EU-Kommission dreht an der Software-Patentschraube

Der Lobbyverband Eurolinux fordert den Binnenmarkt-Kommissar auf, dem Konsultationsprozess rund um Softwarepatente nicht vorzugreifen.

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Die EU-Kommission will auf Druck der Patentlobby nun doch schneller als geplant den Weg freimachen für eine Richtlinie, die weitreichende Patentschutzmöglichkeiten für Software vorsieht. Damit könnte die Praxis des Europäischen Patentamts, schon heute zwischen Soft- und Hardwarepatentschutz so gut wie nicht mehr zu unterscheiden, fest zementiert werden. Zur weiteren Diskussion des Papiers hat die Binnenmarkt-Direktion Stellungnahmen von den nationalen Regierungen angefordert, die bereits am 12. März zur nächsten Tagung des Ministerrats in Brüssel vorliegen sollen.

Der neue Vorstoß kommt umso überraschender, als die Kommission erst im Herbst einen Konsultationsprozess rund um die umstrittene Thematik in Gang gesetzt und ihre Richtlinienpläne vorerst auf Eis gelegt hatte. Offiziell gibt es in Europa im Gegensatz zu den USA keine Patente auf Software. Um die auch von der Kommission bereits seit längerem geforderte Streichung des Artikels 52 Absatz 2c der Europäischen Patentübereinkunft, der "Computerprogrammen als solchen" den Patentschutz verwehrt, hat sich in den vergangenen Monaten eine heftig geführte Debatte entwickelt. Vor allem in der Open-Source-Gemeinde formierte sich frühzeitig der Widerstand gegen eine Veränderung der bisherigen Rechtslage. Selbst die Leiter der Europäischen Patentämter einigten sich bei ihrer "Diplomatischen Konferenz" Ende November in München darauf, vorerst alles beim Alten zu lassen.

Inzwischen sind bei der Binnenmarkt-Direktion mehr als 1300 Positionspapiere eingegangen, deren Autoren sich gegen die Ausdehnung des Patentschutzes auf Algorithmen aussprechen. Allein 1200 davon hat die Allianz Eurolinux zusammengetragen, die im Sommer bereits Zehntausende von Unterschriften für eine Petition gegen Softwarepatente gesammelt hatte. Die Einwände stammen nicht nur aus der Open-Source-Szene, sondern kommen auch von kleinen und mittleren Unternehmen oder Universitätsprofessoren. Rund 100 an die Kommission geschickte Schreiben haben allerdings auch für Softwarepatente Position bezogen.

Die Auswertung der bisherigen Stellungnahmen ist in Brüssel nicht abgeschlossen. Noch sind nicht einmal alle Briefe auf der Website veröffentlicht. Eurolinux zeigt sich daher besorgt über das Tempo, mit dem die EU-Richtlinie nun über das Parkett geschleift werden soll. In einem Brief an Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein, der heise online vorliegt, fordert der Lobbyverband die Kommission auf, vor weiteren Schritten zunächst die Konsultation ernsthaft zu Ende zu bringen. Abgeschlossen werden sollte der Prozess, so heißt es in dem Schreiben "durch eine öffentliche Anhörung, zu der alle sich mit der Sache beschäftigenden Politiker auf der ministeriellen und parlamentarischen Ebene eingeladen werden sollten. Erst danach kann eine Anordnung zur Vorbereitung eines Richtlinienentwurfs ergehen."

Das Vorpreschen von Bolkestein hat auch in deutschen Ministerien zu Kopfschütteln geführt, wo die Meinungsbildung zum Thema Softwareprozessen noch im Gange ist. Das Bundeswirtschaftsministerium wartet auf die Ergebnisse eines Gutachtens, das es beim Fraunhofer Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI) in Auftrag gegeben hat. Die Karlsruher Wissenschaftler sollen herausfinden, welche Form des Schutzes geistigen Eigentums "gleichermaßen unter mikro- wie makroökonomischen Gesichtspunkten für Software-Leistungen in der modernen internetbasierten Wissens- und Informationsgesellschaft" am geeignetsten ist.

Ein erstes Gutachten zum Thema Softwarepatente und Open Source, das die vom Berliner Informatikprofessor Bernd Lutterbeck geleitete Forschungsgruppe Internet Governance erstellt hat, liegt bereits vor. Die Autoren bemängeln unter anderem, dass das bestehende Patentwesen "Großunternehmen begünstigt", Wissen – "die wichtigste Ressource für die Ökonomie der Informationsgesellschaft" – dem Einfluss der Marktkräfte entzieht und die Innovationsgeschwindigkeit auf Softwaremärkten verringert. Generell geht es den Forschern aber nicht um das "Ob" von Softwarepatenten, sondern um das "Wie". So sollen ihrer Meinung nach zumindest Open-Source-Programme von Patentansprüchen verschont werden.

Sollte sich Brüssel trotz aller Einwände zu einer vorzeitigen Verabschiedung einer Richtlinie entschließen, dürften die Weichen für die zukünftige Patentpolitik kaum mehr umgestellt werden können. Im Europäischen Rat wird sich jedenfalls kaum eine Mehrheit gegen Softwarepatente finden lassen. (Stefan Krempl) / (jk)