Datenschutz: "Demokratie zeichnet sich durch Informationsverzicht aus"

Spiros Simitis, Spiritus Rector der gesetzlichen Sicherung der Privatsphäre in Deutschland, hat bei der Feier des 30. Geburtstags des Berliner Datenschutzbeauftragten die "präventive" Datenspeicherung scharf kritisiert.

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Spiros Simitis, Spiritus Rector des Datenschutzrechts in Deutschland, hat bei der Feier zum 30. Geburtstag der Institution des Berliner Datenschutzbeauftragten die Datenspeicherung zu präventiven Zwecken scharf kritisiert. "Demokratie zeichnet sich durch Informationsverzicht aus", betonte der Professor für Rechtsinformatik. Wann immer personenbezogene Informationen gesammelt würden, "streuen sie", warnte Simitis vor Datenabflüssen in die Hände von Unternehmen oder Sicherheitsbehörden. Eine konsequent betriebene Politik der Prävention etwa von Straftaten oder Krankheiten führe zu einer "Steuerbarkeit" der Betroffenen. Wenn der Bürger Daten absichtlich oder unbewusst abgebe, dürften diese daher in einer Demokratie nicht in jedem Fall verwendet werden.

"Menschen sollen sich nicht wieder finden in allen möglichen Dateien, die anderen zugänglich gemacht werden", erklärte der langjährige Kämpfer für die Sicherung der Privatsphäre. Um diesen Ansatz durchzusetzen, müsse der Datenschutz die Grundprinzipien seiner Entstehungszeit aus den 1970ern überdenken. Es reiche nicht mehr aus, aus Reaktion auf die Informationstechnologie die Prinzipien der Zweckbindung und Erforderlichkeit der Informationsverarbeitung festzuschreiben. Vielmehr gebe es angesichts der "immer perfekteren Vernetzung" und Verlinkung "keine Daten des Einzelnen" mehr, "die nicht relevant sind oder nicht erreichbar wären". Personenbezogene Informationen seien zu einem "Verhaltensschlüssel" geworden, die gemäß der Politik der Prävention eine "Erkennbarkeit" individueller Vorhaben sicherstellen sollten.

Simitis führte vier Beispiele dafür an, dass die Verfügbarkeit und Verknüpfbarkeit von Daten von der Politik bewusst für Überwachungszwecke herangezogen werde. So habe das französische Innenministerium vor drei Wochen eine Verordnung erlassen, "um die Effizienz der Tätigkeit der Sicherheitsbehörden neu zu begründen". Sie schließe das Recht ein, "alle Daten zu sammeln, zu speichern und zu analysieren, von Personen, deren bisheriges individuelles oder kollektives Verhalten erkennen lässt, dass die öffentliche Sicherheit gefährdet werden könnte". Wie bei der deutschen Anti-Terror-Datei dürften auch alle Kontaktpersonen erfasst werden. Weiter verwies der Jurist auf eine FBI-Initiative, die es ermöglichen solle, potenziell verdächtige Personen rechtzeitig auszumachen. Dabei erreiche "die Biometrie einen Höhepunkt". So würden Gesichtsfelder von Millionen Fahrern auf öffentlichen Straßen aufgenommen und mit Fotos von Führerscheinbesitzern abgeglichen.

Auch die britische Regierung gab Simitis Stoff zur Begründung seiner These. Sie habe einen Entwurf für eine Dringlichkeitsmaßnahme veröffentlicht, mit der Haushalte zur Installation intelligenter Stromzähler verpflichtet würden. Ziel sei es, die abgerufenen Daten bei den zuständigen Stellen zu bewerten und als Grundlage für eine alternative Energiepolitik anzusehen. Bei der britischen Biobank würden nicht nur Anzeichen für spezifische Alterskrankheiten gesammelt, sondern auch Informationen über die Lebensumstände. Zugänglich sei die Datenbank auch Strafverfolgern und Geheimdiensten.

Generell müssen Gesellschaft und Politik laut dem Rechtsprofessor die Möglichkeiten der Informationstechnik kritisch hinterfragen, "über jeden von uns ein vollständiges Profil" erstellen zu können. Mehr denn je sei klar: Entscheidend sei nicht etwa die Vertrauenswürdigkeit eines Ministers, "sondern, ob es objektive Grenzen gibt, die jeder einhalten muss". Nie zuvor sei die Bedeutung des Datenschutzes so elementar gewesen wie heute. Es handle sich um "eine elementare Funktionsbedingung einer demokratischen Gesellschaft". Genauso groß sei aber die Gefahr, dass alle Bemühungen zu seiner Umsetzung "vergeblich sind".

Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum zeigte sich zuversichtlich, dass sich mit dem Regierungswechsel auf Bundesebene "das Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit wieder stärker zur Freiheit hin orientiert". Der FDP-Politiker machte "Tendenzen" aus, unter Schwarz-Gelb vom Trend hin zum "Feindstrafrecht" wegzukommen. Gerade auch viele junge Leute engagierten sich wieder für den Datenschutz. Diese positive Entwicklung sei durch die Vorratsdatenspeicherung, heimliche Online-Durchsuchungen und das Gesetz für Web-Sperren vorangetrieben worden, da derlei Überwachungs- und Zensurbestrebungen Widerstand provoziert hätten. Es gebe aber "noch sehr viel zu tun". Die Politik müsse der fortdauernden Gefahr der "Verführbarkeit, die Verfassung nicht ernst zu nehmen", widerstehen.

Zugleich machte Baum klar, dass es auch unter der neuen Koalition "keine rechtliche Durchregulierung des Netzes geben" dürfe. Vor allem das Urheberrecht könne "sehr schnell zum Einfallstor für staatliche Kontrolle werden", warnte der Liberale vor einer "Urheberpolizei". Er wünsche sich dagegen, dass der Datenschutz wie der Umweltschutz "immer stärker ins Bewusstsein tritt" und zur Bürgerbewegung werde. Dazu müsse auch das neue, vom Bundesverfassungsgericht aufgestellte Grundrecht auf Integrität und Vertraulichkeit von IT-Systemen "ausgeschöpft" werden. Nötig sei eine "umfassende Renovierung des Datenschutzrechtes". Dabei müsse Schwarz-Gelb aufpassen, "dass nicht noch einmal starke Lobbykräfte die Reformen zum Teil kaputt machen".

Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar freute sich darüber, dass im Koalitionsvertrag Datenschutz "nicht mehr als Bedrohung und bürokratisches Hindernis" erscheine wie unter der großen Koalition. Die Sicherung der Privatsphäre sei eine "gesellschaftliche Aufgabe". Datenschutz werde wichtiger in einer Gesellschaft, in der jeder nicht nur Objekt der Datenverarbeitung sei, sondern etwa in sozialen Netzwerken auch selbst Informationen über sich und andere bereitstelle. Schaar forderte die neue Regierung zugleich auf, es "nicht bei einer Absichtserklärung zu belassen". Die Modernisierung des Datenschutzrechts sei schon 1998 von Rot-Grün angekündigt worden, aber "auf den ersten Metern stecken geblieben". Das Berliner Datenschutzgesetz lobte Schaar, da es dem Pendant auf Bundesebene "etwa beim technischen Datenschutz einen Schritt voraus ist". (jk)