Ford sucht den Schulterschluss mit der Mobilfunk-Branche

Das rollende Smartphone

Der Aufsichtsratsvorsitzende von Ford, Bill Ford, wirbt für einen "Schulter­schluss" mit der Mobilfunk-Branche. Kein Wunder: Smart­phones sind längst dabei, eine Symbiose mit dem Auto einzugehen

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Hannover, 1. März 2012 – Consumer-IT-Messen genießen mittlerweile auch bei Autobossen hohe Priorität, denn Infotainment, Internet und Smartphones werden immer mehr zum festen Bestandteil von Autos. So stellte Ford-Vorstand Alan Mulally auf der Cebit 2011 das Ford-Sync-System vor. Audi präsentierte sich auf der vergangenen CES in Las Vegas und gab Einblicke in die Infotainment-Technik des neuen Audi A3. Zuletzt sprach der Ford-Aufsichtsratsvorsitzende Bill Ford auf dem Mobile World Congress in Barcelona.

Das Auto im Datennetz

Bill Ford glaubt daran, dass die vernetze Kommunikation von Autos eine immer größere Rolle spielen wird. Er fordert deshalb den "Schulterschluss" mit der Mobilfunk-Branche. Denn Smartphones entwickeln sich auch im Auto zu einer Art Kommunikations-Hub für ihre Benutzer, das Auto selbst wird zu einer rollenden Kommunikationszentrale. Hinzu kommt, dass der weiter zunehmende Straßenverkehr den Druck erhöht, Leitsysteme zu finden, welche die Verkehrsteilnehmer in sinnvolle Bahnen leiten. Auch dabei könnten Smartphones eine wichtige Rolle übernehmen. "Wenn wir nichts unternehmen, droht uns eines Tages der globale Verkehrsinfarkt", sagte Bill Ford in Barcelona.

Welche Verkehrsleitsysteme sich durchsetzen, ist längst noch nicht geklärt, zumal unterschiedliche Ansätze konkurrieren. Auf der einen Seite gibt es Projekte wie SIM-TD, wo Teile der Kommunikationstechnik in so genannte Roadside Stations oder auch Ampelanlagen integriert sind. Manche Kritiker finden das System zu aufwendig, weil nicht nur die Autos modifiziert werden müssen, sondern auch die Verkehrswege. Dabei lassen sich weite Teile der Car-to-X-Kommunikation mit gängiger Mobilfunktechnik realisieren. So hat zum Beispiel TomTom unter der Bezeichnung HD Traffic bereits ein Stauwarnsystem eingeführt, das gut funktioniert, Ähnliches leistet Google Maps Verkehrsinfo. Beide nutzen die Bewegungsdaten von Mobiltelefonen, um auf diese eigentlich simple Art und Weise die Verkehrsbelastung hochzurechnen. Bei neu vorgestellten Autos ist die Fähigkeit, Smartphones für die Datenkommunikation zu nutzen, mittlerweile oft Standard.

"Globales Mobilitätsnetzwerk"

Bill Ford zeigte sich in Barcelona überzeugt, dass man zur Lösung der Verkehrsprobleme ein globales Mobilitätsnetzwerk braucht. "Kein Unternehmen und kein Industriezweig alleine ist in der Lage, die Antwort auf die Mobilitätsanforderungen der Zukunft zu liefern. Die Geschwindigkeit, mit der neue Technologien den Markt erobern, wird eher davon abhängen, wie schnell die Kunden die Innovationen akzeptieren. Den Telekommunikations-Anbietern kommt dabei eine entscheidende Rolle zu: Sie müssen mit uns interdisziplinäre Systeme für Verkehrssysteme entwickeln, bei denen die einzelnen Fahrzeuge nicht nur intelligent miteinander kommunizieren, sondern auch mit der sie umgebenden Verkehrsinfrastruktur. Für uns als Automobilhersteller bedeutet dies: In Zukunft sollten wir jedes einzelne Automobil auf der Straße wie ein rollendes Smartphone, einen Laptop oder ein Tablett-PC betrachten – also als ein etwas groß geratenes Teil eines riesigen Netzwerks."

Symbiose von Auto und Smartphone

Ford ist schon kräftig dabei, Lösungen dafür zu entwickeln, zum Beispiel die Funktion AppLink als Erweiterung von Sync. Das Smartphone fungiert dabei als Datenlieferant, lässt sich aber mithilfe der Sprachsteuerung bedienen, die Sync zur Verfügung stellt. Der Fahrer sagt also dem Auto, was das mitgeführte Smartphone tun soll. In zehn US-Modellen von Ford ist AppLink bereits integriert. Man kann zum Beispiel per Sprachbefehl Musik über die Autolautsprecher abspielen, die auf dem Smartphone gespeichert ist, Twitter-Meldungen vorlesen lassen oder Zusatz-Navigationsdienste nutzen, die das Navigationssystem im Auto nicht anbieten kann.

So sehr Ford aber auch den Schulterschluss mit der Mobilfunkindustrie sucht, macht AppLink ein Dilemma deutlich, das längst noch nicht gelöst ist: Bei aller Bereitschaft zur Öffnung braucht die Automobilindustrie Lösungen, bei denen Automobilentwickler die Hoheit über die Gestaltung der Bedienerschnittstelle behalten. Dabei geht es nicht einfach um Marktmacht, sondern um handfeste Produkthaftungsfragen. Die Automobilindustrie kann es sich nicht leisten, Bedienkonzepte zuzulassen, welche die "Fahraufgabe" beeinträchtigen könnten. Bei Sync dient das Smartphone nur als als Datenlieferant und Modem. Einen offensiveren Ansatz verfolgt zum Beispiel die MirrorLink-Technik, die bis vor kurzem noch Terminal Mode hieß. Hier wird, wie die Bezeichnung schon sagt, der Bildschirminhalt des Smartphones in ein Display des Autos gespiegelt. MirrorLink wird vom Car Connectivity Consortium verfolgt, zu dem eine Reihe von Autoherstellern und Mobilfunkspezialisten gehören – Ford ist übrigens bisher nicht dabei.

Das Auto spricht mit dem Handy

Während Ford die Hoheit des Human Machine Interface (HMI) derzeit im Auto sieht, wird sie bei MirrorLink zum Teil auf das Smartphone verlagert. Das eigentlich uralte Terminal-Prinzip ist elegant, weil im Auto ein Minimum an Hardware genügt – im Grunde nur das Display als "Projektionsfläche" und eine geeignete Schnittstelle. Erfolg wird MirrorLink aber nur dann haben, wenn sich die Automobilhersteller sicher sein können, dass ihnen die Gestaltung der HMI nicht entgleitet. AppLink von Ford ist ein interessanter Mittelweg, weil dem Smartphone zwar ein Teil der fahrzeugrelevanten Funktionalität zugebilligt wird, die HMI aber klar vom Automobilhersteller definiert wird. Die per Sync zur Verfügung gestellte Sprachsteuerung ist ein Bedienkonzept, bei dem die Hände am Lenkrad bleiben können.

Damit die kognitive Ablenkung möglichst wenig beeinträchtigt wird, ist freilich eine semantisch "intelligente" Lösung erforderlich, bei der man nicht ständig vor der Frage steht: "Wie sage ich es meinem Smartphone?" Als Vorbild könnten die Spracherkennungssysteme Siri (Apple)oder Majel (Google) dienen, bei denen rechen- oder zugriffsintensive Erkennungsprozesse über die Mobilfunkstrecke auf einen Server ausgelagert werden. Einen Ansatz in diese Richtung zeigt zum Beispiel Mercedes bei der neuen A-Klasse. Ford befasst sich mit einem ähnlichen Modell, wenn auch für einen ganz anderen Zweck: Das Unternehmen untersucht demnach die Nutzung der Google Prediction API, um zum Beispiel – ebenfalls über einen Zugriff in die Cloud – Navigationsempfehlungen und Ähnliches verbessern zu können.

AppLink ist allerdings der Gefahr ausgesetzt, an derselben normativen Kraft zu scheitern, welche die Smartphones ins Auto gebracht hat. Siri und Co. wären ja prinzipiell dazu in der Lage, ihre Spracherkennung dem Auto zur Verfügung zu stellen. Zudem ist es wahrscheinlich, dass deren Entwicklung weitaus schneller voranschreitet als eine automobilspezifische Lösung. Womit sich wieder das funktionale Gewicht zum Smartphone verlagern würde: Es stellt die Anwendung, die Spracherkennung und den Serverzugriff, das Auto braucht dann nur noch ein vernünftiges Mikrofon, das die möglichst störungsfreie Erfassung des Sprachbefehls erlaubt.

Wer hat die stärkeren Schultern?

Wenn Bill Ford die Handy-Industrie zum Schulterschluss auffordert, ist dies konsequent und nachvollziehbar. Wo die Schnittstellen zwischen beiden Welten liegen werden, ist allerdings noch nicht ausgemacht. Wie kurzlebig das Geschäft ist, zeigt auch Ford selbst. Auf der Cebit 2011 kündigte das Unternehmen das Sync-System für Frühjahr 2012 an, im neuen Ford Focus. Davon ist jetzt nicht mehr die Rede. In Barcelona sagte Bill Ford, dass der B-Max das erste europäische Modell mit Sync sein wird. Zu einem späteren Zeitpunkt werde dann auch AppLink in das System integriert werden. Ford will weltweite Partnerschaften mit Entwicklern schmieden, die zukünftig AppLink-kompatible Anwendungen kreieren – Interessenten können sich auf syncmyride.com/developer umschauen. Aber auch hier kommt wieder die Frage auf: Können das die Smartphone-App-Entwickler am Ende nicht schneller?