Verfassungsschutz-Chef: Virtuelle Agenten operieren erfolgreich auf Telegram

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat laut seinem Präsidenten Thomas Haldenwang bei Hass und Hetze auf dem Messenger-Dienst Telegram alles so weit im Griff.

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(Bild: Justlight/Shutterstock.com)

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Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), hält die Behörde im Kampf gegen extremistische Aktivitäten auf dem Messenger-Dienst Telegram und sozialen Netzwerken nicht für überfordert. "Unsere virtuellen Agenten sind auf den Plattformen unterwegs", erklärte der politische Beamte in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. "Ich darf Ihnen nicht sagen, wie viele Mitarbeiter das sind, aber sie sind sehr erfolgreich."

Nach den Morddrohungen gegen den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) über Telegram "war es nicht zuletzt dank unserer Aktivitäten möglich, Personen zu identifizieren", brachte Haldenwang ein Beispiel. Er räumte aber ein, dass es für den Inlandsgeheimdienst nicht möglich sei, "das komplette Geschehen auf Telegram überblicken". Das wolle man aber auch gar nicht: "Uns geht es darum, extremistische Aktivitäten, Hass und Hetze herauszufiltern."

Den Anteil, den soziale Netzwerke und Chat-Gruppen an Radikalisierungsprozessen in der Gesellschaft haben, schätzt der Jurist als recht hoch ein: "Es gibt eine eigene Art der Kommunikation und Vernetzung auf den Plattformen", die in der analogen Welt so nicht möglich sei, führte er aus. "Die verschiedensten Protagonisten können bundesweit Ideen und Phantasien austauschen, sich gegenseitig radikalisieren und emotionalisieren. Das ist eine eigene Welt mit eigenen Risiken."

2018 hatte sich Haldenwang – damals neu an der Amtsspitze – bei einer Geheimdienstanhörung im Bundestag noch drastischer ausgedrückt. Facebook, Telegram & Co. fungierten als "Aufputschmittel und Tatort" für Extremisten und Terroristen, beklagte er damals und forderte Zugriff auf verschlüsselte Kommunikation. Die Plattformen begünstigten ein "Klima der Enthemmung" und dienten als "Brandbeschleuniger für spätere physische Gewalt".

"Telegram gilt unsere besondere Aufmerksamkeit, weil dort nur in sehr geringem Umfang Selbstreinigungskräfte wirken", betonte der 61-Jährige nun. Hass und Hetze würden dort oft nicht gelöscht. Wünschenswert wäre hier deshalb ein stärkere "Einwirken, damit Telegram selbst strafbare Inhalte entfernt".

Angesichts hundertfacher Mordaufrufe gegen bekannte Persönlichkeiten hierzulande allein seit Mitte November auf deutschsprachigen Kanälen fordern hiesige Politiker seit Wochen eine stärkere Regulierung des offiziell in Dubai sitzenden Anbieters. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) brachte jüngst gar eine Abschaltung des Dienstes ins Spiel, falls dieser sich weiter nicht ans Netzwerkdurchsetzungsgesetz halte und auf deutsche Behördenanschreiben nicht reagiere.

Haldenwang will die Bedeutung extremistischer Online-Äußerungen nicht überdramatisieren. Ein Großteil der Personen, "die uns im Netz auffallen", sei offline "bisher nicht in Erscheinung getreten und wird das vielleicht auch nie", berichte er. "Es gibt die Maulhelden, die sich im Internet sehr lautstark äußern, aber den Fuß nicht vor die Tür setzen." Er verwies aber auch auf Gruppen, "die konkrete Pläne schmieden, sich Waffen zu beschaffen". Höchste Wachsamkeit sei gefragt, "wenn es sich dabei um Angehörige von Sicherheitsbehörden handelt".

Den Wink der Ampel-Koalition mit der Überwachungsgesamtrechnung hat der Geheimdienstchef offenbar verstanden: Auf die Frage der Zeitung, ob er "überhaupt keine Wünsche an die neue Regierung" habe und nicht etwa auf eine Befugnis zu heimlichen Online-Durchsuchungen dränge, entgegnete Haldenwang: "Wir sind aktuell personell und materiell gut ausgestattet. Bevor ich weitere Kompetenzen fordere, möchte ich zunächst mal sehr sorgfältig analysieren, ob die derzeitigen Kapazitäten und Befugnisse ausreichen. Grundsätzlich muss man sich immer fragen: In welchem Verhältnis steht der Gewinn von Informationen zum Verlust von Freiheitsrechten? Das muss immer in einer Balance bleiben."

Eine weitgehende Befugnis für alle Spionagebehörden von Bund und Ländern, mithilfe digitaler Wanzen in Smartphones und Computer einzudringen sowie verschlüsselte Nachrichten, Internet-Telefonate und Video-Calls via WhatsApp, Skype, Signal, Telegram, Threema & Co. mitzuschneiden, hatte der Bundestag mit dem umstrittenen Gesetz zur "Anpassung des Verfassungsschutzrechts" im Sommer noch unter Schwarz-Rot beschlossen. Zulässig wird damit eine erweiterte Quellen-Telekommunikationsüberwachung (TKÜ), die bereits an eine Online-Durchsuchung grenzt: Agenten dürfen so die laufende Kommunikation direkt am gehackten Endgerät abgreifen, bevor sie ver- oder nachdem sie entschlüsselt wurde, sowie gespeicherte Chats und Mails.

Die Abgeordneten gaben auch bereits vor, dass die Diensteanbieter die "berechtigten Stellen" dabei unterstützen müssen, "technische Mittel" zur Quellen-TKÜ wie Trojaner und zusätzlich benötigte Abhörhardware "einzubringen" und die Kommunikation an diese umzuleiten. Das Bundesinnenministerium brachte dazu noch unter dem früheren Ressortleiter Horst Seehofer (CSU) in einem Verordnungsentwurf Details zur Umsetzung dieser Mitwirkungspflichten auf den Weg. Nach dem Regierungswechsel fand diese umstrittene Initiative im Bundesrat aber keine Mehrheit.

(bme)