Elektrohydraulische Ventilsteuerung soll Motoren effizienter machen

Die MultiAir-Ventilsteuerung von Fiat

Die „ideale“ Ventilsteuerung von Viertaktmotoren erlaubt eine völlig freie Variation von Steuerzeiten und Hub. Das MultiAir-System von Fiat Powertrain nähert sich diesem Ideal zumindest teilweise an

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  • ggo

Hannover, 4. Juni 2009 – Seit langem tüfteln Forscher und Entwickler an verschiedenen Arten der variablen Ventilsteuerung, derzeit setzt sich diese Technik besonders bei Ottomotoren immer mehr durch. Die Vorteile gegenüber fest vorgegebenen Steuerzeiten sind vielfältig, dazu gehören ein breiteres nutzbares Drehzahlband, die Entdrosselung des Motors sowie weniger Verbrauch und Emissionen. Die Lösungsansätze unterscheiden sich dabei beträchtlich, doch kein Konzept entspricht bisher der Idealvorstellung, die Ventile auf der Ein- und Auslassseite in beliebiger Weise öffnen und schließen zu können. Bekannte, im Markt eingeführte Lösungen sind etwa VANOS und Valvetronic von BMW, VTEC von Honda oder VVT-i von Toyota. Sie funktionieren im Detail unterschiedlich, haben aber eines gemeinsam: Über veränderte Ventilöffnungszeiten und/oder -hübe will man den Ladungswechsel den Last- und Drehzahlzuständen anpassen können.

Viel Wirkung – viel Aufwand

Die Öffnungsphasen der Ventile werden dabei über eine Verstellung des Drehwinkels der Nockenwelle vorgenommen, der Ventilhub kann zum Beispiel wie bei der Valvetronic von BMW über einen Stellmotor eingestellt werden. So lässt sich auf die sonst beim Ottomotor notwendige Drosselklappe verzichten, weil die zugeführte Luft- oder Gemischmenge über die Einlassventile geregelt werden kann. Dadurch werden Drosselverluste verringert, die entstehen, wenn bei Teillast die nicht ganz geöffnete Drosselklappe der freien Luftzufuhr im Wege steht. Doch die variable Ventilsteuerung eröffnet mehr Möglichkeiten als die „drosselfreie Laststeuerung“, etwa das so genannte „ Scavenging“ oder die Möglichkeit, durch eine Anpassung der Steuerzeiten die Emissionen im Kaltlauf zu senken.

Dass die dafür notwendigen Verstellmechanismen für Öffnungshub und -zeitpunkt aufwendig sind, ist leicht vorstellbar. Der Aufwand lässt sich aber umso mehr rechtfertigen, je größer der Druck wird, Kraftstoff einzusparen und strengere Emissionsgrenzen einzuhalten. Bei Ottomotoren herrscht in der Fachwelt derzeit weitgehend Konsens darüber, dass eine Kombination aus Downsizing, Direkteinspritzung und Aufladung in Verbindung mit einer möglichst variablen Ventilsteuerung große Möglichkeiten zur Verbrauchseinsparung bietet.

Ganz ohne Nockenwelle …

Wegen des hohen Aufwandes liegt es eigentlich nahe, ganz auf die Nockenwelle zu verzichten und die Ventile stattdessen elektrohydraulisch oder gar rein elektrisch zu betätigen. Im Idealfall könnte man so die Öffnungszeiten völlig beliebig steuern, um Leistung, Drehmoment und Kraftstoffeffizienz optimal einzustellen. Zudem würden bei einer solchen Lösung einige Bauteile wegfallen. Dieses Prinzip ist nicht ganz neu, schon 1985 meldete beispielsweise Bosch ein Patent an (DE 3511819 A1), in dem eine Ventilsteuerung beschrieben wurde, bei der der Ventilhub und in Grenzen auch die Phase elektrohydraulisch gesteuert werden kann.

Fiat bringt ein ähnliches System jetzt in Serie, wenn auch mechanisch völlig anders ausgeführt. Die Italiener werben damit, mit „MultiAir“ einen „Quantensprung in der Motorentechnik“ vollzogen zu haben. Denn zumindest auf der Einlassseite verspricht die Technik alle Freiheiten bei der Ventilsteuerung und infolgedessen Vorteile, die wahrlich beeindrucken. MultiAir soll Verbrauch und Emissionen um bis zu 25 Prozent senken, zudem verspricht Fiat Powertrain 10 Prozent mehr Leistung und bis zu 15 Prozent mehr Drehmoment im unteren Drehzahlbereich.

… geht es noch nicht

Die MultiAir-Ventilsteuerung des Unternehmens ist allein schon deswegen ungewöhnlich, weil auf der Einlassseite die Ventile elektrohydraulisch betätigt werden können, für die Auslassventile aber nach wie vor eine fast herkömmliche Nockenwelle zuständig ist – „fast“ deswegen, weil auf ihr zusätzliche Nocken sitzen, die über eine Umlenkung auch die Einlassventile betätigen. Das klingt kompliziert und ist es auch: Im Prinzip werden die Einlassventile also auf zwei Arten betätigt, entweder wie üblich über die Nocken, etwa bei Volllast – oder hydraulisch, wobei Öffnungszeiten und Hub des Ventils pro Zylinder frei variiert werden können.

Dafür gibt es pro Zylinder ein eigenes Hydrauliksystem mit einer separaten Hochdruck-Hydraulikkammer. Solange diese geschlossen ist, verhält sich die Hydraulikflüssigkeit wie ein starres Bauteil, der Nockenhub wird also „eins zu eins“ an das Einlassventil durchgereicht. Sobald ein elektronisch gesteuertes Magnetventil an der Hydraulikkammer geöffnet wird, sind die Nocken und Ventile dagegen mechanisch voneinander getrennt. Die Einlassventile müssen nun nicht mehr dem Rhythmus der Nocken folgen, weil der hydraulische „Durchtrieb“ nicht mehr gegeben ist. In diesem Fall steuert laut Fiat eine „spezielle Mechatronik“ über Magnetventile die Einlassventile je nach der Fahrsituation.

Eingebremst

Es handelt sich demnach nicht um eine vollständig elektrohydraulische Ventilsteuerung, die unabhängig von der Nockenwelle ist, sondern um eine weitgehend frei steuerbare Begrenzung des Ventilhubs. In Fachkreisen wird von einem „Lost-Motion“-System gesprochen, bei dem zwar nach wie vor Nocken das Ventil betätigen, der resultierende Hub aber elektrohydraulisch begrenzt wird. Die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, zeigt Bild 3: Es zeigt zum einen die volle Öffnung des Ventils bei geschlossenem Hydrauliksystem und danach verschiedene Öffnungsvarianten, die durch teilweises Öffnen des Magnetventils möglich sind. Im Unterschied zu mechanischen Systemen kann Fiat eine theoretisch beliebige Anzahl von Hub-und Phasenvarianten realisieren, die je nach Last- und Drehzahlsituation abgerufen werden können. Alle Varianten der Ventilöffnung sind allerdings prinzipbedingt eine Untermenge des mechanisch möglichen Ventilhubs.

Aufgrund der hohen Freiheitsgrade auf der Einlassseite ermöglicht MultiAir eine sehr feine Abstimmung der Gemischbildung auf die jeweiligen Erfordernisse. So lassen sich beispielsweise Drosselverluste minimieren, indem die zugeführte Luftmenge über die Ventile anstatt über die Drosselklappe geregelt wird. Laut Fiat kann die Drosselklappe immer völlig geöffnet bleiben, warum sie überhaupt noch vorhanden ist, geht aus den bisher vorliegenden Informationen nicht hervor.

Sogar ein mehrfaches Öffnen des Ventils während des Ansaugvorgangs ist in Grenzen möglich, zumindest im Teillastbereich, weil dann nur ein kleiner Teil des mechanisch vorgegebenen Ventilhubs benötigt wird. Interessant ist auch eine besondere Ventilsteuerung in der Kaltlaufphase, durch die sich laut Fiat die Kaltlauf-Emissionen erheblich senken lassen: Die Stickoxide fallen demnach um bis zu 60 Prozent geringer aus, Kohlenmonoxid und Kohlenwasserstoffe um bis zu 40 Prozent.

Erster Einsatz im Alfa MiTo

Erstmals zur Anwendung kommt die MultiAir-Technik Mitte 2009 im Alfa MiTo. Geplant ist ein 1,4-Liter-Motor als Saugvariante und mit Turboaufladung. In absehbarer Zeit wird es zudem einen komplett neuen MultiAir-Zweizylinder-Benziner mit 0,9 Liter Hubraum geben. Er wird als Saugmotor und in zwei Turboversionen angeboten, ein aufgeladenes Aggregat soll bivalent mit Benzin und Erdgas betrieben werden können. Die geplanten CO2-Werte klingen schon einmal überzeugend: Je nach Version sollen sie weniger als 80 g/km betragen.

Welche Vorteile MultiAir in der Praxis tatsächlich bietet, soll sich schon bald im Alfa MiTo erfahren lassen. Fest steht allerdings schon jetzt, dass das System zumindest in der Theorie ein technisches Highlight ist. Was zum eingangs erwähnten Ideal noch fehlt, ist der völlige Verzicht auf Nockenwellen. Die Fiat-Lösung ist in dieser Hinsicht wohl ein Kompromiss, um durch die Nockenwelle für Ein- und Auslass eine mechanische Rückfallebene zu gewährleisten.

Langer Weg zur Serie

Zudem gibt es es offenbar keine Phasenverstellung für die Auslassseite. Denn da Ein- und Auslassnocken auf derselben Welle sitzen, würde sich eine mechanische Verstellung auch auf die Einlassseite auswirken. Inwieweit so noch eine Variation der Ventilüberschneidung möglich ist, wie sie für ein Scavenging-Konzept notwendig ist, bleibt vorläufig offen.

Dennoch darf sich Fiat Powertrain zugute halten, als erster Automobilhersteller eine elektrohydraulische Ventilsteuerung in Serie zu bringen. Dass es schon Jahrzehnte vorher Patente für dieses Prinzip gab, zeigt, dass der Weg zur Serienanwendung offenbar nicht einfach war. Sollten sich die versprochenen Verbrauchs- und Emissionswerte in der Praxis bestätigen, ist den Entwicklern tatsächlich ein großer Fortschritt gelungen.

Vorteile auch für Dieselmotoren

Übrigens will Fiat das MultiAir-Prinzip mittelfristig auch auf Dieselmotoren ausweiten – dort lassen sich zwar normalerweise mangels Klappe keine Drosselverluste beseitigen, doch verspricht man sich zum Beispiel erhebliche Fortschritte bei der Regeneration von Dieselpartikelfilter und NOx-Speicherkatalysator. Das könnte besonders im Hinblick auf die Euro 6 hilfreich sein, denn nicht nur die variable Ventilsteuerung ist teuer, sondern auch die immer aufwendigere Abgasnachbehandlung für Dieselmotoren.

So erklärt Fiat die Multi-Air-Technik im Film:

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