Test: Volvo V90 D4 AWD

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Wann wird sich das wohl ändern? Volvo war in den vergangenen Jahren vor allem mit dem SUV XC60 in Europa erfolgreich, doch sicher geht es nicht nur mir so, dass vor meinem Auge bei Nennung der Marke Volvo in erster Linie Kombis auftauchen. Und zwar solche, die den damit verbundenen Anspruch ernsthafter erfüllt haben als es der noch aktuelle V60 tut, dem die Schweden nur eine kleine Ablage anstelle eines Kofferraums mit auf den Weg gaben. Das ist beim V90 grundlegend anders. Er markiert, wie zuvor schon der neue XC90, eine Zeitenwende bei der Marke, die inzwischen der chinesischen Firma Geely gehört. Die neuen Eigentümer ließen den Schweden sehr viele Freiheiten, was sich im Test eines Volvo V90 D4 AWD grundsätzlich als gute Idee erwies. An einigen Stellen bedeutet der große Schritt in die Moderne aber keine Verbesserung. Nicht komplett unschuldig an diesem Eindruck sind Erwartungen, die Volvo selbst weckt – über die Preisliste.

Länger als der Vorgänger

Die äußere Gestaltung entspricht der aktuellen Designlinie der Marke. Damit verbunden ist eine schrägstehende Heckscheibe, über die sich einige ärgern werden, die ihren Kombi öfter mal bis unter das Dach vollladen. Mit dem kantigen Design des Vorgängers hat das nichts mehr zu tun. Mit einer Tiefe von 115 cm, einer minimalen Breite zwischen den Radhäusern von 108 cm und einer Höhe unter dem Rollo von 44 cm bietet der V90 aber in diesem Abteil ordentlich Platz. Ein Regal, verpackt rund 2,20 m lang, passte locker in den Kofferraum. Volvo gibt 560 bis 1526 Liter an, im rund 12 cm kürzeren Vorgänger wurden 575 bis 1600 Liter versprochen.

Wer hier nun einen Rückschritt vermutet, liegt nur zum Teil richtig. Die zusätzlichen Zentimeter wurden in einen längeren Radstand investiert, was deutlich zu merken ist: Der V90 bietet mehr Platz für die Reisegruppe als sein Vorgänger, was besonders hinten spürbar ist. Als Reiseauto eignet sich der Schwede aber nicht nur deshalb ausgezeichnet. Die Sitze empfanden alle, die mit dem Wagen unterwegs waren, als überaus bequem. Sie sind nicht nur üppig dimensioniert, sondern auch vielfältig verstellbar. In der teuren Ausstattungslinie „Inscription“ sind sie mit dem derzeit wohl weichsten Leder bezogen, das diesseits der automobilen Upperclass vernäht wird. Haptisch ist das ebenso ein Genuss wie das feine Rollo vor der Mittelarmlehne, was aus echtem Metall gefertigt wurde.

Akkurat verarbeitet

Die Verarbeitung im Innenraum steht den vielmals so titulierten „Premiummarken“ aus Süddeutschland in nichts nach. Die Interieurleisten sind sauber eingepasst, die Nähte an den Sitzen gerade. Von dem, was wir kürzlich in einem Jaguar F-Pace gesehen haben, ist dieser Volvo weiter entfernt als Peking von Torslanda, wo der V90 gebaut wird.

Der Testwagen war mit der 900 Euro teuren Akustikverglasung ausgestattet. Welchen Anteil sie an der guten Dämmung hatte, lässt sich ohne Vergleich schlecht sagen, aber der Antriebsstrang drängt sich akustisch nur dann in den Vordergrund, wenn er kalt ist oder ihm Dynamik abverlangt wird. Windgeräusche bleiben auch bei 160 km/h relativ leise. Das ist bemerkenswert, denn beim Ablichten haben wir festgestellt, dass beim Testwagen alle vier Türen nicht bündig schlossen.

Schiebedach: Nicht viel zu sehen

Unser V90 war mit einem großen Schiebedach ausgestattet. Ich gestehe an dieser Stelle, ich bin Fan von solchen Öffnungen. In meinem alten Dreier saß man, gerade als Mensch mit langen Beinen, direkt unter dem Durchbruch. Im V90 fängt das Dach dagegen erst über dem Kopf an. Egal wie ich den Sitz eingestellt habe, von der Öffnung da oben habe ich nicht viel mitbekommen. Die Hinterbänkler freuts, doch Fahrer und Beifahrer haben von dem Dach leider nicht viel. Dieses Problem hat der Volvo keinesfalls exklusiv, vielmehr ist das in vielen Autos inzwischen so. Ganz nebenbei gab es noch einen interessanten Bug: Im Infotainmentsystem lässt sich einstellen, dass die Sonnenblende bei Hitze das Rolle des Schiebedachs automatisch schließt. Das tat es allerdings auch, wenn die Funktion deaktiviert wurde.

Infotainment: Der Wunsch nach einem Schraubenzieher

Das sind allerdings Peanuts im Vergleich zu dem, was das Infotainmentsystem sonst so zu bieten hat. Der Vorgänger war in diesem Bereich vielleicht nicht gerade ein Vorreiter, aber zumindest die Grundfunktionen ließen sich schnell und ohne Handbuch bedienen. Beim Nachfolger hat Volvo versucht, mehrere Schritte auf einmal zu machen. Die Bedienung von nahezu allen Funktionen wurde auf einen Touchscreen verlegt. Ich hatte zwischendurch das Bedürfnis, einen stabilen Schraubenzieher in das Display zu stecken – aber der Reihe nach. Volvo hat sich viel Mühe gegeben, Funktionen in Untermenüs zu verstecken, was leider auch erfolgreich war. So stecken beispielsweise die Klangregelungen in verschiedenen Menüs. Der Mensch ist bekanntermaßen ein Gewohnheitstier, doch es gibt Macken, die dauerhaft nerven - insbesondere zählen jene dazu, die sich gefühlt recht einfach vermeiden ließen.

Das Riesendisplay reagiert leider nicht immer spontan auf Eingaben und ist bei Sonnenlicht durch die unvermeidlichen Fingerspuren auch noch schlecht abzulesen. Dazu stellt sich die Frage, warum ein 22-cm-Display mit zum Teil sehr kleinen Bedienflächen ausgestattet werden muss. Dazu zählen die Auswahltasten im Navi und die Bibliothek in der Musikabteilung.

Beim Display als Ersatz für ein klassisches Kombiinstrument fiel auf, dass es bei direktem Sonnenlicht schlecht ablesbar ist und die Möglichkeiten, es selbst zu gestalten, doch arg begrenzt sind. Manch einer hätte sich gewünscht, Teile der sehr umfangreichen Bordcomputer-Anzeigen dauerhaft einblenden zu können. Falls es einen Weg dahin geben sollte, haben wir ihn nicht gefunden.

Den Vogel abgeschossen hat aber die Musikabteilung. Ordnerstrukturen auf einem USB-Stick werden nicht erkannt, Playlisten, die mit dem Windows-Mediaplayer erstellt wurden, auch nicht. Stattdessen listet das System alle Musikstücke von einem USB-Stick alphabetisch auf. Wählt man dann die Shuffle-Funktion, hört man mitunter verborgene und manchmal auch völlig zu recht vergessene Schätzchen der eigenen Sammlung. Da das zwar mal ganz lustig, auf Dauer aber keine Lösung sein kann, gibt es eine andere Möglichkeit, dem System die eigene Ordnung nahezubringen: Die Playlisten müssen mit dem Programm MP3tag erstellt werden – ein Tipp aus einem Forum, nicht etwa aus der Anleitung. Die Dateiendung ist identisch mit der von Playlisten, die im Mediaplayer erstellt werden.

Guter Klang

Im V70 haben wir den Klang sehr gelobt – die Anlage dort gehörte zweifellos zu denen, die ein fantastisches Preis-Klang-Verhältnis boten. Im V90 wurde der Zulieferer gewechselt. Die Topanlage kommt nun von Bowers & Wilkins und klingt immer noch sehr gut, wenn sie mir auch nicht mehr ganz so hinreißend vorkam. Klagen auf hohem Niveau, keine Frage, doch selbst in der teuersten Ausstattungslinie kostet das große Infotainmentsystem im "Business-Paket PRO" 5450 Euro. Dafür darf man mehr erwarten. Ganz nebenbei: Dass ein Hersteller die verkorkste Unterbringung des CD-Players im Handschuhfach in diversen Volkswagenmodellen noch einmal unterbietet, hätte ich kaum für möglich gehalten. Volvo hat ihn ganz nach hinten unter die Armlehne verfrachtet. Unabhängig davon, was man von CDs im Auto hält: Wer so etwas anbietet, noch dazu gegen Aufpreis, sollte auch sicherstellen, dass es sich ohne Verrenkungen nutzen lässt. Das ist hier ausgeschlossen.

Leistung und Leergewicht

Der D4-Diesel entspricht der in diesem Segment häufig gewählten Leistungsklasse. Ähnlich große BMW und Mercedes werden häufig mit Diesel verkauft, die ähnliche Werte haben. 190 PS und 400 Nm sind so wenig nicht, auch wenn sie im Falle des Volvo V90 D4 AWD immerhin 1913 Kilogramm bewegen müssen, wobei 45 Kilogramm davon auf den empfehlenswerten Allradantrieb entfallen. Die Leistung im D4 reicht jederzeit aus, auch für Überholmanöver auf der Landstraße. Sie müssen eben etwas besser geplant werden als mit den stärkeren Motoren. Einen Dynamiker wird in dieser Gewichts-Leistungs-Kombination niemand ernsthaft erwarten, doch mit dem gebotenen Temperament lässt sich gut leben. Auch die Laufkultur ist in Ordnung, zumal bei Volvo auch für viel Geld nicht mehr als ein Vierzylinder geboten wird.

Etwas erstaunt waren wir vom teilweise etwas harschen Gangwechsel, der deutlich spürbar ist. Sie stören den Komforteindruck eines entspannenden Gleiters empfindlich. Ein klassische Wandlerautomatik sollte das unauffälliger hinbekommen. Im Vorgänger ist uns das in dieser Form nicht aufgefallen.

Eco bevorzugt

Über einen Wahlschalter lassen sich einige Parameter einstellen, darunter, wie flink das Getriebe die Gänge wechselt oder wie sensibel das Gaspedal reagiert. In den Tiefen der Menüstruktur lässt sich sogar festlegen, mit welchem der drei Modi gestartet werden soll. In der Eco-Einstellung kann der Volvo auch segeln, was seinem Naturell am ehesten entspricht. Mir gefiel diese Gangart am besten, über Landstraßen brachte sie Verbrauchswerte knapp oberhalb von 6 Litern. Dazu passt dann auch die angenehme Federung, die zwar nicht die Güte der aktuellen Mercedes E-Klasse erreicht, aber frei von jenen Härten ist, die in dieser Klasse oftmals eine Dynamik vortäuscht, der schon das Gewicht im Wege steht. Wer versucht, den Volvo flott um die Ecken zu treiben, merkt schnell, dass dies seine Sache nicht ist. Der V90 ist ein schwerer Kombi und macht daraus auch kein Geheimnis.

Den Gegenentwurf zum Gleiten sollte eigentlich mein Kollege Christian beisteuern, doch nach zwei Tagen kam er ins Büro und berichtete, dass der Versuch, auf der Autobahn sein übliches Tempo anzuschlagen, an Verkehr und Baustellen gescheitert ist. Trotz seines Experiments, „dynamisch 80 zu fahren“ kam auch er nur auf nachgetankte 7,6 Liter. Ich bitte hiermit vielmals um Entschuldigung, aber wir können für eine Angabe des Maximalverbrauchs nicht mehr als Werte des Bordcomputers liefern. Dort schafften wir es mit einigen Mühen maximal auf 8,9 Liter – sicher lassen sich auch höhere Werte problemlos hinbekommen.

NOx-Kat

Bei der Stickoxid-Nachbehandlung gehen BMW und Mercedes in dieser Klasse den Weg des derzeit maximal Möglichen. Sie kombinieren einen NOx-Speicherkat mit einem SCR-Kat. Volvo verbaut nur den vergleichsweise günstigen Speicherkat. Das muss zwar nicht zwangsläufig schlechter sein, doch in Tests fällt immer mal wieder auf, dass die Form der Nachbehandlung abseits von Prüfständen hohe Abweichungen von den Grenzwerten mit sich bringt. Spätestens dann, wenn mit der Abgasnorm 6d-Temp im RDE nur eine Abweichung von 2,1 erlaubt ist, dürfte vielerorts mit dem Versuch Schluss sein, den Diesel nur über einen Speicherkat weniger dreckig zu machen. Dass Hersteller, die aktuell auf die günstige Lösung setzen, dem Selbstzünder und auch sich selbst mittelfristig keinen Gefallen tun, dürfte klar sein.

Auf Höhe der Konkurrenz

Volvo versteht sich selbst als Premiummarke und unterstreicht das durch ein gehobenes Preisniveau. Der sehr gut ausgestattete Testwagen kam auf einen Listenpreis von 78.850 Euro. Darin enthalten waren eine Reihe von Zusatzausstattungen, die ganz schön tapfer kalkuliert wurden. Ein Beispiel ist das Laderaumpaket: Ein paar Haken, ein Netz, E-Motoren zum Umlegen für die Rücksitze, eine 12-Volt-Steckdose und ein schlüsselloses Zugangssystem kosten 1250 Euro. Im Xenium-Paket sind das große Glasdach, Head-up-Display und ein paar Kleinigkeiten für 2850 Euro zusammengefasst. Volvo hat also nicht nur Einstiegspreise auf Höhe der Konkurrenz, sondern langt auch bei einigen Extras richtig zu. Bei allem Charme, den der V90 trotz seiner Schwächen verströmt, bleibt er von der angestrebten Perfektion der ähnlich teuren Konkurrenz an ein paar Stellen zurück. Aber vielleicht macht ihn das in den Augen der anvisierten Kundschaft noch attraktiver. Eine Bereicherung des Angebots um eine interessante Alternative ist der große Volvo auf jeden Fall.

Kosten für die Überführung wurden vom Hersteller übernommen, jene für den Kraftstoff vom Fahrer.