Julian Assanges Anwälte verhandeln mit US-Regierung

Julian Assange würde sich zu einer geringeren Straftat schuldig bekennen, um freizukommen. Es könnte ein Ablenkungsmanöver der US-Regierung sein.​

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 33 Kommentare lesen
Transparent "FREE ASSANGE - no US extradition" mit Bild Julian Assanges; seinen Mund überklebt eine US-Fahne

(Bild: Londisland / shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Inhaltsverzeichnis

"Das US-Justizministerium überlegt, ob es Julian Assange erlauben soll, sich zur geringeren Tat des mishandling of classified information zu bekennen", berichtet das Wall Street Journal (WSJ) unter Berufung auf nicht namentlich genannte Eingeweihte. Der ventilierte Deal: Assange bekennt sich schuldig und die übrige Anklage wird fallengelassen. Jedoch haben Assanges Anwälte keine Anzeichen dafür, dass das Justizministerium tatsächlich dazu bereit ist.

Die USA haben vor rund fünf Jahren, unter US-Präsident Donald Trump, eine Anklage wegen Spionage gegen Assange veröffentlicht. Darin wird dem Australier allerdings nicht vorgeworfen, selbst spioniert zu haben. Die Anklage stößt sich vor allem daran, dass Assange geheime Informationen (unter anderem vom damaligen US-Soldaten Bradley Manning) entgegengenommen und auf Wikileaks veröffentlicht habe. Teile davon waren geheime Informationen, die US-Behörden selbst von Bürgern anderer Staaten entgegengenommen hatten. Besondere Schande bereitete der US-Regierung ein Video, das zeigt, wie US-Soldaten aus einem Kampfhubschrauber heraus grundlos Zivilisten und Journalisten erschießen. Assange drohen insgesamt 175 Jahre Haft – "wie ein Tod auf Raten", nennt Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) das.

Mit der Anklage betritt die US-Staatsanwaltschaft juristisches Neuland; das inkriminierte Verhalten der Verbreitung bislang nicht öffentlicher Information gehört nämlich zu den Kernaufgaben von Journalisten. US-Medienberichten zufolge hat die US-Regierung unter Barack Obama abgelehnt, Assange nach dem Spionagegesetz anzuklagen, gerade weil das ein Angriff auf die Pressefreiheit wäre.

2020 beschrieb der damalige UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, das juristische Vorgehen der USA als Schauprozess. Melzer erkannte eine "konstruierte Vergewaltigung", manipulierte Beweise und befangene Richter. Ein "mörderisches System" sei am Werk, um an Assange ein Exempel zu statuieren und andere Journalisten einzuschüchtern.

Laut WSJ haben Assanges Anwälte in den jüngsten Monaten mit Vertretern des US-Justizministeriums vorbereitende Diskussionen über einen möglichen Deal geführt. Unter mishandling of classified information (etwa: Missbrauch von Geheimsachen) fällt eine Reihe von Straftatbeständen, die weniger drakonische Strafen nach sich ziehen, als Spionage, für die Assange angeklagt ist. Darunter fallen auch Tatbestände, die mit maximal zwölf Monaten Haft belegt sind, sogenannte misdemeanor (bloße Vergehen).

Assange sitzt seit April 2019 im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London. Zuvor hatte er sich jahrelang in der Botschaft Ecuadors verschanzt, um einer Auslieferung an Schweden zu entgehen. Dort wurde wegen Vergewaltigung gegen ihn ermittelt. Assange betonte stets, die Vorwürfe in Schweden seien nur ein Vorwand, um ihn festnehmen und an die USA ausliefern zu können. Tatsächlich hat Schweden die Ermittlungen gegen Assange längst eingestellt.

Doch als eine neue Regierung in Ecuador an die Macht kam, setzte sie Assange in London vor die Türe, wo er prompt verhaftet wurde, weil er sich der britischen Justiz entzogen hatte. Wenig später veröffentlichten die USA ihre Anklage gegen Assange und beantragten dessen Auslieferung. Großbritannien ließ den Antrag auf Auslieferung Assanges bald zu. Seither wehrt sich Assange gerichtlich gegen die Auslieferung, hat bislang aber keinen Durchbruch erzielt.

Assange, so der Vorschlag seiner Anwälte, würde sich aus dem Londoner Gefängnis heraus schuldig bekennen und müsste nicht in die USA überstellt werden. Auf die folgende Haftstrafe würde ihm die Zeit der Auslieferungshaft angerechnet, womit Assange nach Festlegung des Strafmaßes bald freikommen würde. Großbritannien würde den Mann dann wahrscheinlich in sein Heimatland Australien abschieben.

Anzeichen, dass es tatsächlich so kommt, gibt es nicht. "Die Diskussionen sind im Fluss, die Gespräche könnten versanden", schreibt die US-Zeitung, und fügt hinzu: "Jeder Deal müsste von höchster Ebene des US-Justizministeriums genehmigt werden." Damit wären nicht bloß diplomatische, sondern auch innenpolitische Nebenwirkungen verbunden.

Andererseits gibt es internationalen Druck auf die US-Regierung, Assange freizulassen. Spät, aber doch, hat sich Bundeskanzler Scholz Anfang März dazu durchgerungen, gegen die Auslieferung Julian Assanges an die USA einzutreten. Bis dahin gab es wenig Beistand für den Australier seitens der deutschen Regierung. Nicht auszuschließen ist, dass die Verbreitung einer möglichen Vereinbarung samt Freilassung ein PR-Manöver ist, um Druck abzubauen, bis es zu spät ist.

Das könnte schon bald der Fall sein. Denn eigentlich hat Assange den Rechtsweg gegen seine Auslieferung bereits ausgeschöpft. Eine Anhörung im Februar sollte klären, ob er noch einmal Rechtsmittel ergreifen darf. Die Entscheidung darüber wird für die kommenden Wochen erwartet.

Das US-Strafverfahren heißt USA v Julian Paul Assange und ist am US-Bundesbezirksgericht für das östliche Virginia unter dem Az. 1:18-cr-00111 anhängig.

Anklageschrift USA v Julian Paul Assange

(ds)