Die Motorrad-Saisonstartartikel kommen! Deckung!

Machen Sie sich nicht fit für den Frühling

Das Frühjahr in den Motorradredaktionen triggert ein trauriges Ritual: Irgendeine arme Sau muss den Saisonstart-Artikel schreiben. Er sollte verboten werden, denn er trifft die Schwachen und ist völlig unnütz

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Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Jedes Frühjahr derselbe Mist: In allen Publikationen mit auch nur peripherem Motorradbezug erscheint der zwanghafte Saisonstart-Artikel. "Machen Sie sich fit für den Frühling!", steht dann da, oder: "Fit aufs Bike!" oder etwas düsterer auch: "Unterschätzen Sie nicht die Gefahr!", denn Sie sind über den Winter nicht nur fett geworden, sondern auch dement. Da diese Artikel eine Zeilenschinderei darstellen, die aus der Verlegenheit entsteht, dass einem wirklich nichts Besseres einfiel, und da ich bis ins Mark deutsch bin, schlage ich vor, diese Art von Artikel künftig gesetzlich zu verbieten und die Motorrad-Einmott-Artikel im Herbst gleich mit. Wir haben davon genug, dass sie uns die nächsten zehntausend Eiszeiten reichen.

Natürlich regt sich in mir als Redakteur auch Mitgefühl, wenn ich den Saisonstarter lese. Denn diese Redaktionskonferenz läuft immer nach demselben Muster: "Das Frühjahr kommt, die Saison startet, wir haben eine Entschuldigung, Platz mit einem Nichtthema zu verschwenden! Wer machts?" Und dann betretene Stille in der Runde. Jeder versucht auffällig, unauffällig zu bleiben. Schuhe schibbeln übers Linoleum. Dem Chefredakteur geht die Geduld aus, er erinnert sich, dass er weisungsbefugt ist und daran, dass sein ältester Weggefährte zwar ein ernsthaftes Alkoholproblem hat (eine Branchenkrankheit), aber ja gerade deshalb nicht Nein sagen kann, denn unterm Suff leidet nicht nur er, sondern auch seine Arbeit, und das könnte man im Falle einer Weigerung ja jetzt endlich mal auf den Tisch bringen. Der Suffti sagt Ja, damit der kranke Status Quo erhalten bleibt. Alle Anderen atmen erleichtert durch. Jetzt zu den echten Themen!

Hilft ja nix!

Was tut der arme Alkoholkranke nun? Geben wir ihm einen Namen, der lässt uns vielleicht besser mit ihm fühlen und ist kürzer zu tippen. Er heißt "Horst". Das soll Deutschlands Horste nicht dämonisieren, sondern der Name sortiert ihn nur in die wohl gefährdetste Altersgruppe der Branche. Also, nachdem alle gegangen sind, bleibt Horst noch einen Moment an der Kaffeemaschine stehen und starrt auf die graue Straße hinaus. Das hatte er sich damals, als er sich für diese Publikation an der Mechanischen die Fingerkuppen blutig tippelte, nicht eralbträumt, dass er jetzt zusammen mit der ganzen Industrie so den Bach runter geht. Aber hilft ja nix. Er atmet noch einmal tief durch, dann erfüllt er seine Pflicht, alte Soldatenseele, die er ist.

Horst ist ja, Problem hin oder her, nicht dumm. Er weiß, dass den Saisonstarter nur eine Person jemals liest: Der Chefredakteur, denn der muss es dem Gesetz nach. Sonst liest das keine Sau. Also wirft er die Phrasendreschmaschine im Kopf an, von der wir Schreiber alle leben, füllt mit Versatzstücken aus dem Textbausteinlager, aber nur so viele, dass der Chefred gerade so nichts sagen kann. Irgendwas mit Fett von Weihnachten rein, das mag der Chef fast wie das fette Essen selbst. Ein Aufruf daran, vielleicht erst auf einen Parkplatz zu gehen. Irgendwas mit dreckigen Straßen, Salzresten. Autofahrer sehen dich nicht, lieber Leser, als ob das anders wäre als im Sommer oder neu. Vorschläge für Trainings, mit den Veranstaltern, die noch Anzeigen schalten. Füllmaterial mit Vögeln drin und Asphalt, diese unverdauliche Kleie des Textens, die Seiten auf Passung füllt. Und, weil Horst nicht nur eine Soldatenseele, sondern auch ein warmes Herz hat (großer Risikomarker für Alkoholismus), wünscht er seinen Kradistenbrüdern zum Schluss eine Saison ohne Schmerzen. Text fertig.

Aus dem Archiv garniert er das zusammen mit Katja aus dem Layout mit dem Best-of-Warnweste aus dem Bilderarchiv. Ein möglichst dicker Mann posiert auf einem möglichst sein Baujahr bildlich nicht verratenden Motorrad. Vielleicht findet sich sogar eine freundlich lächelnde weibliche Warnwestenhalterung! Slalomhütchen machen sich auch immer gut, oder ein lachender Polizist. Am schönsten waren die Zeiten, als Peter Struck noch unter uns weilte, dann konnte man als Königslösung ein Foto von ihm mit lachenden Polizisten und seiner BMW nehmen. Naja, vorbei, dann halt die Warnweste auf der F 650. Dauert zehn Minuten. Bis nächstes Jahr, Katja! Den Artikel eingetütet, wartet Horst mit dem grauen Blei des Alltags auf seinem Herzen lastend, bis er sich abends dem alten Freund Alkohol ergeben kann. Natürlich verbessert der seine Dauersituation nicht. Aber ein Urlaub tut das auch nicht. Das hält trotzdem keinen ab, im Sommer für zwei Wochen nach Malle abzuhauen.

Schwächen aus dem Urlaub

Natürlich steht Horst stellvertretend für alle Arten von Redakteuren, die auf dieser Konferenz nicht schnell oder gerissen oder vorbereitet genug waren, irgendeine andere Arbeit vorzuschützen, denn jede Arbeit ist wichtiger als der Saisonstarter. Es kann daher auch ein unsortierter Träumer sein oder jemand, der gerade erholt und daher unvorbereitet aus dem Urlaub kommt und dann mit dem Saisonstart-Kanalrohr auf dem Boden der Realität zu Brei geknüppelt wird. War ich wirklich gestern noch im Urlaub? Es fühlt sich an wie zehn Jahre her!

Am tragischsten ist es, wenn die Aufgabe einem Neuling aufgedrückt wird, einem Praktikanten oder Volontär. Profis sehen sofort, wenn das der Fall war, denn es entstehen Texte, aus denen wirklich die Hoffnung spricht, dass sie jemand lesen könnte. Die Grausamkeit! Frischlinge sofort in das flüssige Blei des Saisonstarters oder Einmotters gestoßen! Kein Wunder, dass die Branche keinen Nachwuchs findet! Die Freiheit, alles beschreiben zu können, die endet hier im Zwang, sinnlos mit den Fingern zu zucken. Schickt man Neulinge im Industriedesign gleich los, geisttötend Begrenzungslinien zu entwerfen? Ich glaube nicht.

Diese Darlegungen zeigen hinlänglich, warum diese Praxis verboten werden sollte. Sie trifft die Schwachen, die Unvorbereiteten, die Kranken, die Hilfsbereiten und die Ebennochimurlaubwarer, während sich Gerissene und Privilegierte ihr stets entziehen können. Das Schlimmste ist jedoch, dass dem vom Saisonstarter verursachten Leid keinerlei Nutzen gegenübersteht. Wenn es je etwas Sinnvolles zu sagen gegeben hätte: Es wurde gesagt. Zehn Milliarden Mal. Ja, wer länger nicht Motorrad gefahren ist, fährt erst nach einiger Einübung wieder wie vorher. Wie übt er? Indem er fährt. Am besten auf einem Motorrad mit Luftdruck in den Reifen und Spannung in der Batterie. Und mit diesen Banalitäten verabschiede ich mich in den Biertümpel zu Horst. Ach ja: Ich wünsche uns allen eine tolle Sommersaison. Und im Herbst statt des (dann ja verbotenen) Einmotters eine Seite Unterhaltung, Philosophie, Wissen oder auch einfach ein schönes Bild.