NSA-Ausschuss: Steinmeier "überrascht" vom Ausmaß der BND-Spionage

Dass der BND befreundete Regierungen und Organisationen ausgespäht hat, erschloss sich dem Ex-Kanzleramtschef und Außenminister Frank-Walter Steinmeier nach eigenen Angaben nicht. Er hält eine solche Praxis für schädlich.

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Frank-Walter Steinmeier

Frank-Walter Steinmeier im NSA-Untersuchungsausschuss

(Bild: Stefan Krempl/heise online)

Lesezeit: 6 Min.
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Der langjährige Chef des Bundeskanzleramts Frank-Walter Steinmeier will von einer überbordenden Spionage des Bundesnachrichtendienstes (BND) nie etwas mitbekommen haben. Er sei "gelinde gesagt überrascht" gewesen über Berichte, dass der Auslandsgeheimdienst befreundete Regierungsstellen und andere Einrichtungen in Europa und Drittstaaten ausgespäht habe, erklärte der amtierende Außenminister am Donnerstag im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags. Er habe nie Informationen erhalten, dass der BND Dinge außerhalb seines Auftrags aufgeklärt habe.

Im Rahmen seiner Diensttätigkeiten sei ihm etwa nie ein geheimdienstliches Dossier zu Frankreich in die Hände gekommen, führte der prominente Zeuge aus. Für ihn sei klar: "Der politische Schaden einer Spionage gegen befreundete Regierungen übertrifft deutlich deren Nutzen." Die unterschiedlichen Positionen seien in diesem Rahmen "eh bekannt, "dafür brauche ich keine geheimdienstlichen Vorhaltungen".

Ebenso überrascht hat Steinmeier nach seiner Erinnerung kürzlich feststellen müssen, dass Internet-Suchbegriffe der NSA bei der umstrittenen Kooperation zur Telekommunikationsaufklärung mit dem BND sogar gegen deutsche Botschaften gerichtet gewesen sein sollen. Wenn es solche Versuche gegeben habe, handele es sich um einen "inakzeptablen Verstoß" gegen die grundlegende Vereinbarung zur Zusammenarbeit mit der NSA von 2002, dem sogenannten Memorandum of Agreement (MoA).

NSA-Skandal

Die NSA, der britische GCHQ und andere westliche Geheimdienste greifen in großem Umfang internationale Kommunikation ab, spionieren Unternehmen sowie staatliche Stellen aus und verpflichten Dienstleister im Geheimen zur Kooperation. Einzelheiten dazu hat Edward Snowden enthüllt.

Auch Ziele in Europa hätten laut Steinmeier durch die NSA und ihre deutschen Helfer nur ins Visier genommen werden dürfen, wenn dies dazu gedient hätte, schwerste Straftaten zu verfolgen oder abzuwehren. Einschlägige Selektoren, die der US-Partner dem BND in rauen Mengen unterjubelte, hätten "bei Entdeckung sofort gesperrt" und einschlägige Verstöße nach oben gemeldet werden müssen. Dies sei aber "offenbar nicht konsequent erfolgt". Die BND-Spitze und das Kanzleramt sollen Informationen über die "faulen" Suchmerkmale erst vor einem Jahr erreicht haben.

Er habe noch nie einen Selektor der NSA oder gar eine einschlägige Liste gesehen, beteuerte der Sozialdemokrat. Er könne daher den Abgeordneten auch keine Auskunft geben, inwieweit die NSA Suchbegriffe eingebracht habe, die "dem Buchstaben und dem Geist des MoA widersprechen". Dass es zu Problemen gekommen sei, habe er letztlich im Detail erst aus dem Bericht des Selektoren-Prüfbeauftragten des Ausschusses, Kurt Graulich, entnommen. Daraus sei aber auch hervorgegangen, dass der BND Telefonnummern der Unternehmenszweige EADS und Eurocopter recht früh entdeckt und händisch aus der Erfassung herausgenommen habe.

Prinzipiell stellte sich Steinmeier weiter hinter das MoA, das er nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 mit abgesegnet hat. Es sei dabei vor allem darum gegangen, die einstige NSA-Abhörstation in Bad Aibling weiter zu nutzen. Berichten, dass diese ins Spionagenetzwerk Echelon eingebunden gewesen und auch zur Industriespionage missbraucht worden sein soll, "sind wir nachgegangen", meinte der Chefdiplomat. "Uns wurde von Seiten der USA versichert, dass sie nur zur Auslandsaufklärung eingesetzt wird". Andere "belastbaren Erkenntnisse" habe die Bundesregierung nicht besessen.

Der "bindende Vertrag" enthalte "feste Parameter", wonach bei dem Satelliten-Horchposten der BND die volle Kontrolle haben, völlige Transparenz herrschen und das hiesige Recht voll beachtet werden müsse, konstatierte der Zeuge. Es habe "keinen Souveränitätsrabatt für die USA" und keinen "Freifahrtschein für die NSA" gegeben, "in Deutschland Daten über Deutsche zu erfassen". Es sei darum gegangen, "Auslandsaufklärung in den Herkunftsländern des Terrorismus" wie Afghanistan zu betreiben und später auch die Truppensicherheit dort zu verstärken. Ein sogenannter Ringtausch, um nationale Rechtsvorschriften zu umgehen, "war explizit verboten".

Die Atmosphäre sei damals gerade im Zusammenhang mit der "Hamburger Zelle" der 9/11-Attentäter von Furcht geprägt gewesen, warb Steinmeier für Verständnis. Es habe die "Erwartung" geherrscht, "größtmögliche Sicherheit zu gewährleisten mithilfe aller erreichbaren Information". Dabei habe man aber mit der Vereinbarung "die richtige Balance gewahrt". Der Rechtsstaat sei nicht vom Sicherheitsstaat "usurpiert" worden. Ohne Austausch mit anderen Geheimdiensten sei es zudem gar nicht möglich, etwa Waffenstillstände auszuhandeln oder zu prüfen, ob diese eingehalten würden.

Der Chef des Auswärtigen Amtes rechtfertigte in diesem Sinne auch die umstrittene Operation Eikonal, mit der sich der BND Zugang zu einem Internetkabel der Deutschen Telekom verschaffte und Daten mehr oder weniger gefiltert an die NSA weitergab. Die Bedingungen auch dafür seien mit dem MoA bereits geklärt gewesen. "Ziel war es gerade nicht, Kommunikation von Deutschen oder nach Deutschland" abzufangen, befand Steinmeier. Er habe keinen Zweifel daran, dass das BND-Gesetz eine ausreichende rechtliche Grundlage bilde. Der Dienst dürfe demnach in Deutschland Daten erfassen, "die zwischen zwei anderen Ländern fließen, gleichsam durchgeleitet werden".

Diese Auffassung sei der Telekom in einem Schreiben auch auf deren Wunsch hin dargelegt worden, berichtete der Zeuge. Dabei habe es sich nicht um einen "Freibrief" gehandelt. Der "Transit"-Vertrag mit dem Bonner Konzern von 2003 sei die logische Folge gewesen. Als der BND erkannt habe, dass die reinen Ausland-Ausland-Verkehre im Netz nur schwer von Kommunikation Deutscher zu trennen seien, habe er sich zusätzlich an die G10-Kommission gewandt und eine Anordnung eingeholt, um bei dem Projekt auch ins Fernmeldegeheimnis eingreifen zu dürfen.

Da sich das zuständige Bundestagsgremium mit dieser Taktik hintergangen gefühlt habe, begrüße er aber den Plan, gesetzlich klarzustellen, dass der BND auch auf Daten mit Schwerpunkt ausländischer Kommunikation im Inland zugreifen dürfe. Die Kritik, dass die Geheimdienstler die G10-Kommission gezielt getäuscht hätten, teile er nicht. Generell sei Eikonal nie richtig in die Gänge gekommen, aber wichtig gewesen, um den BND fürs "Neuland" Internet zu "ertüchtigen". Mit den Snowden-Enhüllungen habe man dann "einiges" über NSA-Praktiken erfahren, "was nachdenklich gemacht und Vertrauen infrage gestellt hat". Die Vorwürfe müssten weiter im "offenen Dialog" aufgeklärt werden, ohne die Kooperation mit den USA grundsätzlich in die Frage zu stellen. (mho)