Schwarz-Grün: NRW will bis 2030 weg von der Kohle, Schleswig-Holstein früher

Die schwarz-grünen Koalitionen in NRW und Schleswig-Holstein treten zum Rennen um das "erste klimaneutrale Industrieland" an, die Wege sind aber verschieden.

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(Bild: GLF Media/Shutterstock.com)

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Die neuen schwarz-grünen Regierungsbündnisse in Nordrhein-Westfalen (NRW) und Schleswig-Holstein (SH) haben unter der Woche ihre Koalitionsverträge präsentiert. Ein Vorsatz findet sich in beiden Papieren: "Wir wollen Nordrhein-Westfalen zur ersten klimaneutralen Industrieregion Europas machen", heißt es in dem einen Plan gleich an erster Stelle. Das SH-Team schreibt ganz ähnlich, aber konkreter: Das Bundesland im Norden soll "das erste klimaneutrale Industrieland werden und dieses Ziel bis 2040 erreichen". Die Ausgangsbasis in diesem Rennen ist unterschiedlich, sodass die vorgesehenen Wege zu dem begehrten Titel ebenfalls nicht ganz die gleichen sind.

Für NRW "als Herzkammer der deutschen Industrie" bedeute der Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel "enorme Herausforderungen, aber auch große Chancen", schreiben CDU und Grüne in ihrer dortigen Vereinbarung. "So schnell wie möglich" sollen daher entlang des 1,5-Grad-Ziels die Treibhausgas-Emissionen auf Netto Null sinken. Das NRW-Klimaschutzgesetz werde dazu im Rahmen eines Sofortprogramms überarbeitet: "Dabei werden wir das Zwischenziel für 2030 im Rahmen der bundesgesetzlichen Vorgaben deutlich anheben, um auch jenseits des Kohleausstiegs Potenziale" zu nutzen.

"Wir unterstützen den Bund bei seinen Bemühungen, schrittweise unabhängig von fossilen Rohstoffimporten zu werden", betont das NRW-Duo. Erste Priorität habe das Loseisen von Russland.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte in diesem Sinne unter der Woche angekündigt, mehr Kohlekraftwerke in Betrieb nehmen zu wollen. Der NRW-Energieversorger RWE kündigte daraufhin an, drei Braunkohlekraftwerke weiter betreiben zu können, wenn er dazu aufgefordert würde. Der Stromerzeuger Steag will ebenfalls eine Anlage länger betriebsbereit halten. Eine Rolle rückwärts auf diesem Feld soll es nach offiziellen Angaben indes nicht geben: "Wir wollen den Kohleausstieg in Nordrhein-Westfalen bis 2030 umsetzen", beteuern CDU und Grüne in ihrem Vertrag. "Die rechtlichen und finanziellen Grundlagen zum Kohleausstieg auf Bundesebene müssen entsprechend angepasst werden."

Ein sozialverträglicher Personalabbau sei dabei weiter zu sichern. Bis 2030 werde die Braunkohle aber "angesichts des Ukrainekrieges ihren Beitrag leisten". "Mit einer zeitnahen neuen Leitentscheidung sorgen wir für Klarheit und Sicherheit für die Menschen im Rheinischen Revier", heben die Partner hervor. Diese solle "das letzte Kapitel für den Braunkohletagebau" in NRW sein.

Für die Wiedernutzbarmachung und Rekultivierung habe RWE als Bergbautreibender ausreichend Vorsorge zu treffen. Es müsse sichergestellt sein, dass der Konzern mit seinem ganzen Vermögen "umfassend für die Tagebaufolgekosten haftet". Zugleich soll "eine in öffentlichem Eigentum stehende großflächige Waldvernetzung im südlichen Teil des Tagebaus Hambach" gebildet und der dauerhafte Erhalt des Forstes gewährleistet werden.

Die Koalition will sich ferner "für ein schnellstmögliches Abschalten grenznaher Atomkraftwerke in den Nachbarländern" starkmachen. Die wichtigste Maßnahme zur Erreichung von Energiesouveränität und zum Erhalt einer bezahlbaren Versorgung bleibe der beschleunigte Ausbau erneuerbarer Energien, unterstreicht die künftige NRW-Regierung. Dieser stelle "ein überragendes öffentliches Interesse dar".

Im Übergang sei der Bau moderner Gaskraftwerke nötig, auch um den steigenden Strombedarf zu decken. Diese müssten "auf klimaneutrale Gase" wie grünen Wasserstoff umgestellt werden können. "Um den zügigen Zubau an notwendiger gesicherter Leistung anzureizen, unterstützen wir ein "Strommarktdesign mit wettbewerblichen und technologieoffenen Kapazitäts-und Flexibilitätsmechanismen", geloben CDU und Grüne im Sinne von Experten.

Entscheidend sei auch "eine fortlaufende Arbeit an der Verfahrensbeschleunigung im Bereich der Energieinfrastruktur, insbesondere die weitergehende Digitalisierung von Planfeststellungs- und Plangenehmigungsverfahren."

"Wir werden eine Digitalisierungsoffensive für die Energiewende starten, insbesondere um die Nutzung von Smart Grids und Smart Meter zur digitalen Steuerung des Netzes auszubauen", ist dem Papier zu entnehmen. "Dabei müssen IT- und Datensicherheit ein Grundpfeiler zum Schutz dieser kritischen Infrastruktur sein." Die Digitalisierung könne zudem helfen, Verbraucher zu "Prosumern" zu machen, die Erzeuger und Nutzer gleichzeitig sind. So könnten etwa E-Autos als lokale Zwischenspeicher durch bidirektionales Laden fungieren, "um die Netzstabilität und Versorgungssicherheit zu unterstützen".

Das NRW-Bündnis will zudem die Voraussetzungen dafür schaffen, dass in den kommenden fünf Jahren mindestens 1000 zusätzliche Windenergieanlagen entstehen. Dafür soll umgehend der 1500-Meter-Vorsorgeabstands im Landesentwicklungsplan fallen. Anwohner sollen im Gegenzug noch stärker an der Wertschöpfung der Anlagen in ihrem Umfeld beteiligt werden, etwa über Stiftungsmodelle, Nachrangdarlehen, Anteile an Trägergesellschaften oder regional günstigere Stromtarife.

Die Koalition will auch "schrittweise eine umfassende Solarpflicht einführen". Diese soll von Anfang 2023 an für alle neuen öffentlichen Liegenschaften gelten. Geeignete Dachflächen müssten hier zudem möglichst bis Ende 2025 nachgerüstet werden. Ab Anfang 2024 soll die Vorgabe für alle gewerblichen Neubauten und ab Mitte des Jahres im Bestand der kommunalen Liegenschaften greifen, "sofern das Dach umfassend saniert wird". Für private Neubauten gelte die Auflage von 2025 an. Ein Jahr später würden private und gewerbliche Bestandsgebäude im Sanierungsfall erfasst. Eine Verordnung soll garantieren, "dass die Pflicht nur dort greift, wo es sinnvoll und zumutbar ist".