Elektroautos: Widersprüchliche Ziele beim gesteuerten Laden

Gesteuertes oder flexibles Laden von E-Autos hilft, sowohl den Strommarkt als auch das Stromnetz zu entlasten. Allerdings nicht unbedingt beides gleichzeitig.

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Symbol für einen Elektroauto-Parkplatz.

(Bild: heise online / anw)

Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Früher oder später fallen bei jeder Debatte über Elektroautos zwei Argumente: "Woher soll der ganze Strom kommen?" und "Wenn alle gleichzeitig laden, bricht das Netz zusammen". In beiden Fälle kann gesteuertes Laden helfen. Die Ladeleistung orientiert sich dabei am Stromangebot beziehungsweise an der Netzbelastung. Allerdings haben Konsumenten, Energieversorger und Netzbetreiber teilweise widersprüchliche Interessen.

Die reine Strommenge ist nicht das zentrale Problem. Laut Agora Verkehrswende beanspruchten E-Autos 2022 lediglich 0,4 Prozent der Stromerzeugung in Deutschland. Bis 2030 soll ihr Anteil auf rund fünf Prozent steigen. Nicht wenig, aber auch nicht dramatisch.

Kritischer ist die Frage, wann genau diese Ladeleistung abgerufen wird. Soll sie nicht zu Engpässen im Strommarkt führen, sollte sie in Phasen verschoben werden, in denen ein großes Angebot oder eine geringe Nachfrage im Stromnetz herrscht. Das würde auch volkswirtschaftlichen Nutzen mit sich bringen: "Durch das marktorientierte Laden verschiebt sich die Stromnachfrage von Zeiten mit hohen Preisen in solche mit niedrigeren Preisen", heißt es in einem aktuellen Agora-Paper. "Da der Preis für die 'letzte' Kilowattstunde den Preis für sämtliche Kilowattstunden in der Zeiteinheit setzt (Merit Order), senkt das marktorientierte Laden in der Breite die Strompreise für sämtliche Verbraucher:innen."

Ebenfalls volkswirtschaftlichen Nutzen bringt es, wenn die Ladeleistung von E-Autos bei starker Netzbelastung gesenkt werden kann. Auf diese Weise ließen sich beispielsweise schneller mehr Ladesäulen installieren, ohne das Netz im gleichen Tempo ausbauen zu müssen.

Der springende Punkt ist jedoch: Diese beiden Varianten des "gesteuerten" Ladens – einmal orientiert am Stromangebot, einmal an der Netzbelastung – stehen mitunter zueinander im Widerspruch. "Beispielsweise kann es bei einem deutschlandweit hohem EE-Aufkommen wünschenswert sein, hohe Ladeleistungen anzureizen, während zeitgleich an manchen Orten im Netz die Belastung bereits so hoch ist, dass die Ladeleistungen begrenzt werden müssen", schreibt die Agora Verkehrswende. Daher müssten markt- und netzorientiertes Laden besser koordiniert werden.

Davon ist im Moment allerdings nichts zu merken. Für beide Varianten des gesteuerten Ladens gibt es derzeit völlig unterschiedliche Instrumente: Für das marktorientierte Laden sind das – neben steuerbaren Wallboxen – vor allem vernetzte Zähler und flexible Tarife. Die steuerbaren Wallboxen sind bereits erhältlich. Smart Meter und flexible Tarife im Prinzip ebenfalls, aber nun sollen sie endlich auch flächendeckend kommen. "Nach dem im Mai 2023 verabschiedeten Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende werden alle Stromlieferanten dazu verpflichtet, ab 2025 variable Preise für Stromeinkauf und -vertrieb anzubieten", heißt es im Faktenblatt der Agora Verkehrswende.

Beim netzorientierten Laden sind hingegen noch viele Fragen offen. Nach einem Vorschlag der Bundesnetzagentur sollen Verteilnetzbetreiber das Recht bekommen, die Ladeleistung von E-Pkw vorübergehend auf 3,7 kW abzusenken, wenn eine Netzüberlastung droht. Offen ist allerdings, unter welchen Bedingungen das der Fall sein soll, wie lange solche Drosseln dauern dürfen, und wie sichergestellt werden kann, dass die Netzbetreiber wirklich nur im äußersten Notfall davon Gebrauch machen und nicht, um sich den Netzausbau zu sparen. Solange das nicht geklärt ist, können sich Kundinnen und Kunden nicht mehr darauf verlassen, dass ihre Wagen wie geplant geladen werden.

Erschwerend kommt hinzu: In der Regel wissen die Betreiber nicht einmal, wie die Lage auf der unteren Netzebene aussieht. Im Niederspannungsnetz und den Ortsnetzstationen verfügten sie "in der Regel nicht über ausreichende Messwerte im Echtzeitbetrieb, die eine vollständige Beobachtung und Prognose des Netzzustands zur präzisen Erkennung von drohenden Überlastungen ermöglichen würden", stellt die Agora fest. Sie fordert deshalb von der Bundesnetzagentur, Netzbetreiber "dazu anzuhalten, die messtechnische Ausstattung dieser Netzebenen zu verbessern". Dies sei schon mit "wenigen zusätzlichen Messpunkten an kritischen Stellen" möglich.

Die Frage, wie mit zusätzlicher Netzbelastung umgegangen werden soll, reicht weit über das E-Auto hinaus. Auch Wärmepumpen sind davon betroffen. Eine Lösung könnten hier zeitvariable Netzentgelte sein. "Aus Sicht der Nutzer:innen ist dieser Ansatz klar zu befürworten, da er auf Freiwilligkeit und Preisanreizen beruht und die Möglichkeit vorbehält, bei kurzzeitigem Mobilitätsbedarf nicht auf das Preissignal zu reagieren, sondern einen Pkw sofort mit voller Leistung zu laden", so die Agora. Doch bisher habe es dazu nur eine "unverbindliche Anhörung" durch die Bundesnetzagentur gegeben.

Wer mit einer eigenen Photovoltaik-Anlage lädt, kann das Thema entspannter angehen. Laut Energieversorger E.on kann bereits ein rückspeisefähiger Auto-Akku mit 42 Kilowattstunden die Selbstversorgungsquote auf 51 Prozent mehr als verdoppeln. "Winter, bewölkte Tage und Nächte sind hier bereits eingerechnet", meldet E.on. Zum Vergleich: Die meisten Heimspeicher haben nur fünf bis zehn Kilowattstunden.

Allerdings fordert dieses "bidirektionale Laden" unter anderem einen Wechselrichter, der erst bei wenigen Automodellen an Bord ist. Als Beispiele nennt das Agora-Paper Nissan Leaf, Nissan e-NV200, Hyundai Ioniq 5 und Kia EV6. Volkswagen hat zudem angekündigt, dass künftig alle ID-Modelle mit 77-kWh-Akku bidirektional ladefähig sein sollen. Die Agora rechnet zudem damit, dass die nötigen Wechselrichter künftig standardmäßig in der Ladeinfrastruktur eingebaut sein werden. Damit stünden weit mehr Autobatterien zur Verfügung, um Strommarkt und -netz zu entlasten.

Wer mit birektionalem Laden seinen PV-Eigenverbrauch erhöht, spart damit nicht nur Geld, sondern glättet auch sein Verbrauchsprofil, was zu einer besseren Auslastung des Erzeugungssystems führt. Den damit einhergehenden volkswirtschaftlichen Nutzen schätzt die Agora auf 25 bis 45 Euro pro Pkw und Jahr – mehr als doppelt so viel wie bei unidirektional gesteuertem Laden (jeweils basierend auf den Strompreisen von 2020).

Der Akku-Verschleiß dabei dürfte sich dabei nach Einschätzung der Agora in Grenzen halten, da die Ladeleistungen "im Regelfall im Bereich kleiner einstelliger kW-Werte" liegen werde – Peanuts im Vergleich zu den üblichen Leistungen an einer Ladesäule.

(bsc)