Das Web sind wir

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Wer mit einer Person ins Geschäft kommen will, schickt diese Bitte auf eine Hand-zu-Hand-Reise, die maximal bis zum vierten Bekanntschaftsgrad reichen darf. Sämtliche Personen, welche die Verbindungskette zwischen den potenziellen Geschäftspartnern bilden, können diese erste Anfrage einsehen, mit Anmerkungen anreichern und schließlich weiterreichen – oder eben auch nicht. Die Freunde und Bekannten dienen gleichsam als menschliche Spamfilter und schirmen die Zielperson vor nervigen Bittstellern ab.

NEUE OFFENHEIT

Guericke glaubt, gerade höhere Manager verließen fluchtartig eine Netzplattform, wenn sie mit Anfragen überschüttet werden: "In jedem System gibt es mehr Personen, die etwas verkaufen wollen und wesentlich weniger Käufer. Schafft man es nicht, das auszubalancieren, fliehen die Käufer, und das Netzwerk verliert an Wert."

Der in Hamburg ansässige Open Business Club (OpenBC) verfolgt eine diametral entgegengesetzte Strategie. "Wir sind davon überzeugt, dass die Zukunft in offenen Netzen liegt", sagt Gründer Lars Hinrichs: "Der Nutzer sollte entscheiden, wie er mit dem System umgeht." In den Standardeinstellungen offeriert jeder OpenBC-User auf einer Art Steckbriefseite seinen Lebenslauf, preist seine beruflichen Kenntnisse an und präsentiert vor allem seine Kontakte innerhalb der Gemeinschaft. Allerdings lässt sich die Offenheit der Persönlichkeitssphäre stufenweise einschränken. Auch dieses Club-Modell scheint zu funktionieren.

Sieht also so die Web-Welt des 21. Jahrhunderts aus? Wir teilen der ganzen Welt unsere Gedanken und Ideen mit (Blogs), präsentieren Bilder aus unserem Leben (Flickr), vermelden der Menschheit, was wir gerade lesen (Del.icio.us) und öffnen sogar für jedermann unser Adressbuch (Open BC)? Loïc Le Meur, Europachef von Six Apart, spricht von "Open Sourcing yourself". Le Meur meint damit eine Gegenbewegung zur Geheimniskrämerei: "Es geht um Offenheit, Transparenz, Klarheit. Es geht darum, die Open-Source-Idee auf die Geschäftswelt auszudehnen."

Die Zukunft der neuen Netzwerke wird sich freilich daran entscheiden, ob es ihnen jemals gelingt, Geld zu verdienen. Da etwa LinkedIn keinen Mitgliedsbeitrag verlangt, muss sich der Dienst über Anzeigen finanzieren. Ob das funktioniert, weiß heute noch niemand. Andere, wie PR-Mann Klaus Eck, relativieren den tatsächlichen Nutzen der neuen Web-Netzwerke. Zwar habe er schon einige "substanzielle Kontakte" durch seine OpenBC-Mitgliedschaft aufbauen können, aber durch sein Blog hätte er "zehnmal mehr Netzwerkeffekte gespürt als durch OpenBC". Die Businessbörsen würden sich weniger zur Anbahnung und Vertiefung von Kontakten eignen als zur Pflege bestehender Netzwerke, glaubt Eck.

Also alles doch nur ein Hype? Vor einigen Jahren weckten so genannte Peer-to-Peer- Netzwerke die Fantasie von Visionären und Analysten. Es ging um File-Sharing, um dezentralen, gleichberechtigten Daten- austausch zwischen Computern. Netzwerke wie Freenet zielten ab auf völlig anonymisierte, vor Zensur geschützte Kommunikation. Die Musikindustrie klagte die Peer-to-Peer- Tauschbörsen schließlich in Grund und Boden. Was blieb, war nicht die hochfliegende, revolutionäre Vision, sondern Technologien des verteilten Speicherns, wie sie von BitTorrent oder dem Internet Archive erfolgreich genutzt werden.

Werden auch vom Social-Software-Boom bloß ein paar neue Kommunikationstools übrig bleiben? Zwei starke Argumente sprechen dagegen. Der eine ist die massenhafte Verbreitung von Breitband-Internetzugängen, die letztlich erst effiziente Formen der Interaktion zwischen vielen Menschen im Netz möglich macht. Mobiles Breitband-Internet wird Dienste wie Flickr weiter beflügeln.

Das andere, vielleicht sogar das letztlich entscheidende, sind die Bedürfnisse der Menschen. In einer von zunehmendem Wettbewerb geprägten Wissensgesellschaft zählen nützliche Kontakte und persönliche, vertrauensvolle Beziehungen mehr als abgehobene Visionen von Virtualität und wechselnden Cyber-Identitäten.