchBOT-Software läuft, ist verschollen. "Das Tablet kann nicht mehr normal gebraucht werden", hatte hitchBOT-Konstrukteur Smith im Gespräch mit heise online vergangenes Jahr gesagt, "Es bootet immer nur die hitchBOT-Software." Großen Reibach kann der Täter damit nicht machen. Das GPS-Modul und die Plastikteile von lediglich ideellem Wert hat er zurückgelassen.

Tennenbaum nahm die Überreste zunächst mit. Die habe später jemand abgeholt – ihrem Verständnis nach im Einvernehmen mit den Eigentümern. Diese haben übrigens bewusst keine Anzeige erstattet. Warum, bleibt unklar. Ohne Anzeige der Eigentümer strengt die Polizei von Philadelphia bei Vandalismus keine Ermittlungen an.

Ein besorgter Bürger Philadelphias begann umgehend eine Kickstarter-Kampagne, um 1.200 US-Dollar für einen neuen hitchBOT aufzutreiben. In kürzester Zeit kamen von 135 Spendern über 4.300 US-Dollar zusammen. Nach Rücksprache mit den kanadischen Professoren soll aber zumindest bis Mittwoch nichts mehr gespendet werden. Dann soll über eine Neuauflage beraten werden.

[Update 05.08.2015 15:20 Uhr] Inzwischen hat Jesse Wellens ein Video veröffentlicht, in dem er eingesteht, das Überwachungsvideo gefälscht zu haben. (ds)