USA: Verurteilter in Filesharing-Prozess will neues Verfahren

Der in einem Aufsehen erregenden Prozess in den USA zu 675.000 US-Dollar Schadensersatz verurteilte Student Joel Tenenbaum fordert eine Wiederaufnahme seines Verfahrens.

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Der wegen Urheberrechtsverletzung durch Filesharing zu Schadensersatz in Höhe von 675.000 US-Dollar (470.000 Euro) verurteilte Joel Tenenbaum will ein neues Verfahren. In einem am Montag bei Gericht eingegangenen Antrag (PDF-Datei) fordern seine Verteidiger Richterin Nancy Gertner auf, Tenenbaum wegen einiger Verfahrensfehler einen neuen Prozess zur ermöglichen oder zumindest die Strafe auf das gesetzliche Minimum von 750 US-Dollar pro Verstoß zu senken. Selbst dann müsste der Student noch 22.500 US-Dollar zahlen – für 30 Songs, die er nach Überzeugung des Gerichts im Jahr 2004 über Kazaa verbreitet hatte.

Den Antrag auf ein neues Verfahren begründet das Anwaltsteam um den Harvard-Juristen Charles Nesson – der sich für seine Verteidigungsstrategie in dem Prozess harsche Kritik auch von der Richterin anhören musste – mit Verfahrensfehlern. So habe das Gericht ein frühes Vergleichsangebot Tenenbaums, den Streit mit den klagenden Labels per Scheck über 500 US-Dollar beizulegen, weitgehend unberücksichtigt gelassen. Richterin Gertner hatte darüber hinaus in ihrer im Dezember vergangenen Jahres vorgelegten Urteilsbegründung zwar die Möglichkeit der von Nessons Team vorgetragenen "Fair Use"-Verteidigung grundsätzlich als zulässig bezeichnet, im konkreten Fall jedoch abgewiesen. Das sei eine Fehlentscheidung, meinen die Anwälte.

Nesson hatte argumentiert, Tenenbaums Filesharing-Aktivitäten seien angesichts mangelnder legaler Alternativen von der "Fair Use"-Doktrin des US-Copyrights abgedeckt gewesen – eine Ausnahme, die unter anderem Forschung, Medien und Künstler vor einer zu starren Auslegung des Urheberrechts schützt. Gertner hält diese Argumentation für zulässig, allerdings nur für die Zeit vor der Eröffnung des iTunes-Stores im Frühjahr 2003. Nesson gibt dagegen zu Bedenken, dass die Musik nur kopiergeschützt und damit nicht völlig frei verfügbar gewesen sei. Das sei erst seit dem Zerbröckeln der DRM-Mauer 2007 der Fall gewesen und Tenenbaums Aktivitäten im Jahr 2004 fielen damit unter "Fair Use".

Darüber hinaus gibt die Verteidigung zu Bedenken, das Gericht habe eine mögliche Mitschuld der Kläger (hier Sony und andere Label) nicht ausreichend erwogen. Nesson, der sich im Verlauf des Verfahrens auch mit einigen Schrullen profilierte, führt die in der Rechtsprechung anerkannte Verantwortung des Besitzers für von seinem Besitz ausgehenden Gefahren an: So müsse etwa der Besitzer eines Hauses mit Pool das Schwimmbecken weitgehend gegen unbefugte Benutzung etwa durch Nachbarkinder sichern. Sonst sei er für etwaige Unfälle mitverantwortlich.

Mit offensivem Marketing, schlägt Nesson den Bogen zur Musikindustrie, hätten die Labels ihr Produkt zu einem gemacht, von dem junge Menschen wie Tenenbaum glaubten, es haben zu müssen – und das sie tausendfach im Netz fanden. Die Musik bei Napster und Kazaa war also der verbotene, aber um so verlockendere Pool in Nachbars Garten. Und weil die Industrie nicht dafür gesorgt habe, ihr Produkt auf CD besser zu schützen oder eine angemessene legale Alternative im Netz anzubieten, trage sie Mitschuld an den online begangenen Urheberrechtsverletzungen.

Für den Fall, dass Richterin Gertner dieser Argumentation nicht folgen will, hebt die Verteidigung schließlich auf die mögliche Verfassungswidrigkeit des hohen Schadensersatzes ab. Auch Jammie Thomas-Rasset, die im Juni vergangenen Jahres zu 1,9 Millionen US-Dollar (1,3 Millionen Euro) verurteilt worden war, will in der Berufung ihres Filesharing-Prozesses die Verfassungsfrage stellen. Tenenbaum habe, wenn überhaupt, nur geringen Schaden verursacht, schreiben seine Anwälte, den die Kläger im Verfahren zudem nicht nachgewiesen hätten. In Anbetracht des Verkaufspreises von weniger als einem Dollar pro Song sei der Schadensersatz völlig unangemessen. Sollte Gertner dennoch keinen neuen Prozess anordnen, solle sie zumindest den von den Geschworenen bestimmten Schadensersatz auf das gesetzliche Minimum senken.

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(vbr)