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Fahrbericht: Vespa Elettrica

Der italienische Piaggio-Konzern hat mit der Vespa Elettrica eine neue Baureihe lanciert: Erstmals gibt es den legendären Motorroller, schon vor fast 75 Jahren erfunden und in zahllosen Entwicklungsschritten zur Design-Ikone perfektioniert, mit batterieelektrischem Antrieb.

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Vespa Elettrica 10 Bilder
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Ulf Böhringer
Inhaltsverzeichnis

Der italienische Piaggio-Konzern hat mit der Vespa Elettrica eine neue Baureihe lanciert: Erstmals gibt es den legendären Motorroller, schon vor fast 75 Jahren erfunden und in zahllosen Entwicklungsschritten zur Design-Ikone perfektioniert, mit batterieelektrischem Antrieb. Dieser ermöglicht – stark abhängig von der Zahl der Stopps bzw. der auf diese folgenden Beschleunigungsvorgänge – eine Fahrtdauer von gut drei Stunden.

Macht Spaß

Das ist für ein Stadtfahrzeug, das an jeder nicht weiter als zwei Meter entfernten Haushaltssteckdose geladen werden kann, absolut ausreichend. Doch nicht nur das: Das Fahren auch dieser Vespa macht Spaß, und zwar nicht nur, weil es einfach von der Hand geht, sondern weil die Elettrica ein Gefühl der Gediegenheit vermittelt. Zum Glück für Piaggio, möchte man hinzufügen, denn mit mindestens 6390 Euro ist das schicke Zweirad kein billiger Kauf.

Auch wenn in China schon seit Jahren die Elektroroller in Millionenauflage herumfahren, so sind elektrisch angetriebene Klein-Scooter in Mitteleuropa noch selten im Verkehr. Piaggio ist denn auch der erste etablierte Zweiradhersteller, der sich in dieses Segment wagt. Schon länger aktiv ist zwar BMW mit seinem C Evolution, doch rangiert dieser mächtige E-Scooter zwei Klassen höher, auch im Preis. Die Vespa Elettrica soll nun also den Türöffner spielen für den Piaggio-Konzern, damit in ihrem Kielwasser demnächst auch einfacher gemachte und damit preisgünstigere Elektrorollerchen die Kassen des Konzerns füllen.

Aus technischer Sicht gibt es keinen Grund, die Vespa Elettrica nicht zu kaufen: Sie fährt so gut wie jede aktuelle Vespa, federt anständig, rollt sicher um jede Kurve und bremst souverän. Auch schlechtere Straßen absolviert sie, ohne dass ihrem Fahrer die Plomben aus den Zähnen fallen. Die runden Chrom-Spiegel ermöglichen beste Rücksicht.

Vernetzt

Das bunte TFT-Display offenbart, bestens ablesbar, alles Wissenswerte. Dass es auch des Fahrers Smartphone einzubinden vermag, garantiert MIA, die Multimedia-Plattform der Italiener. Wie sehr sich solche Anlagen und das Bestreben um mehr Aufmerksamkeit und damit ein Plus an Sicherheit im Straßenverkehr vertragen, lassen sei hier mal dahingestellt. Der Stauraum unterm Sitz ist groß genug für einen Jethelm, das Handschuhfach für ein paar Fingerlinge und das Smartphone, solange es dort lädt, denn eine USB-Buchse ist praktischerweise vorhanden. Auch Schalter und Hebel sind durchdacht platziert und lassen sich gut bedienen.

Zur schicken Schale – es gibt lediglich eine silbermetallicfarbene Einheitslackierung – addiert sich eine hochwertige LED-Beleuchtung, und zwar vorne wie hinten. Als Kontrast zum gediegen wirkenden Silber fungieren serienmäßig ein kräftiges Blau und ein nicht weniger intensives Gelb. Letztgenannte Farbe für Felgenhörner, Frontschild und Keder am Sitz ist der Elettrica 70 vorbehalten, das Blau der langsameren Vespa. Beide tragen zudem noch einen entsprechenden Farbtupfer auf ihrer Krawatte genannten Mittelbahn der Frontverkleidung.

Souverän

Ausgezeichnet gelöst haben die Entwickler den Punkt der Leistungsabforderung beim „Gasgeben“; die Kraftentfaltung erfolgt spontan, aber vollkommen gleichmäßig und ohne Ruckeln. Man kann durchaus, einen guten Gleichgewichtssinn mal vorausgesetzt, konstant mit Tempo 3 vor sich hin zuckeln, ohne dass der Antrieb irgendwie muckt. Die Beschleunigung erfolgt souverän und gleichmäßig, bis der Digitaltacho bei der Zahl 49 einfriert – schneller läuft die blaue Vespa nicht. Geht es bergauf, sinkt das Tempo. Aber immerhin macht die Vespa nicht wirklich schlapp: Das Steigvermögen geben die Italiener im Solobetrieb mit 30 Prozent an, im Soziusbetrieb mit immerhin noch 20 Prozent. Damit ist eine Vespa Elettrica auch in Stuttgart einsetzbar; die Mehrzahl der billigen Chinesen-Roller schafft das nicht.

Spaßfrei im Eco-Modus

80 Kilometer Reichweite (bei allerdings null Stopps) gibt Piaggio fürs Fahren im Power-Modus (45 km/h) für die blaue Version an, genauso viel wie für die gelbe Version. Beide Akkus sind gleich groß und mit 25 Kilogramm auch gleich schwer. Beide sind auch gleich stark (3,6 kW/4,9 PS). Die 20 km/h mehr resultieren aus geänderter Steuerungs-Software und einer geringfügig verlängerten Übersetzung. 100 Kilometer weit soll kommen, wer sich auf den Eco-Modus (30 bzw. 45 km/) beschränkt. Diese Fahrweise ist garantiert spaßfrei und gefährlich dazu, also ohne Vorteile. Denn der gebotene Radius ist angesichts der niedrigen Geschwindigkeiten der E-Vespa groß genug, die möglichen Fahrzeiten bis zum Nachladen reichen höchstens für Masochisten nicht aus.

Das Laden selbst ist einfach: Ein Ladegerät ist in die Steuerungselektronik integriert, ein Zweimeter-Spiralkabel mit Schuko-Stecker unterm Sitz stets griffbereit. Vier Stunden dauert es, bis aus „total leer“ ein „randvoll“ wird. 1000 Mal funktioniert das, sagt Piaggio, was einer Fahrtstrecke von rund 70.000 Kilometern entspreche. Denn die durchschnittliche Fahrleistung pro Tag liege irgendwo zwischen 15 und 30 Kilometern, was bei täglichem Gebrauch des Rollers das Laden alle zwei bis vier Tage erfordere. Nach hochgerechnet also etwa 12 Jahren weist der Akku noch 80 Prozent seiner Kapazität auf.

Anhalten kostet

Ein Wort noch zur Reichweite und der Frage, wie stark die Zahl der Stopps unterwegs ins Kontor schlägt: Jeweils 80 Stopps lassen sie um ein Zehntel, also um acht Kilometer, sinken. Zehnmal Anhalten und wieder losfahren kostet also so viel Strom wie ein Kilometer Fahrtstrecke. Dies gilt es zu bedenken, wenn man Aussagen zur möglichen Distanz tätigt. Freilich macht es des Weiteren einen Unterschied, wie schnell man fährt – und aus diesem Grund waren wir mit der über eine Distanz von rund 50 Kilometer gefahrenen Elettrica 70 auch mit höherem Verbrauch unterwegs als mit der Elettrica 45; bei der letztgenannten erreichten wir im Power-Modus, deutlich langsamer gefahren, 74 Kilometer bis zum „Alles aus“, bei der schnelleren Version wären es laut Bordcomputer zehn Kilometer weniger gewesen. Diese Werte sind plausibel. Während die blaue Version ihr Höchsttempo von Tacho 49 km/h leicht erreichte, tat sich die gelbe jenseits von 60 km/h schwer.

Im Energiemanagement der Vespa Elettrica ist eine zweistufige Rekuperationsmöglichkeit enthalten. Spürbare Unterschiede ließen sich während des Fahrens in der Stadt nicht feststellen. Die Einstellung erfolgt über den Bordcomputer, dessen Menü-Struktur insgesamt sinnvoll erscheint. Weil das Rekuperieren das Rückwärts-Fußeln erschwert, gibt es übrigens eine Rückfahrhilfe; sie ist auf 5 km/h limitiert.

Fest verbaute Batterie

Für 6390 Euro erhält der Käufer ein schönes, solide gemachtes Stück Technik. 300 Euro muss drauflegen, wer die Erlaubnis zum Befahren von Kraftfahrstraßen haben möchte, denn so viel kostet die Elettrica 70 mehr als das Basismodell. Als Dreingabe gibt’s dann auch noch ein Kombibremssystem, das gesetzlich vorgeschrieben ist. Konstruktiv sind die Bremsen beider Versionen fast identisch. Dass der Akku fest eingebaut und nicht zum Laden herausgenommen werden kann, dürfte bei der Vespa Elettrica kein echtes Problem darstellen: Nur ein Promillesatz der teuren Vespas muss die Nacht ohne schützendes Dach verbringen. Und wer eine Garage besitzt, hat dort meistens auch eine Steckdose.