Filesharing-Prozess: Richterin legt Urteilsbegründung vor

In ihrer schriftlichen Begründung des Schadenersatz-Urteiles gegen den US-Studenten Joel Tenenbaum liest Richterin Nancy Gertner dessen Anwälten die Leviten: "Wahrlich chaotisch" sei die Verteidigung von Harvard-Professor Charles Nesson gewesen.

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Schlechte Noten für den Professor: In dem Zivilverfahren gegen den US-Studenten Joel Tenenbaum hat die vorsitzende Richterin das schriftliche Urteil vorgelegt. Im August hatte das Gericht Tenenbaum der Urheberrechtsverletzung durch Filesharing in 30 Fällen für schuldig befunden und die Geschworenen den Schadensersatz auf 675.000 US-Dollar (450.000 Euro) festgesetzt. In ihrem abschließenden Urteil bestätigt Richterin Nancy Gertner den Schuldspruch und entscheidet über weitere Unterlassungsforderungen der klagenden US-Musikunternehmen. Gertners schriftliche Begründung ist darüber hinausauch eine Standpauke für Tenenbaums Verteidigung unter Führung von Harvard-Professor Charles Nesson.

Tenenbaum war 2003 im Zuge einer breit angelegten Kampagne des US-Branchenverbands Recording Industry Association of America (RIAA) ins Visier der Industrieanwälte geraten. Im Laufe des langwierigen Zivilverfahrens hatte Nesson mit einem Team seiner Studenten dann Ende 2008 die Verteidigung übernommen. Im Laufe des im Juli dieses Jahres eröffneten Prozesses hatte Tenenbaum die ihm zur Last gelegte Verbreitung von 30 Musiktiteln über das P2P-Netzwerk Kazaa eingeräumt. Richterin Gertner hatte die Schuldfrage daraufhin als geklärt betrachtet und die Geschworenen angewiesen, über die Höhe des Schadenersatzes zu entscheiden. Das Urteil der Jury: 22.500 US-Dollar pro Song.

Die Verteidigung hatte unter anderem auf die "Fair-Use"-Doktrin des US-Copyrights gesetzt. Bestimmte Nutzungsformen bedeuten demnach keine Verletzung des Schutzes, den das Urheberrecht gewährt. Dabei hatte Nesson es mit einer Richterin zu tun, die solchen Argumenten gegenüber offen ist, wie sie in ihrer schriftlichen Ausfertigung des Urteils betont: "Das Gericht [...] hat alles in seiner Macht stehende getan, damit Tenenbaum seine bestmögliche Verteidigung auf Fair Use aufbauen kann".

Gertner hatte die "Fair-Use"-Verteidigung kurz vor Prozessbeginn verworfen. In der Begründung schreibt sie dazu, sie sei bereit gewesen, Argumente für eine über die Sichtweise anderer Gerichte hinausgehende Auslegung der Doktrin zu hören. Doch habe Nessons Verteidigung sich nicht ausreichend mit den vorliegenden Fakten auseinandergesetzt. Stattdessen habe Nesson eine späte "Breitseite" gegen das US-Copyright versucht, "die jegliches Filesharing zum privaten Vergnügen entschuldigen würde". Insgesamt habe der Harvard-Professor eine "wahrlich chaotische Verteidigung" abgeliefert, Termine nicht eingehalten und "oberflächliche" Schriftstücke formuliert – eine Einschätzung, die Prozessbeobachter von beiden Seiten teilen.

Mit der Urteilsbegründung zwingt Gertner Tenenbaum auf Antrag der Kläger per Verfügung, die fraglichen Musiktitel zu löschen und deren Verbreitung künftig zu unterlassen. Einer weiteren Forderung der Kläger versagte Gertner allerdings die Zustimmung: Tenenbaum zu untersagen, für die Nutzung des Internets zu urheberrechtswidrigen Zwecken zu "werben". Gertner lehnte eine solche Verfügung unter Hinweis auf den Ersten Verfassungszusatz ab, der Redefreiheit garantiert. Schließlich mahnt die Richterin den Gesetzgeber, das US-Copyright müsse den neuen Rahmenbedingungen im Internet angepasst werden.

Unterdessen wird der Prozess gegen Tenenbaum wohl in die nächste Runde gehen; die Verteidigung hatte eine Berufung bereits angekündigt. Gertner setzte den Termin für weitere Anträge der Parteien nach dem Urteil auf den 4. Januar 2010. Bis dahin kann Tenebaum etwa noch gegen die Höhe des Schadensersatzes vorgehen und einen neuen Prozess verlangen.

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(vbr)