Porsche 917: Das schwäbische Manifest

Lufthoheit

Selbst in einer Historie, die so reich an Höhepunkten ist wie die von Porsche, sticht der 917 heraus wie ein Blitz in einer Sommernacht. Eine Legende, ein Wahnsinn – und doch das Ergebnis von schaffe, schaffe, Karre baue

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Von
  • Bernd Kirchhahn
Inhaltsverzeichnis

Wien, 27. Oktober 2015 – Selbst in einer Historie, die so reich an Höhepunkten ist wie die von Porsche, sticht der 917 heraus wie ein Blitz in einer Sommernacht. Eine Legende, ein Wahnsinn – und doch das Ergebnis von schaffe, schaffe, Karre baue.

Hans Mezger ist Deutscher. Nicht irgendein Deutscher, ein Schwabe. Außerdem Ingenieur und ehemaliger Chef der Porsche-Motorsportabteilung. Da gibt es nur einen Weg: weiter, immer weiter. Das Jahr 1967 war sein Schicksalsjahr, sein Wegweiser für die Zukunft. Denn Porsche hatte zu diesem Zeitpunkt schon jede Trophäe im Schrank, die es sich lohnt zu lagern. Kein Wunder. Anfang der 1960er entstand in der Rennsportabteilung ein nagelneuer Achtzylinder und bei den Serienfahrzeugen wurde ein Sechszylinder entwickelt, der das Fundament für die spätere 911er Legende legen sollte. Beide Aggregate wurden in diversen Rennen eingesetzt. Fertig war die Dominanz. Allein ein Sieg bei LeMans und der Weltmeistertitel auf der Langstrecke fehlten noch im Pokalschrank.

Um eben diese Titel ins Schwabenland zu holen entwickelten Mezger und sein Team den Porsche 908. Eine Viernockenwellenversion des 911er-Motors wurde schlichtweg um zwei Zylinder verlängert. Das Ergebnis war ein Achtzylinder-Boxer, der in den kommenden Jahren kräftig abräumen sollte. Allerdings nur in der Sportwagen-Weltmeisterschaft.

Der Langstreckenachtzylinder: von der FIA versenkt

Eigentlich hätte der Wagen auch auf der Langstrecke die begehrten Titel holen sollen. Ganz uneigentlich feuerte die FIA einige Regeländerungen ab und versenkte damit dieses Vorhaben. Die Homologationsmenge von 50 Stück für Fahrzeuge mit fünf Litern Hubraum wurde im Jahr 1968 auf 25 herabgesetzt. Die FIA wollte damit die Hürde für den Einstieg absenken. Porsche befürchtete eine völlig neue Konkurrenzsituation. Ihr Dreiliter-Wagen hätte gegen einen Fünfliter-Renner kaum Land gesehen.

Mezger tat das einzig Richtige und schlachtete jede heilige Kuh, die er im Forschungs-Stall finden konnte. Zum einen machte er sich an die Entwicklung noch bevor eine Entscheidung vom Vorstand kam, zum anderen fing er am Reißbrett an. Einen Achtzylinder verlängern oder zwei Sechszylinder aneinanderreihen kam nicht in Frage. Etwas Neues musste her.

Zwölf Zylinder mit 4,5 Litern Hubraum! 180-Grad-V-Bauweise! Mittelabtrieb! Bäm. Bäm. Bäm. Das ganze Aggregat war ein Husarenstück. Die Hälfte an Hubzapfen optimiert den mechanischen Wirkungsgrad, senkt die Antriebsleistung für die Ölversorgung und zudem fällt der Motor dadurch kompakter aus. Die Kraft in der Mitte abzunehmen, statt am Kurbelwellenende minimiert die Schwingungsbelastung. Zum ersten Mal überhaupt wurden im Motorsport außerdem Laufbuchsen aus Nikasil und Pleuel aus Titan verwendet.

Während also namhafte Hersteller aus England und Italien nur Zwölfzylinder fertigen konnten, die an jeder roten Ampel einen Service brauchten, experimentierte man bei Porsche mit völlig neuen Materialien und Bauweisen und stellte trotzdem einen Motor auf die Beine, der auf dem Prüfstand zwanzig Stunden problemlos unter Volllast lief. Und das mit der traditionellen Luftkühlung! Diese Kuh hat Mezger dann doch nicht geschlachtet.

Ein Problem gab es allerdings noch: die Zeit. Die ersten Zeichnungen und Ideen stammen aus dem Frühjahr 1968. Die Homologationsfahrzeuge mussten allerdings schon am 21. April 1969 präsentiert werden. Ferdinand Piëch, der zu diesem Zeitpunkt Entwicklungschef war, nannte diesen Tag einmal „das größte Risiko meines Lebens“. Kein Wunder. Die ursprüngliche Präsentation hätte am 20. März 1969 stattfinden sollen. Weil die FIA aber fertige Autos sehen wollte, musste der Termin verschoben werden. Gerüchtehalber waren unter manchen Karosserien nicht mal Motoren, der eine oder andere Bremsklotz soll aus Holz gewesen sein und in einigen Exemplaren sollen Traktoren-Getriebe verbaut worden sein. Für die Inspektoren der FIA wurden nur einige ausgewählte Modelle überhaupt gestartet. Immerhin: es reichte.

In Lebensgröße problematische Aerodynamik

Porsche ging mit seiner neuen Wunderwaffe 1969 bei LeMans an den Start. Hier regierte seit 1966 General Caroll Shelby mit seiner Ford GT40 Armada. Um es vorweg zu nehmen: in diesem Jahr setzten sich die Amerikaner zum vierten Mal in Folge durch. Der Porsche 917 hatte mit Aerodynamik-Problemen zu kämpfen, die in den wenigen Praxistests vor dem Rennen nicht zu beheben waren. Zwar war das 1:5-Modell äußerst windschlüpfig, doch konnten die guten Werte nicht auf die lebensgroße Version übertragen werden.

Unter den Werksfahrern galt der 917 als unfahrbar. Was wohl auch der hauseigenen Konkurrenz geschuldet war – schließlich stand der ausgereifte 908 als Alternative in der Garage. Das einzige Fahrzeug, das in Le Mans dem GT40 etwas entgegen zu setzen hatte, während die 917 mit mehr oder weniger ernsten Problemen zu kämpfen hatten (schleifende Kupplung, Ölverlust, durchgebrochenes Getriebegehäuse). Dazu kam eine Tragödie, die bis heute einen Schatten auf den 917 wirft. Bereits in der ersten Runde des Rennens starb John Woolfe, Besitzer und Fahrer eines britischen Rennstalls. Er kam mit seinen linken Rädern aufs Gras an der Maison Blanche und wurde in die Leitplanke geschleudert. Dabei barst der Tank seines 917 und das Wrack ging in Flammen auf. Woolfe war sofort tot.

Der erste Le Mans-Versuch war eine Katastrophe. Der Wendepunkt sollte im August 1969 kommen. Mit einem Sieg beim 1000-Kilometer-Rennen in Österreich verbesserte sich das Image des Fahrzeugs und dank der Arbeit und Erfahrung des Gulf-Teams, die den Wagen ebenfalls einsetzten, bekam man auch die Aerodynamik in den Griff.

Als 1970 der Saisonhöhepunkt an der Sarthe anstand, hatte der Porsche 917 eine Saison hinter sich, in der die Konkurrenz bis auf die Knochen blamiert worden war. Doch nicht einmal das war den Schwaben genug. In Le Mans sollte es diesmal historisch werden. Zum einen bestieg Steve McQueen höchstpersönlich einen 917, um während des Rennens seinen Film „Le Mans“ zu drehen, zum anderen holte die Marke endlich den langersehnten Triumph beim Prestigerennen.

Doch Hans Mezger hatte nicht genug. Berühmt wurde das Folgerennen 1971 für die purzelnden Rekorde. Jackie Oliver fuhr auf einem 917 die schnellste Rennrunde (3:18,4), was einer Durchschnittgeschwindigkeit von 244,387 Stundenkilometern entsprach. Die Langheckversion des 917 stellte mit 387 Stundenkilometern außerdem einen Rekord für höchste Geschwindigkeit auf der Mulsanne-Geraden auf. Dazu kam eine Rekorddistanz von 5335 Kilometern über die gesamte Renndauer. Bestzeiten und -geschwindigkeiten, die über drei Jahrzehnte hielten. Auch und vor allem, weil die Mulsanne-Gerade durch eine Schikane entschärft wurde – was aber die Leistung des Porsche-Teams nicht schmälern soll.

Aufgepumpte Rahmenrohre

Hinter diesen Rekorden steckte nämlich eine Neuerung, die im Feuerwerk der Bestzeiten unterging. Das Siegerauto hatte keinen Aluminiumrohrrahmen mehr, sondern einen Magnesiumrohrrahmen. Das war zumindest hausintern eine kleine Revolution. Denn es war schwer genug den Aluminiumrohrrahmen zuverlässig und sauber verarbeitet fertig zu kriegen. Piëch hatte, um die Mitarbeiter zu kontrollieren, Luft in die Röhren gepumpt (4 bar). Über ein Ventil wurde der Druck regelmäßig kontrolliert. Abfallender Druck hätte bedeutet, dass wegen schlampiger Schweißnähte Haarrisse aufgetreten waren.

Diese Perfektion sollte jetzt durch Magnesium noch überboten werden. Doch für den Umgang mit diesem Material gab es keinerlei Erfahrungswerte. Mezger zog seinen Plan durch. Zumindest ein Drittel davon. Denn zunächst sollten alle drei Varianten des Porsche 917 (Kurzheck, Langheck und 917/20) mit einem Magnesiumrohrrahmen ausgestattet werden. Die ersten Testfahrten waren ernüchternd:

168 km: Anlenkpunkt gerissen
267 km: vorderer, linker Aufnahmepunkt herausgebrochen
489 km: Anlenkpunkt hinten gebrochen, Brüche im Achsbereich und an der Motorlagerung
666 km: Getriebeschaden, Rahmenrisse
789 km: Radaufhängung gebrochen
Test abgebrochen.

Also konzentrierte Mezger sich auf eine einzige Kurzheck-Variante, die extra für Le Mans 1971 neu aufgebaut wurde. Das Fahrzeug geriet so leicht, dass extra ein 55-Liter fassender Motorölbehälter verbaut werden musste, um den Wagen überhaupt auf die erforderlichen 800 Kilogramm zu bringen. Der Rest ist eine einzige Rekordfahrt.

Doch durch die Dominanz von Porsche hatte die Rennserie ihren Reiz verloren, was die FIA 1971 zu neuen Regeländerungen motivierte. Die Schwaben mögen sich geärgert haben, wechselten kurzerhand einfach in die amerikanische Can-Am-Serie. Hier stieß die Marke in neue Leistungsregionen vor.

Die Konkurrenz trat hier mit großvolumigen, hochgezüchteten V8-Boliden an. Aus wassergekühlten neun Litern Hubraum gewannen sie immerhin hohe dreistellige PS-Zahlen. Das Reglement war eher locker. Jetzt zeigte sich, was für ein Wunderwerk Mezger tatsächlich geschaffen hatte. Mit veränderten Einlassnocken, einem auf 5,4-Liter vergrößertem Hubraum und einer verringerten Verdichtung (6,5 statt 10,5) zeigte sich der Motor auf die PS-Orgien vorbereitet. Dank Turboaufladung lagen plötzlich 1100 PS an und das funktionierte immer noch mit Luftkühlung. Das Kühlluftgebläse musste nun zwar 3100 Liter Luft pro Sekunde durch die Kühlrippen jagen, um den Motor ruhig zu halten. Aber den interessierte das nicht. Der arbeitete. Auch der Leistungs-Peak von 1400 PS wurde problemlos weggesteckt.

Schuld waren die Schwaben – oder der Nahe Osten

In den Jahren 1972 und 1973 dominierte Porsche die Can-Am-Serie. Die Regeländerungen, die 1973 kamen, schreibt die Marke gerne seiner Überlegenheit zu. Die Amerikaner wollten angeblich die europäische Konkurrenz ausbremsen. Das könnte stimmen. Es könnte aber auch stimmen, dass die Ölkrise etwas damit zu tun hatte, die damals das Denken rund um die Mobilität drastisch änderte. Was zumindest die Erklärung der Amerikaner ist. Doch Porsche zog seine Lehren aus den aufgeladenen Jahren und präsentierte 1974 den Porsche 911 Turbo. Bitte. Danke.