Fahrbericht: Mercedes E-Klasse 2016

Der fitte Opa

Die 2016er-E-Klasse führt ein großes Update an Automatiken für hochassistiertes Fahren ein, das größtenteils sehr gut funktioniert. Sie blieb im Kern der gute alte Rentner, der sie immer war, nur leiser und mit besseren Bremsen

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Hybridantrieb, alternative Antriebe, E-Klasse, Mercedes 28 Bilder
Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Stuttgart, 21. März 2016 – "Dafür fehlen mir noch circa 50 Lebensjahre", sagte mein Beifahrer, als ich ihn ans Steuer der neuen E-Klasse mit dem neu gemachten Vierzylinder-Diesel mit 194 PS nötigte. Mir nicht. Ich habe oft das Gefühl, schon als alter, reaktionärer Mann geboren worden zu sein, wahrscheinlich auf dem Rücksitz einer E-Klasse. Als ständiger Taxigast ist der Beifahrersitz einer E-Klasse für mich in die eine Richtung der Aufbruch ins Abenteuer und in die andere Richtung das Versprechen des Heimkehrens zu Weib, Hund und Hausschlappen. Diese einleitenden Sätze sollten Ihnen helfen, meine Bewertung der neuen Generation von Mercedes' E-Klasse sinnvoll einzuordnen. Für mich als Fan der klassischen Limousine ist es wieder ein großartiges Auto geworden. Wir beginnen also ganz altmännermäßig bei "50 Jahre zu altbacken für den Kollegen", also beim neuen Turbodiesel, denn das wird die meistbestellte Motorvariante werden.

Gemütlich bis souverän

Der Motor im E 220 CDI leistet jetzt 194 PS, das maximale Drehmoment liegt wie beim Vorgänger bei 400 Nm ab 1600 U/min. Damit dieselt es sich gemütlich bis souverän durch alle Lebenslagen. Mein Exbeifahrer-Jetztfahrer schaltet einen Sportmodus ein, der irgendwas ändert, was hier keine Sau braucht – Spielerei. Wichtig ist, a) wie dieser Diesel den Kurzstrecken-Stadtbetrieb meistert (nämlich für den Taxibetrieb) und b) wie er im Dauerwarmlauf die Autobahnen entlangdieselt (nämlich im Handlungsreisendenbetrieb).

Für Punkt a) waren einige Umkonstruktionen nötig. Die Abgasreinigungsanlagen rücken wie bei der aktuellen Volkswagen-Dieselmotorengeneration dicht an den Motor, damit sie billiger zu bauen werden und schneller ihre Betriebstemperatur erreichen. Hintergrund sind die Forderungen nach mehr Echtwelt-Messungen (RDE). Vielleicht können wir dann einen Dieselmotor für die Taxiflotten unserer Städte haben, der auch unter 10° C die Stickoxid-Nachbearbeitung anschaltet. Mein ja nur. Wahrscheinlich wird auch den neuen Motor bald jemand nachmessen, die Voraussetzungen für bessere Abgaswerte in der Stadt sollten von Konstruktionsseite vorhanden sein. Für Punkt b) verspricht Daimler, dass die Motorsteuerung im neuen Motor "bis hoch zur Volllast" die Abgasrückführung verwende, was es in dieser Form noch nicht gebe. Auch hier warten wir für ein Urteil am besten Messungen ab.

Wie eine weit entfernte Katze

Im Teillastbetrieb am Tempomaten schnurrt der Motor wie eine weit entfernte Katze. Wie beim S-Klasse-Coupé hat es Daimler auch hier geschafft, ein Auto fast ohne Windgeräusche zu bauen, sehr gut gedämmt in Sachen Abrollgeräusche und mit einer exzellenten Hifi-Anlage von Burmester in der Aufpreisliste. Die Aero-Arbeiten machen sich auch im Verbrauch bezahlt, wenn ich von den ersten Eindrücken ausgehen kann. Eine Verbrauchsmessung liefern wir bei Gelegenheit mit einem Testwagen nach. Die Kehrseite der Aero: Der Wagen wird rundgelutschter und hat denselben Hängearsch wie die S-Klasse. Mein Favorit in Sachen Äußerlichkeiten bleibt also die 212-Reihe mit ihrem kantigen Mafia-Schnitt. Aber die mochte außer mir glaub ich keiner sonst so richtig.

Leistung hat der Diesel für die typischen Einsatzbereiche der E-Klasse genug, vor allem, weil das in allen Antrieben serienmäßige Neungang-Automatikgetriebe so gut funktioniert. Es schaltet schnell und hält je nach Fahrerwunsch die Drehzahlen entweder etwas höher oder konsequent sehr niedrig. Es passt zur E-Klasse wie die Faust aufs Auge oder der Dieselmotor zur Automatik. Der E 220 CDI kostet ab 47.124 Euro. Es gibt darunter zum Start noch einen Benziner mit 184 PS, Grundpreis 45.303 Euro. Den konnten wir noch nicht ausprobieren, es ist aber auch nicht die interessanteste Motorisierung.

Alternative Motorisierungen

Leider fehlte die Zeit, den größeren Dieselmotor im E 350 CDI zu testen. Er liefert maximal 258 PS, was wahrscheinlich gar nicht seine wichtigste Eigenschaft ist. Nein, noch vor der Leistung steht für uns alte Männer die Kombination von Dieseleigenschaften mit einem sonoren V6-Schnurren. Zum Glück hatte ich Zeit, noch kurz vor Torschluss den Plugin-Hybriden E 350 e zu fahren: Auf rein elektrischem Betrieb wird aus der E-Klasse der wunderbarste Gleiter ihrer Klasse. Der 65-kW-Elektromotor schiebt sanft an, das typische elektrische Sirren verschwindet komplett in der Karosseriedämmung.

Die Motorisierung zeigt, wie eine elektrische Mercedes-Limousine fahren könnte – leider nur für etwa 15 Kilometer auf der Schnellstraße bei 100 km/h mit Tempomat (120 schaffte der Motor schon nicht mehr, zu bergig). Dann ist die 8,6-kWh-Batterie leer und der R4-Benziner muss sich zuschalten. Zusammen mit dem 211-PS-Benziner schaffen die Motoren eine Systemleistung von 286 PS (210 kW). In der realen Welt wird also der Dieselantrieb ökonomischer sein, und in der Praxis kaum weniger anschubstark. Solange der Taxifahrer nicht wenigstens zum Flughafen und zurück rein elektrisch fahren kann, dürfte sich dieser Antrieb nicht lohnen (Preis noch offen). Die Kante im Kofferraum an der Batterie ist mir auch zu sehr Peugeot und zu wenig Mercedes. Aber ich freue mich jetzt sehr auf eine richtige elektrische Limousine aus Stuttgart. Solange sie so leise fährt, darf sie so rundgelutscht aussehen wie ein gut gebrauchtes Stück Seife.

Rücksichtsvolles Fahrwerk

Schließlich war noch der E 400 zu fahren, mit dem "4matic"-Allradantrieb. In der Überzeugung guter Fahreigenschaften ließ uns Daimler die alte Rennstrecke Estoril damit befahren. Ich fand schon bei älteren Versionen, dass die E-Klasse ein gutes Chassis hat, wenn auch eins mit zu kleinen Bremsen für ihr ganzes Fett. Im E 400 wird dieses Chassis vom aktiven, wankausgleichenden Fahrwerk unterstützt und von einem schön brummenden V6-Benzinmotor mit 333 PS angetrieben. Die Auslegung des Fahrwerks ist sehr rücksichtsvoll, das Auto untersteuert unspektakulär im Schiebebetrieb und ich konnte es selbst mit abgeschaltetem ESP nicht zum Übersteuern bewegen, da übernehmen schnell die Vorderräder. Das Auto schiebt dann am Ende der Querführungshaftung sanft über beide Achsen nach außen. Es gibt keine Überraschungen. Wer sich in diesem Chassis etwas tut, hat lange vorher versäumt, relative Bewegungsenergie abzubauen.

Es hat mir wirklich Spaß gemacht, dieses fette Taxi um Estoril zu schrubben, und es machte eine gute Figur dabei. Im E 400 verbaut Daimler auch eine an Gewicht und Leistung angepasste Bremsanlage. Endlich. Und noch eine gute Idee: Um sowohl Dicken als auch Dünnen guten Seitenhalt zu geben, kann man die Seitenpolster elektrisch einstellen. Es soll noch eine AMG-Version des E 400 mit 401 PS folgen ("E 43"), sowie mit dem E 63 AMG ein German Muscle Car mit V8 und über 550 PS.

Intelligenzia

Mein persönlicher Hauptgrund für einen Test der E-Klasse lag im Update der Fahrhilfen. Die E-Klasse führt hier eine neue Generation ein, die ein paar Dinge besser kann. Staufolgefahren gibt es jetzt bis 130 km/h mit Objekterkennung, also einem Folgen des Vordermanns als Orientierungshilfe, wenn die Fahrbahnmarkierungen (etwa in Baustellen) unleserlich werden. Der Lenkassistent unterstützt jetzt bis 210 km/h, solange er Fahrbahnmarkierungen sieht. Das wird durch kleinere Fortschritte ermöglicht; unter anderem orientiert sich die E-Klasse jetzt außer an Linien auch an Fahrbahnbegrenzungen wie Leitplanken oder Betonblöcken.

Dazu kommt ein Spurwechselassistent, der bei gesetztem Blinker und angeschaltetem Tempomat ("Drive Pilot") nach zwei Sekunden Blinken selbständig die Spur wechselt, wobei er darauf achtet, dass es eine Spur zum wechseln gibt und dass diese frei von Kollisionsgefahren ist. Die gut funktionierende Verkehrsschilderkennung plus Geschwindigkeitsdaten im Kartenmaterial erlauben auch die Option, dass der Tempomat von selbst das vorgegebene Tempo wählt, eine große Erleichterung auf diesen Strecken, auf denen sich alle paar hundert Meter die Vorgabe ändert. Ebenso hat sich die Kraft des Lenkservos erhöht und damit die maximal möglichen Einlenkwinkel, natürlich abhängig von Kurvengeometrie, Geschwindigkeit und Untergrund.

Geringes Nerv-Level

Mit den Updates ist die E-Klasse das wohl selbständigste Auto am Markt. Der US-Bundesstaat Nevada hat Daimler für die E-Klasse zum Beispiel als erstem Serienfahrzeug eine Lizenz zum autonomen Fahren ausgestellt, deren Mindestanforderungen erfüllt sie also. Dennoch würde ich bei den Tests auf Autobahnen mit meistens 120 km/h Vorgabe weniger von teilautonomem Fahren sprechen als vielmehr von "hochassistiert". Daimler hat enorm viel Arbeit in die Schnittstelle Fahrer-Assistent gesteckt, was sich bemerkbar macht in einem viel geringeren Nerv-Level. Die ersten Spurassis in der E-Klasse haben mich noch fürchterlich genervt. Die aktuelle Generation verhält sich deutlich stärker so, dass man sich ihrer Assistenz ergeben möchte und nur noch quasi vegetativ lenkt. Das mag sich für Freunde des Fahrens doof anhören, aber die kaufen keine E-Klasse, sondern einen Boxster.

Langstreckenfahrer dagegen freuen sich, dass der Grad der Wachheit nach 1000 Kilometern deutlich höher liegen dürfte als unassistiert. Dazu passt der neue Staupilot, der im Stop & Go bis 30 km/h nicht mehr so schnell nach der Hand am Lenkrad verlangt. Falls jemand beim betreuten Fahren einschlafen sollte, hält das Fahrzeug nach längerer Zeit ohne Fahrereingaben in der aktuellen Spur mit eingeschalteter Warnblinkanlage an. Selbstverständlich bimmelt es auch im Innenraum.

Ähnliche Fortschritte gibt es in Daimlers aktiven Sicherheitsassistenten, zusammengefasst unter "Presafe". Presafe kann jetzt 100 Prozent der Bremsleistung aufbringen, um Kollisionen mit anderen Fahrzeugen oder Fußgängern komplett zu vermeiden oder mindestens die Aufprallenergie drastisch zu reduzieren. Wir konnten das System mit Dummies ausprobieren, es bremst wirklich vollautomatisch im ABS-Regelbereich. Typische Szenarien sind zum Beispiel stehende Stauenden, plötzlich querende Fahrzeuge oder vor dem Auto auf die Fahrbahn springende Kinder. Ebenso assistiert die Lenkung den Fahrer bei Ausweichmanövern um Fußgänger herum mit Lenkunterstützung aus der Spur und in sie zurück, aber nur, wenn der Fahrer selber das Manöver einleitet, damit ein selbst lenkendes Auto den Fahrer nicht zum reflexhaften Gegenlenken bringt. Denn fast jede Automatik kann wie bisher übersteuert werden. Ausnahme sind zum Beispiel einige Notbrems-Situationen, bei denen das Auto auch dann eine Vollbremsung einleitet, wenn der Fahrer auf dem Gas stehen bleibt.

Warnung für andere Mercedes-Autos

Abgerundet wird das Hochassistenz-Paket von Benz-to-Benz-Kommunikation in der Mercedes Cloud sowie ferngesteuertem Einparken, wie wir es vom BMW 7er kennen. Kunden können also einen Gefahrenpunkt auf dem Navi im Vorbeifahren markieren, der dann in der Leitstelle bewertet wird und gegebenenfalls anderen Mercedes-Autos als Warnung übermittelt wird. Die Datenübertragung hierzu gehört zu den Telematikdaten wie Google Maps, die drei Jahre lang von Daimler bezahlt werden. Was der Service später kostet, ist offen. Es gibt einen WLAN-Router im Auto und eine LTE-Dachantenne. Die Preise dafür sind ebenfalls offen. Ein eigener Mobildaten-Vertrag wie bei Audi ist nicht möglich, es gibt nur die Daimler AG als Anbieter.

Ferngesteuert

In enge Garagen oder Parklücken fährt die E-Klasse auf Wunsch ferngesteuert per Bluetooth, bedient über eine Smartphone-App. Das hat in einem kurzen Test problemlos funktioniert. Damit der Kunde stets die Hoheit über das System behält, bewegt sich das Auto nur so lange, wie er mit dem Finger auf dem Display herumrührt. Auch hier hilft die Software, indem sie Kollisionen vermeidet. Sie können das Auto also so weit an die Wand fahren, bis es von selber anhält – eine große Hilfe in schlecht einsehbaren, zugemüllten Garagen aus Baujahren mit schlankeren Serienautos.

Größte Kritik an der Software: Ausgerechnet das Navi hat in Portugal bemerkenswert verwirrend funktioniert, mit uneindeutigen Ansagen und Grafiken. Nachdem es mir so ging, beobachtete ich andere, auch Daimler-Testfahrer, mit ähnlichen Ergebnissen. Es liegt also entweder am Kartenmaterial für Portugal oder am System oder an beidem. Vielleicht zu früh die Aufgabe "Navigation" als hinreichend gelöst betrachtet?