Der Schäuble-Katalog

Kurz vor der symbolischen Freischaltung der umstrittenen Anti-Terrordatei präsentierten Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und die CDU/CSU eine lange Liste zum weiteren Ausbau des Überwachungsnetzes. Sie reicht von Präventivbefugnissen des BKA etwa bei Rasterfahndungen oder Online-Durchsuchungen über Fingerabdruck-Datenbanken bis zu Vereinfachungen des großen Lauschangriffs. Selbst der Polizei gehen einzelne Vorschläge zu weit; Datenschützer befürchten Risse in den Fundamenten des Internet.

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Inhaltsverzeichnis

Die Verabschiedung des Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetzes und der EU-Grundlagen für die mindestens sechsmonatige verdachtsunabhängige Vorratsspeicherung von Telefon- und Internet-Daten ist noch gar nicht so lange her [1]; auch die Arbeiten an der gemeinsamen Anti-Terrordatei begannen erst vor wenigen Wochen, nachdem sich die Innenminister von Bund und Ländern auf das Vorgehen geeinigt hatten. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble sieht die Sicherheitsbehörden hierzulande dennoch nicht ausreichend gerüstet für den Kampf gegen den islamistischen Terror. Fast gleichzeitig mit dem symbolischen Start des heftig umstrittenen Dateienverbunds von Polizeien und Geheimdiensten legte der CDU-Politiker daher Innenpolitikern des Koalitionspartners SPD Ende März eine umfangreiche Wunschliste vor.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble dringt darauf, Ermittlungsmethoden wie die Online-Durchsuchung von PCs mittels Trojanern zu legalisieren.

Seit langem tritt Schäuble dafür ein, dass neben den Nachrichtendiensten auch die Strafverfolger nicht „künstlich dumm“ gehalten werden und mit Hilfe aller technisch verfügbaren Mittel arbeiten dürfen. Bei der Inbetriebnahme der Anti-Terrordatei im gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum in Berlin räsonierte der Christdemokrat hinter viel Stacheldraht über grundlegende Änderungen an der Sicherheitsarchitektur. Man müsse zunehmend unterscheiden zwischen repressiver Strafverfolgung und präventiver Strafverhinderung. Letztere werde immer wichtiger, „weil die Gefahren so groß sind“. Gegenüber Selbstmordattentätern sei mit dem Strafrecht nicht viel auszurichten, beklagte Schäuble. Hier dürfe das Unschuldsprinzip daher „nicht mehr so einfach“ gelten und man müsse „lieber im Zweifel verhindern, dass es Todesfälle gibt“.

Der Gedankengang hinter solchen Äußerungen: Wenn es zum Wesen von Terroristen gehört, sich möglichst unauffällig und unverdächtig zu verhalten, muss die ganze Bevölkerung unter einen Generalverdacht gestellt werden. Schließlich geht es um das von Schäuble und seinen Kollegen hochgehaltene, allerdings bislang im Grundgesetz nicht verankerte „Grundrecht auf Sicherheit“ und die Verhinderung von Anschlägen, die viele Menschenleben kosten könnten. Der starke Staat sei gefordert. Diese Logik bricht sich Bahn bei der vom Bundesjustizministerium mitgetragenen Umsetzung der Brüsseler Vorgaben zur Vorhaltung von Verbindungs- und Standortdaten auf Vorrat und der damit einhergehenden monatelangen Aufzeichnung der elektronischen Spuren aller telekommunizierenden Bürger. Auch beim mittlerweile - analog zu den „Otto-Katalogen“ mit Terrorbekämpfungsgesetzen des ehemaligen Innenministers Otto Schily - „Schäuble-Katalog“ genannten Maßnahmenbündel standen diese Überlegungen Pate.

Am weitesten gediehen sind die Pläne für die Nutzung der LKW-Maut-Daten zur Strafverfolgung. Sie gelten innerhalb der großen Koalition als so gut wie abgesegnet. In den bisherigen gesetzlichen Grundlagen ist eine solche Zweckentfremdung der „Verkehrsdaten“ strikt untersagt. Künftig sollen Ermittler auf die begehrten Abrechnungsinformationen von Toll Collect zur Aufklärung besonders schwerer Verbrechen wie Mord, Totschlag oder terroristischen Anschlägen zugreifen dürfen. Dazu müssten die Datenverarbeitungsrichtlinien innerhalb des Mautsystems grundlegend neu gefasst und an die Bedürfnisse der Strafverfolger angepasst werden. Innenexperten der SPD haben ihr Plazet prinzipiell gegeben. Sie wollen nur nicht, dass die Daten auch zur Verbrechensvorbeugung herangezogen werden.

Anders verhält es sich bei den seit Herbst diskutierten heimlichen Online-Durchsuchungen [2]. Wegen fehlender rechtlicher Grundlage hatte der Bundesgerichtshof Bespitzelungen privater PCs oder von Speicherplattformen im Internet durch die Polizei Ende Januar untersagt. Seitdem fordern insbesondere Schäuble und das Bundeskriminalamt (BKA) die rasche Schaffung einer gesetzlichen Basis für die umkämpfte Ausforschungsmaßnahme.

Die Bundesregierung hält zudem Online-Durchsuchungen durch die Geheimdienste bereits aufgrund einer vagen Passage im Bundesverfassungsschutzgesetz für machbar. Eine ausdrückliche gesetzliche Verankerung derartiger nachrichtendienstlicher Befugnisse hat bislang nur Nordrhein-Westfalen unter einem FDP-geführten Innenministerium geschaffen. Dagegen läuft eine Verfassungsbeschwerde. Schäuble will für das Bundesgesetz notfalls die Verfassung ändern wie zuvor beim großen Lauschangriff.

Wie aus der Koalitionsrunde der Innenpolitiker Ende März verlautbarte, sollen vernetzte Computer voraussichtlich nur zur Gefahrenabwehr präventiv verdeckt durchforstet werden dürfen. Zur Aufdeckung von Straftaten wäre damit der von Datenschützern, schöpferisch-kritischen Hackern und Oppositionspolitikern strikt abgelehnte Einsatz des sogenannten „Bundestrojaners“ nicht gestattet. Zuvor ließ Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, bei einer Diskussion unter dem Aufhänger „Staat surft mit“ keinen Zweifel an seiner Zustimmung: „Das werden wir selbstverständlich machen, allerdings mit klarer Rechtsgrundlage“, erklärte er und begründete seine Haltung: „Das Internet ist eine Welt, in der jede Sauerei dieser Welt stattfindet.“ Die Koalition werde daher „mit Augenmaß das Erforderliche tun, um diese Sauereien zu bekämpfen“.

BKA-Präsident Jörg Ziercke bemüht sich derweil, Bedenken gegen unverhältnismäßige Grundrechtseingriffe bei Online-Durchsuchungen auszuräumen. Es komme darauf an, „dass wir sehr auf den Einzelfall bezogen eine Maßnahme entwickeln, die ganz gezielt auf die spezielle Umfeldsituation programmiert wird“. Es werde „keinen allgemeinen Bundestrojaner“ gleichsam „von der Stange“ geben. In einem Interview führte der Sozialdemokrat aus, dass durch den Einsatz von „Schlüsselbegriffen“ sichergestellt werde, dass private Dateien vom durchsuchenden Programm nicht zur Kenntnis genommen würden und der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung geschützt bleibe.

Bei einem Fachgespräch der Grünen im Bundestag versicherte Ziercke, dass das BKA keine „Schadsoftware“ im eigentlichen Sinne einsetzen, also etwa keine Hintertüren offen lassen werde. Der Quellcode „einer solchen Untersuchung“ könne beim Gericht hinterlegt werden. Zugleich nannte Ziercke eine Reihe konkreter Fälle vom Austausch über Informationen zu Sprengvorrichtungen bis zu einer konkreten Anschlagplanung, in denen er die Netzbespitzelung für unerlässlich hält.

Derlei Ankündigungen interpretiert Thilo Weichert, Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD), als deutliche Hinweise darauf, dass Online-Durchsuchungen durch Eingriffe in die Internet-Infrastruktur bewerkstelligt werden sollen. Dem BKA schwebe anscheinend „ein Ausspäh-Tool“ zugeschnitten auf das jeweilige Betriebssystem vor. Dieses solle „über beliebige Downloads mitgegeben und installiert“ werden. Eine solche „Manipulation“ der Fundamente des Internet, die dem Staat - und damit sehr wahrscheinlich nicht nur diesem - „grundsätzlich eine beliebige Änderung dessen ermöglicht, was Nutzer auf ihren Rechnern beim Surfen, in ihrer E-Mail, bei E-Government-Anwendungen“ und ähnlichen Online-Tätigkeiten zu sehen bekommen, wäre laut Weichert ein massiver Eingriff. Letztlich würden damit „der Bespitzelung und Zensur gleichermaßen“ die Tür geöffnet. Der Beweiswert der gewonnenen Erkenntnisse sei fraglich.

„Die ultimative Spionage-Software gibt es nicht“, ergänzt Constanze Kurz vom Chaos Computer Club (CCC). Es müsse klar sein, „dass jede Schadsoftware ihrerseits Schwachstellen hat, zum Beispiel Programmierfehler“. Diese könnten Kriminelle ausnutzen. Die zweite Gefahr sei, dass der „Bundestrojaner einfach entdeckt werden könnte, wenn er nach Hause telefoniert“. In Folge würden sich „Wettbewerbe von Hackern“ bilden, welche die Programme analysieren.

Weitere Präventivbefugnisse will Schäuble dem BKA bei Rasterfahndungen geben, um die Absprachen bei der Föderalismusreform mit Leben zu füllen. Bislang ist es den Länderpolizeien vorbehalten, derartige „besondere Formen des Datenabgleichs“ in engen Grenzen durchzuführen. Vorbereitet wird vom Innenministerium auch eine Gesetzesänderung zum großen Lauschangriff, der nach der Novelle der rechtlichen Grundlagen für die akustische Wohnraumüberwachung kaum noch zum Einsatz kommt. Die Union plädiert erneut für die Einführung des sogenannten Richterbands. Mit diesem Verfahren dürften die Ermittler zunächst Gespräche komplett und automatisch aufzeichnen; erst im Anschluss soll ein Richter entscheiden, was davon privat und daher zu löschen ist. Alle anderen Fraktionen hatten diesen Vorstoß bislang sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat strikt abgelehnt.

Am weitesten geht der Schäuble-Katalog mit dem Vorschlag, künftig die Fingerabdrücke nicht nur im Chip des biometrischen Reisepasses und des kommenden elektronischen Personalausweises zu speichern. Die sensiblen personenbezogenen Daten sollen vielmehr zusätzlich bei den Meldeämtern hinterlegt werden. Insbesondere linke SPD-Abgeordnete sehen die Einführung biometrischer Merkmale in Ausweisdokumente seit langem kritisch. Direkte Vorlagen für eine zentrale Bundesdatei der höchstpersönlichen Informationen lehnen sie unisono mit Datenschützern strikt ab. Entsprechend löste diese Forderung den größten Proteststurm aus: „Das ist mit der SPD nicht zu machen“, gab selbst der sonst für die Forderungen der Sicherheitspolitiker in der Union meist offene Wiefelspütz Kontra.

Sogar der Gewerkschaft der Polizei (GdP) geht die Schäuble-Position an diesem Punkt zu weit. Eine Art erkennungsdienstliche Behandlung der Gesamtbevölkerung hält man dort für die Arbeit der Kollegen nicht zuträglich: „Das wäre der Einstieg in eine bundesweite Fingerabdruck-Kartei und damit nach Auffassung der GdP ein grober Verstoß gegen das verfassungsmäßige Recht jedes Einzelnen auf die sogenannte informationelle Selbstbestimmung.“ Ähnlich skeptisch zeigt sich die Deutsche Polizeigewerkschaft: „Zu viele Daten können auch den Blick für die eigentliche Gefahr vernebeln. Überdies muss die Verhältnismäßigkeit von Bürgerrechten und Sicherheitsinteressen gewahrt bleiben.“

Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Ute Vogt hält die Pläne Schäubles insgesamt für „überzogen“. Schäuble habe die Balance aus Sicherheit und Freiheit verloren. Die stellvertretende Vorsitzende der Linken im Bundestag, Petra Pau, hält Schäubles Drang zur Präventivüberwachung für den „Schritt vom Rechtsstaat zum Überwachungsstaat“. Jeder könne so ins Visier geraten. „Das Volk gilt nicht mehr als souverän, sondern als kriminell. Das ist die Philosophie, und die lässt das Grundgesetz Kopf stehen.“ Wolfgang Wieland, Sicherheitsexperte der Grünen, sprach von „abenteuerlichen“ Forderungen. Schäuble müsse aufpassen, dass er nicht zum „trojanischen Pferd im Kampf gegen den freiheitlichen Rechtsstaat wird“.

Selbst Ingo Wolf, der Innenminister Nordrhein-Westfalens, der das neue Verfassungsschutzgesetz des Landes mit der Regelung von Online-Durchsuchungen für den Geheimdienst auf den Weg brachte, sieht mit Schäubles Plänen die Gefahr eines Überwachungsstaates heraufziehen: „Der Bundesinnenminister sollte sich davor hüten, Sicherheitspolitik und Bürgerrechte in ein Ungleichgewicht zu bringen.“ Er wolle „keinen Überwachungsstaat, in dem wir selbst die Freiheiten beseitigt haben, die wir gegen den Terror verteidigen wollten“.

Der Gescholtene versteht die Aufregung um seinen angestrebten Paradigmenwechsel in der Sicherheitsarchitektur nicht. Alles, was der Gefahrenabwehr diene, muss laut Schäuble „möglichst effizient“ in die Gänge gebracht werden. Energisch wies der Minister die Vorhaltung zurück, er plane nebenbei eine genetische Volksverdatung durch die zentrale Speicherung der Fingerabdrücke der Bundesbürger. Schon bisher müssten zwei Passbilder auf dem Amt abgegeben werden, wovon das eine im Pass lande, das andere in der Akte. Über eine ähnliche Praxis im digitalen Bereich werde „nachgedacht“. Die Bedenken von Datenschützern bezeichnete Schäuble als „naiv“.

Unterstützung erhielt Schäuble vom Innenexperten der CDU/CSU im Bundestag, Hans-Peter Uhl. Es sei „völlig abwegig“, die Vorbereitung schwerster Verbrechen zum schutzwürdigen Kernbereich privater Lebensführung zu erklären, in den der Staat nicht eingreifen dürfe. Vor allem die Sicherheitspolitiker der Union hadern bei der Formulierung ihrer Pläne zur weiteren Gesetzgebung für die Terrorbekämpfung mit den Vorgaben des Grundgesetzes und besonders mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Jegliche neue Antiterrorpakete wären aber daran gebunden.

Die Maßstäbe für neue Gesetzgebung in diesem Bereich hat das Bundesverfassungsgericht etwa in seinen Entscheidungen zur akustischen Wohnraumüberwachung aus dem Jahre 2004 [3] und zur Rasterfahndung aus dem Jahr 2006 klargestellt [4]. Eine Durchleuchtung verdächtiger Personengruppen etwa wäre demnach nur bei einer konkreten Gefährdung höchster Rechtsgüter und nicht zur allgemeinen Gefahrenabwehr zulässig. Auch findet das Abhören laut den Verfassungsrichtern im Kernbereich des Privaten seine Grenze, was auch für konkret Beschuldigte zu gelten habe. Allgemein darf es mit dem gegenwärtigen Grundgesetz keine Rundumüberwachung geben, da der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren ist.

Verfassungsrechtliche Bedenken hat etwa der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar auch nach wie vor bei der Anti-Terrordatei. Er sei sich sicher, „dass auch Unschuldige dort hineingeraten werden“. Das Problem liege vor allem an der Erfassung von sogenannten Kontakt- und Begleitpersonen. Dabei könne es sich etwa um Bewohner eines Studentenheims handeln, in dem ein vermeintlicher Terrorverdächtiger lebt. Schäuble hatte bei der Freischaltung der Datei neben der Einmaligkeit und Effizienz der Informationszusammenführung in Rekordzeit insbesondere die „vollständige Wahrung von Datenschutz“ gelobt. Er verwies etwa auf Auskunfts- und Kontrollrechte der Bürger gegenüber den beteiligten Behörden. Diese seien jedoch „durch gesetzliche Regelungen stark eingeschränkt oder teilweise sogar ausgeschlossen, vor allem bei verdeckt gespeicherten Daten der Nachrichtendienste“, hält Schaar dem entgegen. Ferner könnten über die neue Vernetzung elektronischer Akten „auch ungesicherte Informationen, die von einem Nachrichtendienst kommen, zur Polizei gelangen“.

In der Anti-Terrordatei sind zunächst 13 000 Personen erfasst. Laut BKA soll es sich dabei zu rund 75 Prozent um ausländische Staatsangehörige handeln. Nur ein kleiner Teil dieser Personen wird aber akut als „Gefährder im polizeilichen Sinn“ eingestuft. Die Anti-Terrordatei habe den Zweck, über diese Personen hinaus auch das gewaltgeneigte extremistische Umfeld und Netzwerke zu erfassen. Das Gemeinsame-Dateien-Gesetz, das die allein bei den Investitionskosten 15,3 Millionen Euro teure Anti-Terrordatei regelt, ermöglicht überdies das Anlegen von „projektbezogenen gemeinsamen Dateien (Projektdateien)“ der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, des MAD, des BND, der Polizeibehörden des Bundes und der Länder und des Zollkriminalamts. Konkret wird die Datei auf Basis der Polizeisoftware „INPOL-Fall“ betrieben, die an die gesetzlichen Vorgaben angepasst wurde. Den zugangsberechtigten Beamten steht als Benutzerschnittstelle eine netzbasierte Suchmaske zur Verfügung, in der etwa nach Personen geforscht werden kann.

Die Sicherheitspolitiker der Union und der Bundesinnenminister bekommen auch aus dem Bundeskabinett Gegenwind: Bundesjustizministerin Brigitte Zypries wies die Vorschläge des Kabinettskollegen Schäuble zurück; die Pläne seien auch in der Großen Koalition nicht abgesprochen. Auch hält Zypries die bereits verabschiedeten Maßnahmen zur Terrorabwehr für ausreichend; gegen die Nutzung von gespeicherten Fingerabdrücken aller Bundesbürger zur Gefahrenabwehr äußerte die Justizministerin auch verfassungsrechtliche Bedenken.

Besonders deutliche Worte fand der FDP-Innenpolitiker Burkhard Hirsch, ehemals Innenminister in Nordrhein-Westfalen und Bundestagsvizepräsident: „Man bekämpft die Feinde des Rechtsstaats nicht mit dessen Abbau, und man verteidigt die Freiheit nicht mit deren Einschränkung.“ In einem Artikel für die Süddeutsche Zeitung [5] schrieb Hirsch, er sehe in der von Schäuble geplanten „Sicherheitsarchitektur“ die Verwandlung der Bundesrepublik in einen Überwachungsstaat. „Die Zeit freundlicher Kritik und ständiger Mahnung, bei der Terrorismusbekämpfung Augenmaß zu wahren, geht zu Ende. Nun ist Widerstand geboten.“

Angesichts solcher grundlegender Bedenken gegen die Pläne von Sicherheitspolitikern wirkt ein ebenfalls Ende März vom Bundestag verabschiedeter interfraktioneller Beschluss zur Modernisierung des Datenschutzrechts fast schon wie ein Feigenblatt. Ein leichter verständliches und übersichtliches Bundesdatenschutzgesetz nebst Datenschutz-Auditgesetz wird darin gefordert, da sich dies auch als „wirtschaftlicher Standortvorteil“ erweisen würde. Weiter ist davon die Rede, dass die Regierung stärker auf den Daten- und Verbraucherschutz bei der Nutzung der RFID-Technologie achten soll. Kritisch sehen die Abgeordneten zudem die weitgehend unkontrollierte Weitergabe von Finanzdaten über das Netzwerk SWIFT sowie von Flugpassagierdaten aus der EU an die USA. In beiden Fällen soll sich die Exekutive für die Wahrung des informationellen Selbstbestimmungsrechtes einsetzen.

[1] Big Brother 2.0, Der Bürger im Fadenkreuz der Terrorismusbekämpfung, c't 24/06, S. 214

[2] Kommissar Trojaner und die Anti-Terrordatei, Der Bundestag beschließt neue Anti-Terrorbefugnisse, c't 1/07, S. 43

[3] Lektionen aus Madrid und Karlsruhe, Lauschangriff, Terrorbekämpfung und die Menschenwürde, c't 8/04, S. 82

[4] Grenzen im Antiterrorkampf, Gerichte schränken Rasterfahndung und Fluggastdatenweitergabe ein, c't 13/06, S. 52

[5] Die Herrschaftsmaschine, Süddeutsche Zeitung, 5. April 2007 (jk)