Chemische Vergangenheitsbewältigung

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Zudem hat der Tierschutz durchaus Eingang in das mehrere tausend Seiten starke Regelwerk gefunden. So heißt es in Artikel 25: „Um Tierversuche zu vermeiden, dürfen Wirbeltierversuche für die Zwecke dieser Verordnung nur als letztes Mittel durchgeführt werden. Außerdem ist es erforderlich, Maßnahmen zur Begrenzung der Mehrfachdurchführung anderer Versuche zu ergreifen.” Tatsächlich sind Hersteller verpflichtet, bei Konkurrenten Informationen einzuholen, ob diese bereits Tests mit Wirbeltieren durchgeführt haben. Falls ja, dürfen die nicht wiederholt werden.

„Die Industrie muss jetzt alles, was sie weiß, auf den Tisch legen”, sagt Ursula Sauer von der Akademie für Tierschutz des Deutschen Tierschutzbundes. Sie wertet REACH denn auch als „Teilerfolg”. Dennoch ist die Verordnung in ihren Augen hinter den Möglichkeiten zurückgeblieben. So habe das Europäische Zentrum für die Validierung von Alternativmethoden der EU-Kommission zwar 2006 eine Teststrategie zur Reproduktionstoxikologie vorgelegt, die die Zahl der Versuchstiere halbieren würde. Gerade die Reproduktionstoxikologie, bei der Schädigungen der Fortpflanzungsorgane untersucht werden, ist eins der besonders heißen Eisen, seit entdeckt wurde, dass etwa weibliche Meeresschnecken unter Einfluss der Chemikalie TBT Penisse ausbilden. „Die Aufnahme dieser Teststrategie ist aber im Umweltausschuss des EU-Parlaments mit einer Stimme Mehrheit abgelehnt worden”, berichtet Sauer.

Ihr Fazit: „Das, was in REACH drinsteht, gibt nicht den Stand der Forschung wieder, um Tierversuche zu vermeiden.” Der Widerstand komme dabei häufig genug von Behörden, deren Vertreter mitunter aus reiner Gewohnheit auf Tierversuchen beharrten, und nicht so sehr von der Industrie. Denn die hat längst erkannt, dass sich Tests in der Zellkultur (in vitro) rechnen. „Tierversuche sind extrem teuer”, sagt VCI-Sprecher Manfred Ritz. „Die Unternehmen sind froh über jeden Versuch, den sie nicht machen müssen.“

Das Sparpotenzial lässt sich etwa an Untersuchungen zeigen, bei denen geprüft wird, ob ein bestimmter Stoff Augenreizungen hervorruft. Der gängige Tierversuch ist der Draize-Test, bei denen Kaninchen im Labor die Substanz in die Augen geträufelt wird. Anschließend beobachtet man die Reaktionen an den Schleimhäuten, die – im Falle einer tatsächlichen Schädigung – selbst Hartgesottene nachdenklich machen können. Mit dem am BfR entwickelten Het-Cam-Test lassen sich dieselben Erkenntnisse inzwischen ebenso gut in der Petrischale gewinnen. Als Testgewebe dient die so genannte Chorion-Allantois-Membran eines Hühnereis. Abgesehen von dem Leid, dass den Kaninchen erspart bleibt: Das Verfahren liefert in 15 Minuten ein Ergebnis. Das Laborpersonal kann bis zu 30 Tests an einem Arbeitstag durchführen.