Braunschweiger Projekt "Stadtpilot" treibt das autonome Fahren voran

Leonie soll 2010 am realen Verkehr teilnehmen

Das Team des Projekts "Stadtpilot" will 2010 ein autonomes Fahrzeug auf den Braunschweiger Stadtring schicken. Leonie wäre das erste selbstfahrende Auto, das im echten Verkehr mitfährt

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  • ggo
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Hannover, 20. März 2009 – Leonie ist der ganze Stolz der Forscher im Projekt „Stadtpilot“ der TU Braunschweig. Ein bisschen schrullig sieht sie schon aus mit ihrem kleinen Hut auf dem Dach. Aber spätestens wenn man die Kofferraumklappe öffnet, kann man die Begeisterung ihrer Entwickler verstehen: Jede Menge Computer und Messgeräte im Kofferraum weisen auf Leonies besondere Fähigkeiten hin. 2010 soll sie als erstes autonomes Fahrzeug in den fließenden Verkehr des Braunschweiger Stadtrings eintauchen und eine selbstständige Fahrt über elf Kilometer absolvieren – zunächst in Begleitung eines Sicherheitsfahrers. Ihren Namen hat Leonie übrigens von Heinrich dem Löwen, der bis heute das Bild der Stadt Braunschweig mitprägt. Und ein bisschen Löwenmut bräuchte Leonie auch, wenn sie wüsste, was man mit ihr vorhat.

Sensordatenfusion zur Umfelderkennung
Denn das autonome Fahren ist ein höchst komplexer Vorgang, für das ein Auto wahrnehmen, beurteilen und reagieren können muss. Verschiedene Sensoren liefern Leonie Messwerte, die von ihren Systemen ausgewertet werden und so zur Erkennung von beweglichen und statischen Objekten führen. Dazu werden die Daten der Laserscanner und Radarsysteme verschmolzen, um die jeweiligen Stärken miteinander zu verbinden und Schwächen auszugleichen – die Forscher sprechen von Sensordatenfusion.

So bieten Laserscanner zum Beispiel eine große Winkelauflösung und Messgenauigkeit. Ungünstige Witterungsbedingungen wie Nebel können die Messung jedoch empfindlich stören. Radarscanner dagegen nehmen verschiedene Materialien unterschiedlich deutlich wahr. Besonders gut erkennen sie elektrisch leitende Materialien. Allen Sensoren, die in einer bestimmten Ebene scannen, ist jedoch ein Problem gemeinsam: Wenn das Fahrzeug nickt – beispielsweise beim Bremsen – dann verändert sich auch die Sensorebene. So kann zum Beispiel eine Bodenwelle für ein statisches Hindernis gehalten werden. Das Fahrzeug versucht dieses dann womöglich auf der Gegenspur zu umfahren. Das Team vom Stadtpilotenprojekt verwendet daher Scanner, die mehrere Ebenen abtasten.

Leonie soll 2010 am realen Verkehr teilnehmen

Planen, Erkennen, Reagieren
Damit Leonie immer weiß, wo sie sich befindet, stehen ihr zudem digitale Straßenkarten zur Verfügung, sowie ein GPS zur Positionsbestimmung. Außerdem kann sie Signale empfangen, die sie beispielsweise von Ampeln erhält.

Die Planung und das Befahren der Route erfolgt in drei Stufen. Zunächst wird anhand der digitalen Straßenkarten eine optimale „Bahn“ geplant. Außerdem wird über die gesamte Stadt ein virtuelles Gitterwerk gelegt, in das statische Hindernisse mit ihren Koordinaten eingezeichnet werden. Daraus erfolgt eine erste Bahnanpassung. In der zweiten Stufe – dann ist Leonie bereits in Fahrt – werden die Objektdaten ausgewertet, die sie mit Hilfe ihrer Sensoren sammelt. Die dritte Stufe ist wohl der schwierigste Part, denn nun gilt es, bei der Erkennung von Objekten die richtigen Schlüsse zu ziehen und das Verhalten anzupassen. Leonie muss abwägen zwischen regelbasierten Entscheidungen, die vorhersehbar sind und verhaltensbasierten Entscheidungen, die flexibel und kreativ sind.

Die Vorgängerin Caroline galt übrigens als besonders kreativ, sie entschied sich auch schon mal spontan, Absperrungen zu ignorieren, da sie so eine günstigere Route einschlagen konnte. Der richtige Straßenverkehr erfordert in der Tat auch kreative Entscheidungen, die allerdings verkehrsregelkonform sein müssen. Ein Kreativitätsregler soll bei Leonie einstellen, wie stark ihre Entscheidungen regelbasiert oder verhaltensbasiert sind – das ist allerdings Zukunftsmusik.

Vom Urban Challenge zum Stadtpilot
Für das Stadtpilotprojekt und Leonie stellen sich andere Herausforderungen als der Vorgängerin Caroline, die am Urban Challenge der DARPA teilnahm. So muss sich Leonie mit ihre Geschwindigkeit dem Stadtverkehr mit 50-60 km/h anpassen, während die erlaubte Höchstgeschwindigkeit des Urban Challenge bei 30 km/h lag, was Caroline und die anderen Teilnehmer selten schafften. Auch Einfädeln in den fließenden Verkehr bei hoher Geschwindigkeit und Spurwechsel sind besondere Herausforderungen, denen sie sich nicht stellen musste. Ein weiterer Unterschied stellen die vielen verschiedenen Verkehrsteilnehmer dar – andere Autos, Motorräder, Fahrräder und Fußgänger, die keine Rücksicht auf einen Roboter nehmen werden, wie es beim Urban Challenge der Fall war.

Leonie soll 2010 am realen Verkehr teilnehmen

Außerdem mussten die Entwickler auch verkehrsregelwidriges Verhalten in ihre Überlegungen einbeziehen. Hinzu kommt, dass es sich um eine stark besiedelte Umgebung handelt – mit einer hohen GPS-Abschattung, die ein Genauigkeit auf 2 bis 3 Meter zulässt. Daher ist ein Abgleich durch Videodaten als Referenz zur Verbesserung geplant. Als zusätzliche Herausforderung haben sich die Braunschweiger noch die Parkplatzsuche und das Einparken ausgedacht. Denn die Umgebungsorientierung auf einem Parkplatz mit unstrukturierter Fläche stellt nochmals andere Anforderungen als das Bewegen im fließenden Verkehr.

Die Ziele
Das interdisziplinäres Team aus dem Stadtpilotenprojekt setzt sich aus dem Institut für Regelungstechnik, dem Institut für Flugführung und dem Institut für Betriebssysteme und Rechnerverbund der TU Braunschweig zusammen und arbeitet am Niedersächsischen Forschungszentrum Fahrzeugtechnik (NFF) auf dem MobilLife Campus in Wolfsburg. Das Projekt Stadtpilot ist als langfristiges Forschungsvorhaben geplant, dass einen echten Nutzen für zukünftige Serienfahrzeuge haben soll. Trotz der schwierigen Rechtslage ist eine Straßenzulassung für Leonie wichtiger Bestandteil des Projekts – auch das ist ein großer Unterschied zum Urban Challenge. Das bedeutet zum Beispiel auch, dass die Fahrzeugkonturen des Passat Variant beibehalten werden müssen.

Derzeit bedarf es noch mehrerer Ingenieure, um Leonie zu bedienen, vom autonomen Fahren ist sie also noch weit entfernt. Vor der CeBit wurden Leonie die Augen geöffnet – die Laserscanner und Radarsystem installiert, die Videokameras fehlen allerdings noch. Als nächste Aufgabe steht der Umbau der Querlenkung an, damit Leonie selbst steuern kann. Danach ist eine neue Zulassung für das Fahrzeug notwendig. Bis 2010 wollen die Beteiligten so weit sein, dass Leonie selbständig fahren kann, hofft Sebastian Ohl, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Regelungstechnik an der TU Braunschweig – „ein ehrgeiziger Zeitplan der uns hilft, das Projekt konzentriert voranzutreiben“. (Anika Benz-Jaeschke)