EU-Copyright-Reform: die Modernisierung des Urheberrechts ist aus dem Blickfeld geraten

Um Artikel 13 und Artikel 11 der EU-Copyrightreform tobt ein heftiger Streit. Dabei steht eigentlich eine Modernisierung des Urheberrechts auf der Agenda.

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Upload-Filter und Artikel 13: EU-Rechtspolitiker befürworten Copyright-Reform

(Bild: gotphotos / shutterstock.com)

Lesezeit: 22 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Es geht hoch her bei der EU-Copyright-Reform. Erklärungen von Interessenverbänden der Medien-Industrie auf der einen, Demos und Mail-Aktionen der Gegner der Reform auf der anderen Seite: Besonders Artikel 11 (mit einem europaweiten Leistungsschutzrecht für Presseverlage) und Artikel 13 werden heftig kritisiert. Betreiber von Plattformen mit nutzergenerierten Inhalten haften laut dem besonders umstrittenen Artikel 13 künftig für unautorisierte Veröffentlichungen urheberrechtlich geschützter Werke. Alternativ müssen sie sich um Lizenzen auch für das von Dritten hochgeladene Material bemühen und prinzipiell Mechanismen vorhalten, um Werke gar nicht erst verfügbar zu machen, bei denen die Rechteinhaber ihre Ansprüche nachgewiesen haben. Viele Portale dürften so wohl nicht darum herumkommen, Upload-Filter zu installieren

Das eigentliche Ziel aber hat die Urheberrechtsreform der EU mit den Schlachten um die beiden Artikel aus den Augen verloren, urteilt Reto Hilty, Urheberrechtsexperte und Geschäftsführender Direktor des Münchner Max Planck Institut für Innovation und Wettbewerb. Der im Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments verabschiedete Text orientiere sich eher am Interesse klassischer Urheberrechtsindustrien als an einer Modernisierung im Sinne des digitalen Binnenmarkts. Ohne die Bereitschaft zu grundsätzlichen Innovationen im Urheberrecht könnten am Ende die Verbraucher, aber auch Europas Industrie die Zeche bezahlen, erklärt Hilty im Gespräch mit heise online.

Reto Hilty

(Bild: Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb)

heise online: Sie und Ihre Kollegen haben im vergangenen Jahr noch empfohlen, den Artikel 13 in der damals vorgelegten Form nicht zu verabschieden, vor allem wegen mangelnder Einpassung in den Rechtsrahmen und Widersprüche zu Grundrechten. Ist der neue Artikel 13 Ihrer Meinung nach verabschiedungswürdig?

Reto Hilty: Nicht wirklich. Einzelne Vorgaben zulasten jener Provider, die von der Norm erfasst werden sollen, sind zwar etwas abgeschwächt worden. Auch fallen neu in den Markt eintretende Provider bis zu einem gewissen Umsatzvolumen nicht unter die Norm. Die Mitgliedstaaten sollen außerdem Sorge tragen, dass Nutzer bezogen auf gesetzliche Schrankenbestimmungen, z.B. die Parodiefreiheit, nicht beeinträchtigt werden. Dennoch bleiben die grundsätzlichen Probleme bestehen. Nach wie vor geht es im Kern darum, dass Provider Inhalte, für die sie die notwendigen Nutzungsrechte nicht erwerben können, unzugänglich machen müssen. Mit den vielen Anpassungen, die zu einem Kompromiss ermöglichen sollen, hat die Komplexität der Bestimmung, die von vornherein schwer verständlich war, außerdem nochmals zugenommen.

heise online: In der Neufassung des Kompromisses wird versucht, den Kreis der betroffenen Unternehmen zu präzisieren. Ausgenommen werden eine Reihe spezieller Anbieter, etwa kollaborative Software-Entwicklerplattformen und nicht-kommerzielle Online-Lexika. Sind die neuen Definitionen ausreichend präzise und rechtsklar?

Hilty: Im Ansatz ist es sicher zu begrüßen, wenn Anbieter wie z.B. Wikipedia nicht unter die Norm fallen. Gleichzeitig führen Bereichsausnahmen immer zu Abgrenzungs- und Auslegungsfragen. Eine gewisse Beeinträchtigung der Rechtssicherheit ist damit unausweichlich. Allerdings kann eine nicht völlig präzise Norm auch mehr Flexibilität verschaffen. Künftige Geschäftsmodelle sind heute ja noch nicht bekannt. Lässt sich eine ausreichend offen formulierte Norm durch Auslegung auf einen neuen Sachverhalt anwenden, hat dies den Vorteil, dass nicht ständig der Gesetzgeber nachjustieren muss.

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heise online: Hier sehen Sie also eine gewisse Verbesserung?

Hilty: Das kommt auf die Perspektive an. Der Preis, der für höhere Flexibilität zu bezahlen ist, liegt in üblicherweise langwierigen Vorlageverfahren vor dem EuGH. Das kennen wir von der InfoSoc-Richtlinie aus dem Jahr 2001. Nach bald zwei Jahrzehnten legen nationale Gerichte immer noch ganz fundamentale Fragen vor, um die Tragweite des EU-Rechts auszuloten. Schön wäre es gewesen, wenn die neue Richtlinie bezogen auf das bereits bestehende europäische Urheberrecht für mehr Klarheit und Konsistenz gesorgt hätte. Dem ist leider nicht so. Vielmehr wird die neue Richtlinie eine Vielzahl neuer Fragen aufwerfen.

heise online: Einer Ihrer Kritikpunkte im vergangenen Jahr war, dass die geplanten Bestimmungen bestehendem EU-Recht widersprechen, etwa dem Haftungsprivileg der E-Commerce Richtlinie. Ist der Widerspruch dadurch, dass die "Online Content Sharing Provider" einfach grundsätzlich für die Inhalte ihrer Nutzer haften, aufgehoben?

Hilty: In der europäischen Gesetzgebung ist es durchaus üblich, dass sich Regelungsmaterien überschneiden. Entstehen dadurch Widersprüche, ist das problematisch. Beseitigt man diese durch Klarstellung, ist dies prinzipiell positiv. Die vorgeschlagene Ergänzung versucht nun eine Art Bereichsausnahme für die grundsätzliche Haftungsfreistellung nach der E-Commerce Richtlinie zu etablieren. Eine solche Sonderregelung ist nicht nur möglich, sondern letztlich unausweichlich, wenn der vorgeschlagene Artikel 13 seine Wirkung entfalten soll. Eine andere Frage ist, ob eine solche Sonderregelung rechtspolitisch gewünscht und sachlich sinnvoll ist.

heise online: Kritiker bemängeln, dass zwar eine Ausnahmeregelung für Start-Ups geschaffen wurde. Diese beziehe sich aber nicht auf Kleinunternehmen, die älter als drei Jahre sind. Werden diese gegenüber den großen Plattformen benachteiligt?

Hilty: Das stimmt so wahrscheinlich nicht ganz. Zwar ist es richtig, dass die Privilegierung für Start-Ups auf drei Jahre befristet ist; gerade diese "harte" Grenze dient indessen ja der Rechtssicherheit. Darüber hinaus sieht aber der einschlägige Absatz mehrere Kriterien vor, nach denen zu bestimmen ist, ob ein Provider seinen Pflichten nachgekommen ist. Mit berücksichtigt werden der Typ des Dienstes, das Publikum und die Größe, sowie die Art der von den Nutzern eingestellten Werke. (derzeit Artikel 13 Absatz 4a, (a)).

Was das hilft, wird man sehen. Denn die nationalen Gesetzgeber, die diese Richtlinie umsetzen müssen, haben einen enormen Auslegungsspielraum. Sie können diese Norm jedenfalls kaum einfach abschreiben, sondern sollten der Rechtspraxis genauere Kriterien vorgehen. Ob solche dann mit dem EU-Recht konform sind, wird jedoch wiederum der EuGH zu beurteilen haben. Insoweit mag man diese Norm kritisieren, aber ihr Zweck ist es gerade, kleinere Provider mit diesen neuen Pflichten nicht übermäßig zu belasten.