Tele2 verteidigt Filesharer-Kundendaten

Der österreichische Oberste Gerichtshof hat nach zähem Ringen entschieden, dass Service-Provider keine Kundendaten an die "Urheberrechtsindustrie" herausrücken müssen – und damit eine Empfehlung des Europäischen Gerichtshofs übergangen.

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Österreichische Internet-Zugangsprovider müssen und dürfen die Daten ihrer Kunden nicht an die Urheberrechtsindustrie herausgeben, zumindest sofern die Kunden dynamische IP-Adressen nutzen. Mit diesem Resultat schließt ein mehr als vier Jahre dauernder Rechtsstreit zwischen der österreichischen Rechteverwertungsgesellschaft LSG und dem Provider Tele2. Der Oberste Gerichtshof (OGH) des Landes hat nun in einem rechtskräftigen Urteil (4 Ob 41/09x) der Forderung der LSG nach Preisgabe der Identität angeblicher P2P-Dateitauscher eine Absage erteilt. Die gesuchten Daten dürfen vom Provider nämlich gar nicht gespeichert werden – und was nicht gespeichert werden darf, darf auch nicht beauskunftet werden. Dabei hatten die Vorinstanzen noch für den Rechteverwerter entschieden. Die LSG muss Tele2 nun Verfahrenskosten von annähernd 18.000 Euro ersetzen.

Die LSG ist eine österreichische Verwertungsgesellschaft, die unter anderem die Rechte von Tonträgerherstellern und ausübenden Künstlern bezüglich der öffentlichen Zurverfügungstellung des Vortrags von Werken der Tonkunst wahrnimmt. Sie ließ die IP-Adressen der Teilnehmer bestimmter Dateitausch-Netze erheben. Anschließend verlangte die LSG von den ISP Auskunft über Namen und Adressen der jeweiligen Nutzer, um diese klagen zu können. Dieses Begehren wurde auf Paragraph 87b Abs 3 Urheberrechtsgesetz gestützt, der eine entsprechende Auskunftsverpflichtung vorsieht. Auch Tele2 gab zunächst mehrmals Auskunft darüber, welchen Kunden die von der LSG genannten IP-Adressen im fraglichen Zeitpunkt zugeordnet waren. In neun Fällen aus dem Zeitraum Oktober 2004 bis Oktober 2005 verweigerte Tele2 allerdings die Auskunft und wurde daraufhin selbst von der LSG beklagt.

Zunächst wurde Tele2 von Gerichten dazu angehalten, die Daten nicht zu löschen. Im Hauptverfahren urteilten erste und zweite Instanz für die LSG und verpflichteten Tele2 zur Herausgabe der Daten. Der Provider rief aber den OGH an. Dieser wiederum wandte sich zunächst an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) und legte diesem zwei Vorfragen vor (OGH 4 Ob 141/07z). Der OGH wollte wissen, ob die in der Informations-Richtlinie der EU vorgesehene Auskunftsverpflichtung auch auf Zugangsprovider anwendbar ist und ob überhaupt eine Weitergabe der Daten an Private (und nicht nur an Behörden) zulässig ist. Obwohl der EuGH beide Fragen bejahte (C-557/07), entschied der OGH nun gegen die LSG. Tele2 muss damit die Daten nicht herausgeben.

"Das Problem des hier zu beurteilenden Sachverhalts liegt (…) darin, dass die begehrte Stammdatenauskunft nur möglich ist, wenn die Beklagte dafür (intern) Verkehrsdaten verarbeitet", schreibt der OGH in der Urteilsbegründung. Es "sind (zumindest) dynamische, d.h. nur für eine bestimmte Zeit zugewiesene IP-Adressen in die Kategorie der Zugangs- und damit der Verkehrsdaten einzuordnen." Nach Paragraph 99 Absatz 1 Telekommunikationsgesetz 2003 sind aber "Verkehrsdaten, die sich auf Teilnehmer und Nutzer beziehen (...) zu löschen oder zu anonymisieren, sobald sie für die Übertragung einer Nachricht nicht mehr benötigt werden." Soweit die Daten nach anderen Bestimmungen zulässiger Weise doch gespeichert sein sollten, dürften sie aber nur für diese anderen Zwecke verwendet werden. "Da die Beklagte nicht zu einem rechtswidrigen Verhalten verpflichtet werden kann, ist ihrer Revision Folge zu geben und das Klagebegehren abzuweisen."

Eine Pflicht zur Auskunftserteilung sei nur durch Änderung der Rechtslage herbeiführbar, betonen die Richter. Doch eine solche Rechtsänderung birgt auch ihre Risiken. Denn der erwähnte Paragraph 87b Urheberrechtsgesetz überlässt es dem ISP, zu überprüfen, ob der Rechteinhaber eine Rechtsverletzung durch den Nutzer bescheinigt hat. Der ISP "könnte schon wegen der sonst drohenden Prozesskosten geneigt sein, die gegen eine Bekanntgabe sprechenden Gründe nicht näher zu prüfen und Auskünfte praktisch unbesehen zu erteilen", warnt der OGH.

Da es seit der Anfang 2008 in Kraft getretenen Strafprozessreform in Österreich kein richterliches Ermittlungsverfahren bei Privatanklagedelikten mehr gibt, kann die LSG auch nicht über eine Strafanzeige samt nachfolgender Akteneinsicht an die Namen und Adressen herankommen. Die gesammelten IP-Adressen von P2P-Nutzern sind damit vorerst wertlos. Offen gelassen hat der OGH in diesem Verfahren, ob fixe IP-Adressen zu den Stammdaten gehören und der ISP hierüber sehr wohl Auskunft zu erteilen hätte. Die "Urheberrechtsbranche" hofft nun auf die Einführung der Vorratsdatenspeicherung in Österreich, um über diesen Weg an die Daten heranzukommen.

Die Detailbestimmungen zur Vorratsdatenspeicherung werden derzeit von einer Arbeitsgruppe verhandelt. Abzuwarten bleibt, wie lange die Daten gespeichert werden sollen und für welche Zwecke ihre Erhebung zulässig ist. Das Match "Urheberrechtsindustrie gegen Datenschützer" geht somit weiter.

Siehe dazu auch:

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Daniel AJ Sokolov / (cm)