Warum kommt der Druckwellenlader nicht auf Touren?

Der Comprex-Komplex

Die fast in Vergessenheit geratene Aufladung per Druck­wellen könnte die Vorteile von Turbolader und Kompressor vereinen und dabei deren Nachteile vermeiden. Kommt schon bald der Druck­wellen­lader wieder?

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 64 Kommentare lesen
13 Bilder
Lesezeit: 11 Min.
Von
  • fpi
Inhaltsverzeichnis

München, 20. August 2012 – Wie hieß es so schön? „Hubraum ist durch nichts zu ersetzen – außer durch noch mehr Hubraum“. Das trifft auf die Leistungsabgabe sicher zu – in Zeiten teuren Kraftstoffs und strenger Flottenverbrauchsvorschriften sind allerdings intelligentere Lösungen gefragt. Eine der besten ist das glatte Gegenteil von viel Hubraum: Downsizing, also die Verkleinerung des Hubraums und eventuell auch der Zylinderzahl. Der Spareffekt des Downsizings beruht vor allem einem geschickten Zusammenspiel aus langer Übersetzung, geringer Drehzahl, hohem Druck und infolgedessen möglichst weit geöffneten Drosselklappen. Das Downsizing führt somit fast zwangsläufig über den Weg der Aufladung. In der Regel wird das heute mit Turboladern bewerkstelligt, in wenigen Fällen per Kompressor. Dabei gäbe es noch weitere Laderkonzepte, etwa den Druckwellenlader aus längst vergangenen Tagen. Warum ist dieses vielversprechende Konzept eigentlich in der Versenkung verschwunden?

20 Jahre Mazda 626 Comprex-Diesel

Die Druckwellenaufladung kann die Vorteile von Turboaufladung und Kompressor vereinen und dabei deren Nachteile vermeiden. Oder besser: könnte. Denn nach einem kurzen Gastspiel bei Opel (Senator Diesel 2,3 Comprex, Auflage nur einige hundert) in den 80ern und dem Serieneinsatz bei Mazda (626 Comprex-Diesel, immerhin 150.000 Stück) in den 90er-Jahren hat kein Hersteller den so genannten Comprexlader je wieder eingesetzt. Inzwischen ist das hoffnungsvolle Konzept von der rührigen schweizer Firma Swissauto Wenko AG zum noch leistungsfähigeren Hyprexlader weiterentwickelt worden.

Doch erst kürzlich ist laut der Zeitschrift Engine Technology International im April 2011 offenbar selbst AMG daran gescheitert, ihn anstelle einer Abgasturbine in den kommenden A45 AMG einzupflanzen. Falls da jetzt jemand aufschreit: Leistungstuning und Downsizing stehen keinesfalls in völligem Widerspruch zueinander – in beiden Fällen geht es darum, aus (relativ) geringem Hubraum mehr Leistung zu holen. Der Haustuner von Mercedes-Benz wollte noch vor wenigen Jahren von Aufladung überhaupt nichts wissen. Falls sogar derart prominente Spezialisten ausgerechnet dieses Konzept auf dem Schirm haben, sollte dies als sicheres Indiz für die potenziellen Vorteile dieses Laders gelten. Er ist nämlich prinzipiell frei von den typischen Schwächen der beiden heute üblichen Aufladekonzepte.

Laufen und saufen

In den frühen 80er Jahren wusste man: Ein Turbolader kann die Leistung eines bestehenden Motors auf das Anderthalbfache heben. Das Reglement der FIA für die DTM beispielsweise sah seinerzeit ein Leistungs-Handikap von 1,4 für Turbomotoren vor. Schmerzlich höher als das Leistungsplus fiel in Ottomotoren allerdings der Verbrauchsnachteil bei Teillast durch die stark reduzierte Kompression, bei Vollast durch die Innenkühlung per Gemisch-Anfettung aus.

Ein zeitgenössischer Spruch lautete deswegen auch: „Turbo läuft, Turbo säuft“. Kein Wunder, dass sich der Turbolader flächendeckend zunächst nur bei Dieselmotoren mit ihrer vorteilhaften Qualitätsregelung, also Verbrennung mit Luftüberschuss und kühleren Abgasen durchsetzen konnte. Heute kann dank kühlender und exakt steuerbarer Direkteinspritzung der Ottomotor auch ohne wesentliche Rücknahme der Verdichtung nahezu hemmungslos aufgeladen werden, ohne zu saufen.

Unentscheidbarer Wettbewerb

In unauflöslicher Konkurrenz zur Abgasturboaufladung, bei der eine Abgasturbine einen Verdichter antreibt, der wegen der hohen Drehzahlen ebenfalls nur eine Turbine sein kann, steht heute nur mehr der mechanische Lader. Er wird von der Kurbelwelle angetrieben und beruht als Pumpe auf verschiedenen Verdrängerprinzipien (meist Flügelzellen-, Scroll- und Schraubenverdichtern).
Der Wettbewerb zwischen Turbine und Pumpe wird aufgrund ihrer spezifischen Vor- und Nachteile immer unentschieden bleiben: Der Turbolader nutzt die Energie des expandierenden Auspuffgases und kostet daher keine zusätzliche Leistung – ideal fürs Energiesparen. Allerdings wird ihm gerade bei kleinen, hoch aufgeladenen Motoren seine Abhängigkeit vom Abgas zum Verhängnis: Er braucht bei hoher Leistungsanforderung, etwa beim Anfahren, spürbar zu lange, um auf Touren zu kommen. Das bisschen Abgas, das der Motor bei niedriger Drehzahl produziert, reicht zur sofortigen Beschleunigung der trägen Turbine einfach nicht aus. Eine ausreichende Pumpleistung stellt sich dadurch spürbar verzögert ein. „Spürbar“ bedeutet nichts anderes als die lästige Anfahrschwäche. Auch in voller Fahrt ist dieses verzögerte Hochlaufen beim Gasgeben ärgerlich. Ebenfalls unschön ist der nichtlinear verlaufende Leistungsaufbau, der Fahrer muss also mit dem Gaspedal nachregeln. Bei der sogenannten „Fahrbarkeit“ ist der eigensinnige Turbo also kein Musterknabe.

Das etwas ältere Konzept des mechanischen Laders kennt kein Turboloch. Ab Leerlaufdrehzahl kann der schon so kräftig pumpen, dass sich ein kleiner aufgeladener Motor wie ein großer Saugmotor anfühlt. Beim Gasgeben auf freier Strecke ist ebenfalls keine Leistungsverzögerung spürbar. Zudem steigt die Leistung linear zur Motordrehzahl. Perfekt, eigentlich, wäre da nicht der große Verlust durch die Pumparbeit des mechanisch von der Kurbelwelle des Motors angetriebenen Laders. Die Leistung für den Lader macht einen großen Teil der Ersparnis durch die Hubraumverkleinerung wieder zunichte. Fürs Downsizing ist so ein Kompressor also nicht besonders sinnvoll.

Aufwendige Workarounds, geschickte Notlösungen

Also verbesserte man den Turbo, ließ kleinere Lader mit geringer Trägheit schneller rotieren (Mitsubishi Pajero, 1982), „erfand“ den VTG-Lader (Honda Legend, 1989), in dem wechselnde Abgasmengen dank geschickter Lenkung besser ausgenutzt werden können und baute schließlich zwei verschieden große Lader so zusammen (BMW 535d, 2004), dass der kleinere schon früh Dampf machen und der andere bei hoher Drehzahl ordentlich weiter schieben kann. Die Fortschritte sind sehr beachtlich, perfekt ist aber noch nichts.

Zwischenzeitlich macht man sich die jeweiligen Vorteile von Turbo und Kompressor gleichzeitig zunutze, indem man sie zusammenspannt. VW kam zunächst mit einem mechanischen Lader für niedrige und einem Turbolader für höhere Drehzahlen und Lasten (Golf TSI, 2006). Der sogenannte Twincharger funktioniert gut, senkt aber den Wirkungsgrad – gerade bei den an sich sparsamen niedrigen Drehzahlen. Zudem ist die kombinierte Stufenaufladung kompliziert, teuer und potenziell anfälliger als eine einstufige. Man konnte das Turboloch zwar entschieden verkleinern, arbeitet inzwischen dennoch an elektrisch angetriebenen Zusatz-Turbinen. Das mutet an wie – wenn auch geschickte – Notlösungen.

Pingpong mit Gassäulen – der Königsweg aus dem Dilemma?

Vergleicht man sie mit dem Druckwellenlader, muten eigentlich alle diese schönen Ideen an wie ein Kurieren an Symptomen. Denn sie sind mit großem Aufwand, hohen Kosten und einem gewissen Risiko für den Fahrzeughalter verbunden. Weil der Druckwellenlader in der Lage wäre, das Nützliche mit dem Guten zu verbinden, sollte er der Königsweg aus dem Dilemma der beiden Laderarten weisen. Seine Funktionsweise ist eigentlich stocksimpel: Im Druckwellenlader wird die Energie des Abgases direkt auf die Ladeluft übertragen.

Eine Vielzahl Röhren ist axial in einem zylindrischen, in einem Gehäuse drehbaren Zellenrad angeordnet. Auf der einen Seite des Gehäuses, in dem das Zellenrad rotiert, sind stirnseitig die Niederdruck- und Ladedruck-Luftkanäle angeordnet, versetzt auf der gegenüberliegenden Seite die korrespondierenden Nieder- bzw. Hochdruck-Abgas-Kanäle. Das Abgas kann so auf einer Seite in das Rohr eintreten und die darin befindliche Frischluft unter Druck setzen. Das Gas wird durch die Drehbewegung des Zellenrads eingeschlossen und weiterbewegt. Es entspannt sich in den versetzt gegenüberliegenden Ansaugkanal des Motors. Dann verschließt das sich weiterdrehende Zellenrad die nun unter Unterdruck befindliche Zelle, bis sie sich zum Ansaugkanal hin öffnet und von dort Frischgas ansaugt. Damit ist die Zelle bereit für den nächsten Zyklus. Das Zellenrad muss zur Steuerung des Prozesses typischerweise mit drei- bis vierfacher Kurbelwellendrehzahl rotieren. Dabei gelangt bei richtiger Auslegung des Laders nur der verdichtete Frischluftanteil in den Ansaugtrakt, weil sich die beiden Gasanteile in der kurzen Zeit im Zellenrad nicht mischen können. Ein Pingpongspiel mit Gas gewissermaßen, in dem das Zellenrad die Rolle des Schlägers hat.

Theoretisch nur Vorteile

Man erkennt: Da er lediglich als beweglicher Druckspeicher mit einer Art Drehschiebersteuerung arbeitet, kennt er auch so gut wie keine Ansprechverzögerung. Da so ein Lader gar keinen Druck produziert, muss er auch nicht energiezehrend wie ein Kompressor angetrieben werden. Mazda schreibt: „Der Kraftaufwand für den Rotorantrieb ist mit 0,1 kW zu vernachlässigen“, und unter bestimmten Betriebsbedingungen kann der Lader sogar eine geringe Leistung produzieren. Zudem kann er, weil mechanisch einfach, zu einem Bruchteil der Kosten einer Stufenaufladung produziert werden. Oder besser: könnte.

Denn er würde wohl schon längst eingesetzt werden, wenn man ihn so steuern könnte, wie es die Abgasgesetze von heute erfordern. Mazda schreibt über die Probleme des Konzepts vor 15 Jahren: „… die Zeit ist noch nicht Reif für den technischen Meilenstein. Zu diffizil ist die Abstimmung des Comprexladers auf unterschiedliche Motorentypen und die Entwicklungsarbeit für neue Comprexdiesel deshalb noch zu komplex und kostspielig.“ Und das, obwohl der Selbstzünder ein relativ leicht zu beherrschendes Kennfeld bietet. Immerhin hat er mit einem nur mechanisch geregelten Lader bereits 1992 die Grenzwerte der erst 1996 in Kraft getretenen US-Abgasnorm unterboten. Wohlgemerkt ohne Katalysator und Filter. Wohl aus dem gleichen Grund war der Druckwellenlader auch bei Opel mit einem Dieselmotor gekoppelt.

Heute nur mit Elektronenhirn

Die Swissauto Wenko AG hat sich in der Folge auf einen Wettlauf mit immer strengeren Abgaswerten eingelassen und hat seither den Lader vom Comprex- zum Hyprex-Lader weiterentwickelt, der auch in Ottomotoren mit ihrem wesentlich schwerer zu beherrschenden Kennfeld eingesetzt werden kann. Heute kann man durch einen um 20 Grad verdrehbaren Deckel die Lage der Kanäle und somit gewissermaßen seine Steuerzeiten an die Bedürfnisse des Motors bei verschiedenen Betriebsbedingungen anpassen. Auch hat man den in seiner Übersetzung starren Riemenantrieb von der Kurbelwelle durch einen in der Drehzahl völlig unabhängig regelbaren Elektromotor ersetzt, um die optimale Rotordrehzahl für alle Betriebszustände einstellen zu können. Klar, dass so eine komplexe Steuerung nur mehr von einem leistungsfähigen Elektronenhirn beherrscht werden kann. Immerhin erreicht man damit unter anderem einen schnelleren Ladedruckaufbau bei Kaltstart, schnelleren Warmlauf und eine geringere Abgasrückführmenge.

„Enorme Vorteile, keine unüberwindlichen Probleme“

Doch wollte es laut der britischen Zeitschrift Engine Technology International noch vor Kurzem den Mannen bei AMG um Friedrich Eichler nicht gelingen, den Lader so abzustimmen, dass der Motor seine Abgasgrenzen eingehalten hätte. Zu lesen war in der ETI vom April 2011: „Immer, wenn die Temperatur im Katalysator unter 600 Grad fiel, stiegen die Emissionen unzulässig an.“ Denkbar ist dies etwa durch eine zu starke Abkühlung der Abgase im Lader bei Teillast. Dazu kam, dass ihnen der Lader regelrecht um die Ohren geflogen sein soll, sobald sich Auspuff- und Frischgas im Auspuff gemischt haben. Und so soll noch ziemlich kurz vor der Serienreife des neuen A 45 AMG doch wieder eine der bewährten Abgasturbinen eingebaut worden sein. Aufgeben wollen laut Engine Technology International die Entwickler bei AMG den Hyprex-Lader dennoch nicht, weil sie „überzeugt sind, dass die Probleme nicht unüberwindlich sind, die Vorteile aber enorm“.