Mercedes stellt neue Dieselmotoren-Generation mit zweistufiger Aufladung vor

Diesel unter Hochdruck

Mercedes-Benz stellt eine neue Generation von Vierzylinder-Dieselmotoren vor. Sie soll in ihrem Segment alle bisherigen Bestleistungen hinsichtlich Leistung, Drehmoment, Abgasverhalten und Sparsamkeit übertreffen

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Stuttgart, 14. April 2008 – Der 150. Geburtstag von Rudolf Diesel kommt Mercedes-Benz durchaus gelegen, eine neue Generation von Vierzylinder-Dieselmotoren vorzustellen. Sie soll in ihrem Segment alle bisherigen Bestleistungen hinsichtlich Leistung, Drehmoment, Abgasverhalten und Sparsamkeit übertreffen. Ob sich das in der Praxis bestätigt, wird zu klären sein, doch Rudolf Diesel würde sich allemal die Augen reiben, wenn er sehen könnte, was aus den bescheidenen Anfängen der Dieseltechnik geworden ist.

Rationelle Wärmekraftmaschine
Schon Ende des 19. Jahrhunderts wusste Diesel, dass der Selbstzünder mit seinem hohen Wirkungsgrad eine besonders „rationelle Wärmekraftmaschine“ ist – ihren Erfolg im Automobil erlebte er aber nicht mehr. Er hätte wohl kaum glauben können, welche Leistungs- und Drehmomentwerte moderne Dieselmotoren erreichen können. Genauso wenig hätte er vermutlich geahnt, dass die Emissions-Regularien eines seltsamen Staatengebildes namens Europäischer Union seinem Motorenprinzip Anfang des 21. Jahrhunderts schwer zu schaffen machen würden. Denn genau das sind die Herausforderungen, mit denen sich Motorenentwickler heute herumschlagen müssen, und so verwundert es nicht, dass Mercedes-Benz seine neue Generation von Vierzylinder-Dieselmotoren unter der Überschrift „Neue Dimensionen in Leistung, Verbrauch und Emissionen“ vorstellt.

Drehmomentstarke Drillinge
Der neue Selbstzünder kommt in drei Ausführungen als 200 CDI, 220 CDI und 250 CDI, doch stehen diese Zahlen nicht für den tatsächlichen Hubraum der Motoren: Alle drei Varianten kommen nämlich mit 2143 Kubikzentimeter aus. Der Stärkste im Trio leistet 204 PS (150 kW) und bietet ein maximales Drehmoment von 500 Nm. Dabei soll der Verbrauch „in einer Mittelklasse-Limousine“ gerade einmal 5,4 Liter im NEFZ betragen. Rudolf Diesel würde wohl ungläubig reagieren, wenn er hörte, dass dieser allen Ernstes für die Serie gedachte Motor eine Literleistung von fast 100 PS hat. Zum Vergleich: Sein erster voll betriebsfähiger Selbstzünder leistete bei einem Hubraum von 19,6 Liter 20 PS, also rund 1 PS pro Liter.

Der 220 CDI begnügt sich mit 170 PS (125 kW) und 400 Nm, der 200 CDI mit 136 PS (100 kW) und 330 Nm. Auch sie werden laut Mercedes sparsamer: Die 170-PS-Variante konsumiert in einem Mittelklasse-Fahrzeug betrieben rund 5,1 Liter pro 100 Kilometer, Verbrauchsangaben für den 200 CDI gibt es noch nicht. Mit dem Begriff „Mittelklasse-Fahrzeug“ meint Mercedes übrigens die C-Klasse ohne Start-Stopp-System, da gibt es also beim Verbrauch noch Luft nach unten.

Diesel unter Hochdruck

Euro 5 ohne Denoxierung
Mit Blick auf die ab September 2009 verbindliche Euro 5 überrascht es nicht, dass der neue Dieselmotor diese Abgasnorm bereits erfüllt. Es spricht dabei für die Güte des Verbrennungsprozesses, dass Mercedes für die Einhaltung der NOx-Grenzwerte keine Denoxierung benötigt. Die Stuttgarter haben die beim Dieselmotor so problematischen Stickoxid-Emissionen ausschließlich durch innermotorische Maßnahmen in den Griff bekommen. Das spart in Europa (zunächst) die Kosten für eine komplizierte Abgasnachbehandlung wie BlueTec, und in den USA mit ihren noch schärferen Grenzwerten kann die Nachbehandlung dabei helfen, dem Dieselmotor endlich zum Durchbruch zu verhelfen.

Schon bei Markteinführung der ersten Dieselpartikelfilter gab es übrigens rege Diskussionen in der Branche, ob es sinnvoll ist, einem Motor bereits „von innen“ wenig Emissionen anzuerziehen – also mit den so genannten innermotorischen Maßnahmen – oder ob es nicht reicht, mit geeigneten Filtersystemen die Abgase zu reinigen. Trivial ist weder das eine noch das andere, doch herrscht inzwischen Einigkeit darüber, dass ohne massive Forschritte beim internen Verbrennungsprozess an die Erfüllung von Abgasnormen wie der Euro 6 kaum zu denken ist.

Zweistufige Turboaufladung
Mercedes hat sich in der neuen Motorenfamilie mehrerer Maßnahmen bedient, um den scheinbaren Zielkonflikt aus Leistung, Verbrauch und Emissionen aufzulösen. Die Literleistung von fast 100 PS bei der stärksten Variante deutet bereits auf ein ausgeprägtes „Downsizing“ hin, das allerdings nur Sinn macht, wenn man die prinzipbedingten Nachteile geringen Hubraums vermeidet. So hat Mercedes zum ersten Mal eine zweistufige Turboaufladung in einem Pkw-Seriendiesel verwirklicht, welche die Nachteile einer starken Aufladung bei geringem Hubraum kompenisieren soll: So kümmert sich ein kleiner und schnell reagierender Hochdrucklader (HD) zunächst um die niedrigsten Drehzahlen, ein großer Niederdrucklader (ND) übernimmt bei höheren Drehzahlen. Diese Kombination ermöglicht zum einen die Überbrückung des „Anfahr-Turbolochs“ und sorgt dennoch auch in höheren Drehzahlbereichen für hohen Ladedruck.

Diesel unter Hochdruck

Die kleine HD-Turbine mit einem Durchmesser von 38,5 mm sitzt direkt am Auspuffkrümmer und rotiert mit bis zu 248.000 U/min, die ND-Turbine mit 50 mm Durchmesser dreht sich mit bis zu 185.000 U/min. Zunächst fließt der Abgasstrom nur durch das HD-Turbinengehäuse, bei höheren Drehzahlen öffnet sich dann jedoch eine Ladedruck-Regelklappe, die den drohenden Überdruck in einen Bypass leitet und von dort zum ND-Lader. Bis in den mittleren Drehzahlbereich können auf diese Weise beide Turbinen gemeinsam arbeiten, bis schließlich der ND-Lader bei mittleren und höheren Drehzahlen die komplette Arbeit übernimmt.

Doppelt komprimiert
Was die Abgasturbinen dem Abgas an Kraft entziehen, setzen die Verdichter in Ladedruck um. Auch die beiden Verdichter sind in Reihe geschaltet und mit einem Bypass verbunden. Die vom Luftfilter kommende Luft durchströmt zunächst den ND-Verdichter (56,1 mm Durchmesser) und wird dort komprimiert. Diese bereits vorverdichtete Luft strömt weiter in den HD-Verdichter mit einem Durchmesser von 41 mm und wird dort noch weiter verdichtet – eine echte zweistufige Aufladung.

Diese aufwändige Aufladung macht es möglich, einem vergleichweise kleinen Hubraum Leistungen und Drehmomente zu entlocken, die mit einem einfachen Lader nicht möglich wären. Denn bei ihm müsste man sich entscheiden: entweder für eine Unterstützung bei niedrigen Drehzahlen und den Verzicht auf Höchstleistung, oder für hohen Ladedruck bei höheren Drehzahlen, was wiederum das berüchtigte Turboloch im unteren Drehzahlbereich zur Folge hätte.

Kühle Ladeluft
Damit die hohen Drücke, die Mercedes dem neuen Motor zumutet, nicht zu übermäßig hohen Temperaturen führen, wurde auch der Ladeluft-Kühler vergrößert, um die Temperatur der komprimierten Luft um rund 140 Grad zu senken. Denn hohe Leistung erfordert ein hohes Luftvolumen und setzt somit kühle Luft voraus. Außerdem ist es im Interesse geringer Stickoxidemissionen notwendig, das rückgeführte Abgas in einem Wärmetauscher zu kühlen, um hohe Abgasrückführungsraten zu erreichen. Als Vorteile des neuentwickelten Verbunds aus zweistufiger Aufladung, Ladeluftkühler und Angasrückführung nennt Mercedes-Benz unter anderem eine schnelle Motorerwärmung bei Kaltstart, verringerte Schadstoff-Emissionen und eine lange Lebensdauer des Motors.

Diesel unter Hochdruck

Common Rail mit 2000 bar
Doch nicht nur bei der Aufladung ist es Druck, der zählt. Bei der Common-Rail-Einspritzung der 4. Generationen konnten die Entwickler den Druck in der kraftstoffführenden Leitung, der Rail, um 400 bar auf nun 2000 bar steigern – laut Mercedes Voraussetzung, um die Leistungs- und Drehmomentwerte der stärksten Variante überhaupt erreichen zu können. Denn während man über die Aufladung die zugeführte Luftmenge erhöhen kann, ist Einspritzdruck die einzige verfügbare Regelgröße bei der Zuführung des Kraftstoffs. Zudem hilft hoher Druck dabei, den Kraftstoff fein zu zerstäuben, was der Verbrennungsgüte und damit den Emissionen zugute kommt. Die Einspritzelemente sind als Piezo-Injektoren ausgeführt; sie nutzen die Eigenschaften der Piezo-Keramik, ihre Kristallstruktur unter elektrischer Spannung in Mikrosekundenschnelle zu verändern. Im Unterschied zu bisherigen Systemen sorgt ein in Reihe geschalteter Piezo-Stack (Stapel) bei der Neuentwicklung dafür, dass die Piezo-Elemente die Düsennadel direkt ansteuern können und dass auch größere Volumenänderungen schnell und hochpräzise bewältigt werden. Das erlaubt selbst bei hohen Lasten eine feine und schnelle Dosierung der Einspritzmengen.

Der Druck zählt
Ein charakteristisches und notwendiges Merkmal von Dieselmotoren ist die deutlich höhere Verdichtung im Vergleich zu Ottomotoren, damit die Selbstzündung überhaupt erfolgen kann. Vor allem im Interesse geringerer Rohemissionen versuchen Entwickler heute jedoch, die Verdichtung von Dieselmotoren zurückzunehmen, was beim heute üblichen Dieselkraftstoff allerdings eine stärkere Aufladung und hohe Einspritzdrücke voraussetzt. Diese Voraussetzungen sind in dem neuen Dieselmotor durch die ausgeklügelte Turboaufladung und das neue Common-Rail-System gegeben. Mercedes-Benz konnte im Vergleich zum Vorgängermotor die Verdichtung von 17,5:1 auf 16,2:1 zurücknehmen und legte die Geometrie von Brennraum und Kolbenböden neu aus. Vor allem die beim Diesel so kritischen Stickoxid-Rohemissionen fallen nun laut Mercedes deutlich geringer aus als bisher.

„Nicht der Hubraum zählt, sondern der Druck“ heißt eine alte Faustregel, die in Zeiten des Downsizings noch an Aktualität gewonnen hat. Dass dies bei der neuen Motorenfamilie gelungen ist, zeigt der Wert für den maximalen Zünddruck, also der im Brennraum bei der Verbrennung entstehende Überdruck. Mercedes konnte diesen für Leistung und Volllastverbrauch mit entscheidenden Druck auf 200 bar erhöhen, nach eigenen Angaben ein Spitzenwert bei Pkw-Dieselmotoren

Diesel unter Hochdruck

Ein Motor für (fast) alles
„Unser neuer Vierzylinder stößt in Dimensionen vor, die bis dato nur Dreiliter-Sechszylinder-Dieselmotoren oder großvolumige V8-Benziner erreichen – dies verbunden mit vorbildlicher Sparsamkeit“, sagt Dr. Thomas Weber, im Vorstand der Daimler AG verantwortlich für Konzernforschung sowie Entwicklung. Da mag dem komfortkritischen Kunden die Fragen in den Sinn kommen, ob denn der erwähnte Sechszylindermotor nicht die bessere Wahl wäre. Ist er sicherlich auch, doch weniger Zylinder bedeuten auch weniger innere Reibung. Schließlich mühen sich beim Sechszylindern nicht nur zwei Kolben mehr ab, sondern auch im Kurbel- und Ventiltrieb verursachen entsprechend mehr bewegte Teile zusätzliche Reibung. Erste Tests werden zeigen, wie es um die Laufruhe des Neuen tatsächlich bestellt ist. Immerhin sorgen zwei Lanchester-Augleichswellen im Motorblock dafür, die für einen Vierzylindermotor typischen freien Massenmomente zu mildern, und die Kurbelwelle mit ihren acht Gegengewichten rotiert in fünf Lagern – nur zwei von mehreren Maßnahmen, um den Komfort zu steigern.

Der neue Dieselmotor soll in mehreren Baureihen – bis hin zum Mercedes Sprinter – in verschiedenen Versionen eingesetzt werden. Er kann längs und quer eingebaut werden, wodurch er sich für alle Baureihen von der A-Klasse aufwärts eignet. Zudem ist er als sparsamer Verbrennungsmotor in Hybrid-Fahrzeugen vorgesehen, auch in der S-Klasse, die damit erstmals mit einem Vierzylinder unterwegs wäre – das hätte vor nicht allzu langer Zeit noch als Frevel gegolten. Im S 300 Bluetec Hybrid auf der letztjährigen IAA steckte der neue Motor übrigens bereits unter der Haube.