Das öffentliche Automobil

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Flankiert werden diese Maßnahmen durch die Ausweitung der Modellpalette nach unten: Laut der Unternehmensberatung Frost & Sullivan werden in den nächsten drei Jahren 60 neue Miniwägelchen von insgesamt 30 Herstellern auf den Markt kommen, mehr als 75 Prozent davon als Elektroautos. "Das Marktsegment dürfte sich zu einem der stärksten Umsatzgeneratoren entwickeln", prophezeit Frost & Sullivan, die Verkaufszahlen würden sich allein in Europa in den nächsten Jahren versiebenfachen. Unter den Anbietern befinden sich nicht nur Exoten wie Mega oder Ligier, sondern auch sieben der zehn größten Automobilkonzerne der Welt. Renault etwa geht 2012 mit seinem Twizy an den Start – eine Art überdachter elektrischer Motorroller, bei dem die beiden Insassen hintereinander sitzen und Türen nur als Zubehör zu haben sind.

Verglichen mit den Umwälzungen, die durch Elektromobilität auf Kunden und Hersteller zurollen, ist die Wegrationalisierung von Türen noch eine vergleichsweise oberflächliche Maßnahme. Denn der E-Antrieb ist nicht einfach eine technische Verbesserung wie Turbo-Diesel und Drei-Wege-Katalysator. Die Autoindustrie hat sich plötzlich mit ganz neuen Paradigmen auseinanderzusetzen – und zwar sowohl auf technischer als auch auf wirtschaftlicher Ebene. Technisch gesehen muss das gesamte Fahrzeug komplett neu gedacht und konstruiert werden. Der klassische Aufbau – vorn Motor und Getriebe, hinten Tank und Kofferraum – steht genauso zur Disposition wie die Kutschendeichsel bei der Erfindung des Kraftfahrzeugs vor mehr als 120 Jahren. Für Autodesigner bedeutet das neue Freiheiten, aber auch neue Beschränkungen: Batterien etwa brauchen mehr Platz als ein Tank und gegebenenfalls sogar eine eigene Klimatisierung. Dafür benötigen Elektromotoren kein eigenes Abteil mehr, sondern können notfalls auch direkt in den Radnaben unterkommen. Und in den Autokonzernen ist keine Expertise mehr für die Feinheiten eines doppelt aufgeladenen Benzin-Direkteinspritzers gefragt, sondern Know-how in Sachen Batterietechnik und Elektrochemie.

Noch gravierender aber sind die wirtschaftlichen Folgen: Elektroautos werden Teil eines Systems sein, in dem plötzlich völlig neue Akteure mitspielen. Wie so etwas aussehen könnten, lässt sich am Projekt Better Place des israelischen Unternehmers Shai Agassi beobachten. In Kopenhagen hat Better Place im Juni die erste europäische Wechselstation eröffnet, in der leere Akkus in wenigen Minuten gegen volle getauscht werden können. Die langen Ladezeiten bei fest eingebauten Batterien entfallen dadurch. Better Place tritt als Provider auf, der seinen Kunden keine Hardware verkauft, sondern Mobilität – die Batterien bleiben in Besitz der Firma, abgerechnet wird nach gefahrenen Kilometern.

Denkbar ist auch, dass sich etwa Telekommunikationskonzerne oder Energieversorger mit ähnlichen Geschäftsmodellen vorwagen, also alle Mobilitätsbedürfnisse aus einer Hand befriedigen. Autoherstellern bliebe dabei nur die Rolle als Zulieferer, sie hätten keinen direkten Zugang zum Endkunden mehr. Um sich nicht die Butter vom Brot nehmen zu lassen, trachten deshalb auch die Autokonzerne danach, möglichst umfassende Angebote über das reine Fahrzeug hinaus zu machen. Opel etwa offeriert zu seinem Plug-in-Hybrid Ampera gemeinsam mit 28 Ökostrom-Anbietern einen Stromvertrag, der mindestens fünf Prozent günstiger sein soll als der Normaltarif des jeweiligen Lieferanten. Und Audi investiert gleich selbst in die Bereitstellung von Energie: Gemeinsam mit der SolarFuel GmbH errichtet die Volkswagen-Tochter eine Anlage, die aus überschüssigem Ökostrom Methan erzeugt. Das Synthesegas wird dann ins Erdgasnetz eingespeist und kann von entsprechend ausgerüsteten Autos getankt werden. Die Beispiele zeigen: Die Grenzen zwischen Energie- und Verkehrsbranche verschwimmen, und die Wertschöpfungskette wird neu aufgeteilt.

Auch für Kunden wird durch das Elektroauto einiges anders werden. Wer mit der Abschaffung seiner Benzinkutsche liebäugelt, sollte nicht darauf vertrauen, dass E-Mobile früher oder später diese Lücke eins zu eins füllen können. Ob es in absehbarer Zeit ein erschwingliches Elektroauto geben wird, das mit der gleichen Selbstverständlichkeit für eine Urlaubsreise mit Kind und Kegel genutzt werden kann wie für den täglichen Weg zur Arbeit, ist fraglich – trotz aller Fortschritte bei der Batterietechnik.

Doch vielleicht ist dieses elektrische Universalauto auch gar nicht nötig. Verkehrsforscher sehen die Beschränkung der Reichweite auch als Chance, den privaten mit dem öffentlichen Verkehr stärker zu vernetzen: "Das elektrische Auto ist für uns ein Werbemedium, um mehr Menschen in den öffentlichen Verkehr zu bringen", sagt Knie. Eine typische Autonutzung könnte dann so aussehen: Ein Angestellter pendelt mit einem geleasten Elektrowagen zum Arbeitsplatz, mietet sich für Familienausflüge ein Auto mit Verbrennungsmotor, nimmt für Geschäftsreisen die Bahn und leiht sich am Ziel wiederum ein E-Mobil eines Carsharing-Anbieters. Der Pkw wird so vom Besitzgegenstand zum Service, den man je nach Bedarf in Anspruch nimmt – und der öffentliche Verkehr zur Reichweitenverlängerung der E-Autos.