re:publica 22: Internetkonferenz startet mit Olaf Scholz neu durch

Die Konferenz re:publica wagt den Neustart in Berlin als Präsenzveranstaltung. Das halbe Bundeskabinett soll kommen, Nachhaltigkeit und Medien stehen im Fokus.

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Die re:publica will 2022 mit frischem Wind und vielen Themen durchstarten.

(Bild: re:publica Berlin)

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Die als kleine Bloggerkonferenz gestartete und mittlerweile als "Festival für die digitale Gesellschaft" firmierende re:publica kehrt in diesem Jahr analog zurück. Zwei Jahre lang hatten die Veranstalter den Kongress während der Hochzeit der Corona-Pandemie ins Internet verlegt. Nun erhoffen sie sich einen "großartigen Neustart" und haben dafür die Location gewechselt: Die "Station Berlin" – ein ehemaliger Güterbahnhof – in Kreuzberg ist out, die in Treptow gelegene "Arena Berlin" mit dem Festsaal Kreuzberg und dem Badeschiff an der Spree die neue Heimstätte für die dreitägige Nabelschau der Internetgesellschaft.

Das weitläufige Gelände soll laut den Machern "Raum für Austausch und Begegnungen" zwischen dem 8. und 10. Juni in der Hauptstadt bieten. Viel Politik ist dabei: Markus Beckedahl, Gründer der re:publica und der Website Netzpolitik.org, freute sich, dass das "halbe Bundeskabinett vor Ort" sei. Ein kleiner Coup gelang den Organisatoren auch: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der bisher eher mit Schweigen rund um die Welt der Bits & Bytes auffiel, wird mit TV-Moderatorin Linda Zervakis über Digitalisierung und netzpolitische Herausforderungen sprechen.

2019 hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) das dreitägige Stelldichein der digitalen Gesellschaft bei der bislang letzten Konferenz mit Publikum in der Hauptstadt eröffnet, um der re:publica mehr politische Sichtbarkeit zu verleihen. Die Hauptbühne wird dieses Jahr laut Beckedahl aber mit einem Mix aus Themen, Personen und Formaten bespielt, was an Fernsehshows ausd en 80er-Jahren und Twitter-Streams erinnern solle.

Eine andere Premiere: Zum ersten Mal geht es bei dem "Netzwerk-Veranstaltungsformat" .txt am 11. Juni bei einem Zusatztag ausschließlich um das geschriebene Wort in Form von Drehbüchern, Songtexten, Graphic Novels, Tweets, Podcast-Skripten, Essays und Memes. Angesprochen fühlen sollen sich davon etwa Autodidakten, Autoren, Künstler, Produzenten, Verleger und Forscher aus Literaturbetrieb, Filmbranche, Gameskultur und Musik.

Das Programm der Stammkonferenz steht dieses Jahr unter dem Motto "Any Way the Wind Blows". Dabei handelt es sich um den letzten Satz aus "Bohemian Rhapsody", mit dem sich die re:publica traditionsgemäß nach der Tagung verabschiedet. Geschäftsführer Johnny Haeusler will das Zitat im Lichte der Pandemie nun als Verneigung vor der Unberechenbarkeit und dem Irrationalen verstanden wissen.

Inhaltlich soll es um Themen gehen, die den Besuchern unter den Nägeln brennen und nicht vom ersten Windstoß verweht werden. Der Mix dürfte alten re:publica-Hasen weitgehend bekannt vorkommen. Geführt werden sollen die "großen Debatten unserer Zeit rund um Klima" etwa mit der Aktivistin Luise Neubauer sowie über den Krieg in der Ukraine mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Weitere Themen sind Corona und technologische Evolutionen wie das Metaverse und das gehypte Web3 mit Kryptowährungen und Non-Fungible Tokens (NFTs).

Nicht fehlen darf die Künstliche Intelligenz (KI) mit ihren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen. Zu den Schwerpunkten zählen ferner zivilgesellschaftliche Strategien gegen Desinformation und den richtigen Umgang mit Hass im Netz sowie die Begrenzung der Macht großer Tech-Konzerne durch neue Ansätze zur Plattformregulierung, wo die EU aber schon reicht weit gekommen ist.

Einen Fokus legen die Veranstalter erneut auf Nachhaltigkeit in all ihren Facetten. Eine so große Konferenz sei "per se nicht besonders klimafreundlich", räumte Haeusler ein. Die Leute "reisen an, wollen essen, brauchen Licht, Strom". Das Treffen produziere "wahnsinnig viel Müll". Die Bühnenbauten seien aber alle aus zertifiziertem Holz oder seit gut zehn Jahren genutztem Kunststoff. Am Ende werde man eine CO₂-Bilanz erstellen und entscheiden, wie sie kompensiert werden kann. Der Spreeblick-Blogger empfahl den Kommenden, eigene Lanyards für die Ausweise mitzubringen. Beim Catering werde auf Fleisch verzichtet.

Ein eigenes Programm-Special gibt es zu Medien, in dem es um innovative Techniken genauso gehen soll wie um die Zukunft des Journalismus. Dieser Teil wird erneut vom Medienboard Berlin-Brandenburg (MBB) gefördert und der Medienanstalt der Region unterstützt.

Auf der Bühne stehen wird etwa das re:publica-Urgestein Sascha Lobo, der auf der Konferenz seit Jahren mit steilen Thesen über das Netz und seine Gestalter für Kontroversen sorgt. Zum Line-up gehören zudem die Transformationsforscherin Maja Göpel mit der Eröffnungsrede zu den Herausforderungen der Klimakrise, die KI-Wissenschaftlerin Kate Crafword sowie die Ökonomin Claudia Kemfert, die sich vor allem für die Verkehrswende starkmacht. Eva Schulz und Tilo Jung werden mit Richard Gutjahr über Medienmachende als Marke diskutieren.

Ganz im Zeichen der digitalen Jugendkultur wird wieder die Konferenz Tincon stehen, die am 10. und 11. Juni stattfindet. Hier soll sich der Nachwuchs etwa mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) über die Nachwehen der Seuche austauschen können. Das Standard-Ticket für die re:publica schlägt dieses Jahr mit 235 Euro zu Buche. 2017 waren es 199 Euro.

Programmleiterin Milena Mana da Costa verweist auf insgesamt zehn Sprechbühnen mit über 400 Sitzungen und über 700 Vortragenden, die zu über 50 Prozent weiblich seien. Wie sich Corona auf die Besucherzahlen auswirken wird, können die Organisatoren noch nicht genau abschätzen. 2019 waren rund 25.000 Teilnehmer dabei, diesmal liegt die Kapazität laut Co-Geschäftsführer Andreas Gebhard bei 30.000. "Wir haben uns viele Gedanken gemacht, dass es sicher ist", betonte er. So sei die Konferenz etwa vom traditionellen Zeitpunkt im Mai in den Juni geschoben worden, um mehr Veranstaltungen im Freien austragen zu können.

"Die große Halle ist extrem gut belüftet, man kann Abstand halten", versicherte Haeusler. Ein Impfcheck am Eingang sei zwar nicht mehr gestattet, in kleineren Räume werde es aber eine Maskenpflicht geben. In größeren gelte die Empfehlung zum Tragen eines Mund-Nase-Schutzes.

(olb)