Aufstand der Androiden

Flinke Browser und riesige App-Kataloge, die das wilde, weite Web zähmen: Über das iPhone und die Android-Smartphones dockt das mobile Internet direkt an unser Gehirn an. Allerdings verfolgen Apple und Google gegensätzliche Philosophien, die sich im Bedienkonzept, bei der Hardware und in der Versorgung mit Anwendungen niederschlagen. Welches Smartphone ist also für wen besser geeignet?

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Am Anfang stehen die taktilen und visuellen Freuden. Den Bildschirm streicheln. Bunte Bildchen flutschen vorbei, flüssig animiert. Das Browsersymbol sanft antippen. Sich intuitiv durchs Web tasten, spielend mit der Tastatur anfreunden. Es folgt die kindliche Begeisterung über erste Tricks. Sich orten und die Karte synchron zur eigenen Blickrichtung rotieren lassen. Einen Strichcode scannen und Preise vergleichen. Ein paar Sekunden eines unbekannten Songs aufnehmen und den Interpreten erfahren. Unterwegs eine Bahnverbindung heraussuchen.

Doch ein Smartphone ist mehr als nur ein Werkzeug. „Das iPhone hat bereits einige der zentralen Funktionen meines Gehirns übernommen“, sagt der australische Philosoph David Chalmers. Er behauptet, dass Teile der Umwelt Teile des Bewusstseins werden, wenn sie in der richtigen Art und Weise ans Gehirn andocken. Folgt man dieser Idee, lagern wir zum Beispiel unseren Orientierungssinn aus, an Google Maps. Bald darauf haben wir dank Kalender und To-Do-Liste ein zweites Gedächtnis. Wir delegieren das Kopfrechnen und Tagträumen. Und mit Google und Wikipedia im erweiterten Bewusstsein wissen wir mehr denn je.

Theoretisch klappt das mit jedem Smartphone. Auch Symbian- oder Windows-Mobile-Geräte navigieren zum nächsten Geldautomaten und bringen uns per Podcast Japanisch bei. Auch mit ihnen könnte man surfen. Die Nutzer tun es aber offensichtlich nur im Notfall, wie alle Statistiken zeigen. Offenbar, weil die Browser nicht so intuitiv gesteuert werden wie bei iPhone und Android. Der entscheidende Vorteil der jüngeren Smartphones ist jedoch ein anderer: Nur für sie gibt es genügend brauchbare und einfach zu installierende Programme. Mit ihnen filtert der Nutzer die gigantische Informationsflut. Übrig bleiben Häppchen, bildschirmgerecht präsentiert sowie perfekt an Ort und Situation angepasst. Erst mit den richtigen Apps dockt das Web an unser Gehirn an.

Googles neues Android-Flaggschiff: Das flache und leichte Nexus One punktet mit kontrastreichem und hochauflösendem Display, die Akkulaufzeit ist eher mäßig.

Die große Vielfalt und hohe Qualität ihrer App-Kataloge ist die erste Gemeinsamkeit von Android und iPhone OS. Auch die besten Smarphones beider Lager, das iPhone 3GS und das Google Nexus One, ähneln sich: große Touchscreens, GPS, Kompass und so weiter. Doch beim Smartphone-Kauf entscheidet man sich nicht nur für ein Gerät, man bindet sich an ein Ökosystem.

Und hierbei verfolgen Apple und Google unterschiedliche Philosophien: Das iPhone OS bietet ein simples, starres Bedienkonzept, Android ein umständlicheres und flexibleres. iPhone OS läuft nur auf iPhone, iPod touch und iPad, Android auf einer Smartphone-Armada unterschiedlicher Marken. iPhone-Nutzer laden Apps und Medien beim zentralen Torwächter Apple, Android-Nutzer bedienen sich aus verschiedenen Quellen. Ein abgeschottetes System gegen Open Source, Apple gegen Google.

Der Umgang mit dem iPhone könnte kaum einfacher sein. Alle Apps und Bookmarks liegen auf derselben Ebene, dem Startbildschirm. Man weiß immer, wo man suchen muss. Die Apps blenden alle für den jeweiligen Kontext sinnvollen Bedienfelder auf dem Touchscreen ein. Eine Bedienungsanleitung? Ein Ding aus einer anderen Zeit. Auch die optische Klarheit der Oberfläche fasziniert: zwanzig Symbole pro Seite, identisch in Größe und Form. Löscht man eine App – einmal lang, einmal kurz antippen –, entsteht eine Lücke, die die strenge Symmetrie sprengt. Das dulden die meisten Nutzer nicht lange. Sie schubsen Symbole umher, bis die iPhone-Welt wieder aufgeräumt ist.

Das Milestone von Motorola bringt noch ein paar mehr Pixel auf seinem 3,7-Zoll-Display unter als das Nexus. Aufgrund seiner ausschiebbaren Tastatur wiegt es deutlich mehr.

Im Vergleich dazu herrscht auf dem Planeten Android fröhliche Anarchie. Symbole gibt es in allen erdenklichen Gestalten. Sogar mit Ordnern und „Widgets“ – zum Beispiel To-Do-Listen oder RSS-Feeds – kann man den Startbildschirm zupflastern. Wer will, darf ihn komplett leerfegen. Um alle Apps zu sehen, wechselt man ins Hauptmenü; um eine App zu löschen, zu einer weiteren Liste im Einstellungsmenü. Durch diese mehrschichtige Struktur navigiert man auf dem Nexus One per Touchscreen und mit den vier etwas störrischen Sensortasten „Zurück“, „Home“, „Suchen“ und „Kontextmenü“. In letzterem verbergen sich beim Startbildschirm und den meisten Anwendun-gen essenzielle Funktionen, zum Beispiel „E-Mail verfassen“ oder „Termin hinzufügen“. Manchmal kommt man per Doppeltipper oder durch langes Drücken schneller ans Ziel, das muss man aber durch Ausprobieren selbst herausfinden. Außerdem erwischt man die Sensortasten oft aus Versehen, weil sie zu dicht am Touchscreen liegen. Besonders im Fall von „Home“ nervt das.

Schieben zum Entsperren, wischen zum Scrollen, zwei Finger spreizen zum Zoomen, all diese Gesten gelingen auf beiden Telefonen auf Anhieb. Beide reagieren meist ohne merkliche Verzögerung, wobei das iPhone zum Beispiel die Bildschirmtastatur noch einen Tick schneller einblendet als das Nexus. Beim Scrollen auf dem iPhone fließen Symbole und Textzeilen flüssig über den Schirm, beim Nexus ruckeln sie. Beide Telefone rotieren den Bildschirminhalt, wenn man sie auf die Seite kippt, und auf beiden Tastaturen erzielt man mit der Zeigefingerspitze hohe Trefferquoten. Schaltet man in den Turbomodus (zwei Daumen), sind Vertipper programmiert, die die Autokorrektur manchmal ausbügelt.

Nexus One und iPhone 3GS erschließen Webseiten so flink und komfortabel, dass das Browsen trotz der kleinen Displays Spaß macht. Auf dem Nexus profitieren Surfer außerdem von der hohen Displayauflösung und von einer besonderen Fähigkeit des Browsers: Beim Zoomen über die praktischen Bildschirmtasten umbricht er Textspalten neu, sodass man nur selten nachjustieren oder zur Seite scrollen muss; alternativ zoomt man per Multitouch-Geste. Außerdem kann der Nutzer wählen, ob er Seiten zuerst als (meist unlesbares) Ganzes sehen will oder ob der Browser automatisch zoomen soll. Die wichtigsten Funktionen, zum Beispiel die Lesezeichen, stecken im Kontextmenü. Die Adressleiste dient gleichzeitig als Google-Suchfeld.

Bei der Bildschirmauflösung kann das iPhone 3GS nicht mit den Androiden mithalten. In den Punkten Bedienkomfort und Geschwindigkeit liegt es aber nach wie vor an der Spitze.

Die Browser weiterer Android-Handys verhalten sich in manchen Punkten anders, außerdem gibt es im Market brauchbare Alternativen: Dolphin und Opera. Dolphin kann sich als Desktop-Browser ausgeben, bekommt also die normalen Versionen der Webseiten. Opera leitet Inhalte über einen komprimierenden Proxy-Server und synchronisiert Bookmarks mit Desktop-Operas.

Das iPhone präsentiert Seiten immer erst in der Vollansicht, deswegen zoomt man praktisch immer. Aufgrund der niedrigen Auflösung scrollt man auch häufiger als auf dem Nexus. Der Browser umbricht Texte nicht neu, deshalb muss man breite Textspalten entweder heranzoomen und dann seitlich scrollen oder das Telefon kippen und im Querformat weiterlesen. RSS-Feeds lassen sich direkt im Browser lesen, beim Nexus benötigt man einen speziellen Reader. Das häufig für Musik und Videos eingesetzte Flash-Format verstehen beide Browser nicht – bei YouTube, Tagesschau und Co. muss man daher auf die abgespeckten Mobilseiten oder Apps ausweichen. Beide Browser schlagen bereits verwendete Adressen und Suchbegriffe während der Eingabe vor, beide speichern auf Wunsch Benutzernamen und Kennwörter.

Das iPhone verbindet den Browser geschickt mit der Telefonanwendung. Auf Webseiten erkennt und unterstreicht es Telefonnummern in diversen Formaten: Zweimal antippen, und man wird verbunden. Das Nexus One beherrscht den Trick nur, wenn der Webdesigner die Nummer korrekt ausgezeichnet hat, zum Beispiel bei Online-Telefonbüchern.

Das iPhone präsentiert sich streng symmetrisch, sogar Apps und Bookmarks lassen sich nicht unterscheiden. Auf dem Planeten Android herrscht dagegen fröhliche Anarchie: Der Startbildschirm lässt sich mitWidgets, Ordnern und Verknüpfungen an die individuellen Vorlieben anpassen.

Für Mails hat das Nexus zwei Programme an Bord: eines für Google Mail und eines für POP, IMAP oder Exchange. Die Zahl der ungelesenen E-Mails steht in der Statusleiste am oberen Displayrand. Das iPhone versammelt die diversen Accounts (zum Beispiel POP, IMAP, Exchange oder Google Mail) innerhalb einer Anwendung, an deren Symbol die Zahl der ungelesenen Mails klebt. IMAP-Ordnerstrukturen erscheinen auf dem iPhone und dem Nexus komplett ausgeklappt, sodass man bei großen Accounts den Überblick verliert. Beide stellen angehängte JPG-Bilder direkt unter dem E-Mail-Text dar. Die Formate DOC, TXT, PDF und PNG werden nach dem Antippen schnell geladen, das Nexus One zeigt sogar TIFFs. Für Android gibt es eine interessante Alternative: K-9 kommt mit großen IMAP-Verzeichnissen zurecht und unterstützt IMAP-Push.

Android und das iPhone OS beherrschen Multitasking, können also mehrere Programme gleichzeitig ausführen. Allerdings lässt das iPhone nur Hintergrunddienste von Apple zu, nicht von Anwendungen aus dem App Store. Deswegen verhält es sich in vielen Alltagssituationen nicht wie ein multitaskingfähiges System: Apps werden automatisch geschlossen, wenn man die Home-Taste drückt oder durch Antippen eines Links den Browser startet. Es ist unmöglich, mit einer App Webradio zu hören und mit einer anderen Nachrichten zu lesen. Lediglich der iPod darf im Hintergrund dudeln. Immerhin merken sich viele Apps ihren Status, sodass man nach dem erneuten Aufruf an der gleichen Stelle weiterarbeiten kann.

Beim Surfen profitieren Nutzer des Nexus One (links) oder Motorola Milestone (Mitte) von den im Vergleich zum iPhone (rechts) gigantischen Auflösungen: mehr Übersicht, weniger Scrollmanöver, schärfere Textdarstellung.

Obwohl sie keine eigenen Hintergrunddienste starten dürfen, bleiben Apps wie Facebook oder StudiVZ auf dem Laufenden: Dazu informiert der Server des App-Anbieters einen Apple-Server über eingetroffene Nachrichten. Auf dem iPhone nimmt ein Apple-Dienst diese Information entgegen und blendet ein Pop-up ein.

Android schließt Programme beim Drücken des Home-Buttons nicht automatisch, deswegen findet sich zumindest bei manchen ein Exit-Knopf im Kontextmenü. Drückt man stattdessen auf Home, läuft das Webradio weiter und man kann gleichzeitig surfen oder fotografieren. Die Kehrseite der Medaille: Solange man keinen Taskmanager wie den „Advanced Task Killer“ installiert, verliert man den Überblick und bremst eventuell das System aus. Beim Nexus One hatten wir den Eindruck, dass es bei mehr als einem Dutzend im Hintergrund laufenden Anwendungen langsamer reagiert.

Den vollständigen Artikel finden Sie in c't 6/2010

Artikel zum Thema "Android vs. iPhone" finden Sie in der c't 6/2010:
Das Smartphone-Duell S. 124
Nützliche Apps für Android und iPhone S. 134
Mehr Infos

c’t-Redakteure über ihre Smartphones

Die Frage nach der wichtigsten Funktion ihres Smartphones ließ keinen unserer Kollegen kalt. Viele gerieten ins Schwärmen, kaum jemand beschränkte sich auf eine einzige persönliche Killerapplikation. Außerdem nannten keine zwei Redakteure die gleiche Funktion an erster Stelle – ein weiterer Beleg für die Vielseitigkeit der Smartphones. Einzig Google Maps schaffte es bei mehreren Kollegen in die Top 3.

Android-Nutzer

„Ich nutze mein Smartphone vor allem für eine Aufgabe: Mails unterwegs.“ Reiko Kaps

„Google Latitude ist auf Konferenzen und Messen sehr nützlich. Damit sehe ich immer, wo meine Kontakte unterwegs sind.“ Christiane Rütten

„Mit Android funktioniert das Synchronisieren von E-Mails, Terminen und Adressen endlich zuverlässig. Sogar RSS-Feeds, die ich am PC gelesen habe, werden auf dem Smartphone sofort aktualisiert. Entgegen meiner anfänglichen Erwartung nutze ich mittlerweile nur noch die Bildschirmtastatur des Milestone, nicht mehr die Hardware-Tastatur.“ Jörg Wirtgen

„Früher hatte ich einen PDA, einen MP3-Player und ein Handy. Das Android-Smartphone ersetzt alle drei Geräte und ist per Software erweiterbar.“ Johannes Endres

„Google Maps natürlich – damit weiß ich endlich, wo ich bin.“ Nico Jurran

iPhone-Nutzer

„Ich konnte mir gar nicht vorstellen, für wie viele Zwecke ich ein iPhone brauche – bis ich eines hatte.“ Harald Bögeholz

„Alle Mitglieder meiner Familie führen ihren eigenen Google-Kalender und die Termine werden in Echtzeit mit dem iPhone abgeglichen. So sehe ich zum Beispiel immer, wann meine Freundin Dienst hat oder ein Fußballturnier unseres Sohnes ansteht.“ Holger Bleich

„Ich erledige fast mein gesamtes Homebanking über das iPhone.“ Axel Kossel

„Ich nutze es sehr häufig – meistens für Facebook und Twitter.“ Jürgen Schmidt

„Ich habe nach einem Ding gesucht, das mir unterwegs Zugriff auf das ganze Internet bietet, und das iPhone erfüllt diesen Anspruch weitgehend.“ Dušan Živadinović

(cwo)