Die Masse macht's

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Braucht man da noch Banken und Venture Capital? Trotz ihrer durchwachsenen Erfahrungen mit klassischem Investment lautet Scheidels Antwort Ja. Der Grund ist einfach: Expansion. "Wir haben schon Anfragen aus dem Ausland. Um den Blumenabo-Versand wirklich groß aufzuziehen, brauchen wir größere Summen." Die kann Crowdfunding schlicht nicht bieten, jedenfalls nicht in Deutschland. Der Gesetzgeber hat hierzulande eine entscheidende Hürde installiert, die sprudelnde Crowdfunding-Millionen wie bei Pebble verhindert. Für Finanzierungen über 100000 Euro schreibt das Aufsichtsrecht die Erstellung eines Verkaufsprospekts vor, der über alle Risiken des Investments informiert und von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) geprüft wird. "Solch einen Prospekt zu erstellen und prüfen zu lassen, dauert in der Regel mehrere Wochen und kostet leicht einen fünfstelligen Betrag", sagt Jens-Uwe Sauer, Geschäftsführer von Seedmatch. Zeit und Geld, das viele Start-ups in einer frühen Phase einfach nicht haben. In den USA sind höhere Fördersummen kein Problem: Präsident Barack Obama hat die Hürden für Crowdfunding im April dieses Jahres eigens mit zwei neuen Gesetzen gelockert, dem Jobs Act und – darin enthalten – dem Crowdfunding Act. Bis zu einer Million Dollar können Start-ups nun über Crowdfunding-Plattformen mit Gewinnbeteiligungsmodell einsammeln.

Doch auch in Deutschland gibt es Bewegung: Neue Plattformen wie Bergfürst oder Best BC stehen in den Startlöchern und haben bei der BaFin Ausnahmegenehmigungen für Investments zwischen zwei und fünf Millionen Euro beantragt. Auch Seedmatch und Innovestment wollen künftig größere Projekte finanzieren und machen Druck beim Gesetzgeber, die finanzielle Grenze hochzusetzen.

Die sich rasant ändernden Rahmenbedingungen machen es schwierig, die weitere Entwicklung des Crowdfunding weltweit abzuschätzen. Ethan Mollick, Professor für Management an der amerikanischen University of Pennsylvania in Philadelphia, hat 50000 Kickstarter-Projekte analysiert. 90 Prozent der Projekte sind klein und bleiben unter 10000 Dollar, Ausreißer wie Pebble, die ein Vielfaches der angestrebten Summe einspielen, sind selten. "Es ist unklar, bis zu welchem Grad Crowdfunding bisherige Risikokapitalfinanzierungen ersetzen wird", resümiert der Forscher. In Deutschland spielt Crowdfunding jedenfalls noch eine geringe Rolle: Startnext, die größte Crowdfunding-Seite Deutschlands, kann erst 350 erfolgreiche Projekte mit einem Gesamtvolumen von 1,3 Millionen Euro vorweisen. Die restlichen deutschen Plattformen dümpeln eher vor sich hin oder haben schon wieder aufgegeben.

Der New Yorker Investor Fred Wilson, der in Twitter, Tumblr und Foursquare investiert hat, zeigt sich noch unentschlossen. "Viele der crowdgefundeten Projekte auf Kickstarter sind keine echten Unternehmen, sondern Projekte", sagt er. "Einige wenige von ihnen könnten zu Unternehmen werden – manche von ihnen mit der Unterstützung durch Risikokapital, andere bräuchten das vielleicht nicht, weil sie genug Geld auf Kickstarter akquiriert haben." Auch Bloomy-Days-Inhaberin Franziska Scheidel ist der Meinung, dass Crowdfunding gut ist "für eine frühe Phase einer Firma, um zu zeigen, dass eine Idee Bestand hat und praktisch umsetzbar ist". Danach allerdings gehe es nur mit "dem großen Geld" weiter. Die Schwarmfinanzierung füllt bislang also eine Lücke in einem Kapitalbereich, der für Risikokapitalgeber und Banken meist uninteressant ist. Doch längst nicht alle wollen mit dem Geld der Massen ein Unternehmen gründen, sondern einfach nur eine Idee umsetzen. So wie Van Bo Le-Mentzel.

Verändert Crowdfunding das Investitionsklima?

Noch mal Berlin, diesmal Kreuzberg. Der aus Laos stammende Van Bo Le-Mentzel sieht viel jünger aus, als er ist. Es mag an dem Enthusiasmus liegen, den der 35-Jährige ausstrahlt. Wenn er erzählt, merkt man, dass ihm Gedankenaustausch und Diskussionen mit anderen viel bedeuten. Die Crowd ist für ihn nicht nur Geld-, sondern auch Ideengeber. Le-Mentzel arbeitet eigentlich Vollzeit in einem Architektur- und Marketingbüro. In seiner Freizeit will er die Welt verbessern, wenigstens ein bisschen: "Konsumiere weniger, konstruiere mehr" lautet sein Motto. Seinem Projekt gab er den provokanten Namen "Hartz-IV-Möbel". "Jeder kann Möbel bauen und lebenswert wohnen", sagt er und wollte es beweisen. Er hat den 24-Euro-Stuhl entworfen, die 100-Sekunden-Lampe, den Neukölln-Tisch. Einfach zu bauen, aus günstigen Materialien, trotzdem hübsch und bequem. Die Baupläne wollte Le-Mentzel als Buch herausgeben. Um es zu finanzieren, war das Projekt drei Wochen auf Startnext ausgeschrieben. 5000 Euro wollte er, 15000 bekam er.

Selbermachen ist das Prinzip von Le-Mentzels Möbelprojekt, die Masse soll aktiv werden, da war es nur konsequent, das Projekt auch von ihr finanzieren zu lassen. "Crowdfunding ist die demokratischste Form des Investments", sagt der Designer. "Man braucht keine Beziehungen, keine Speichelleckerei mehr." Jeder kann seine Idee anbieten, und jeder kann in sie investieren. Die neue Demokratie verpflichtet die Firmengründer, ihrer Crowd alles offenzulegen und mit ihr zu kommunizieren. Für Investoren bedeutet diese Demokratie, dass sie an dem Projekt persönlich Anteil nehmen können. Wie weit das geht, ist un-terschiedlich. Bei Dankeschön-Plattformen wie Startnext liegt es im Ermessen des Projektgründers, bei gewinnorientierten Crowdfunding-Plattformen wie Seedmatch sind die Regeln klar: Investoren haben kein Mitspracherecht.

Für Le-Mentzel ist Crowdfunding Teil eines größeren Ganzen, einer neuen Selbstmach-Kultur, die mit Crowdsourcing – der kreativen Arbeit der Masse – und Crowdsharing – der gemeinsamen Nutzung von Dingen – weiteren Ausdruck findet. "Das ganze Buch wurde von den Leuten mitgestaltet", sagt er. Dieser neue Selbstmach-Zeitgeist scheint auch auf gewinnorientierte Plattformen auszustrahlen. "Natürlich geht es dem Mikroinvestor in erster Linie um die Rendite", sagt Seedmatch-Geschäftsführer Sauer. "Aber ihm ist auch der Unterstützergedanke sehr wichtig. Er identifiziert sich mit dem Projekt, kann – im Gegensatz zu Fonds – den Verwendungszweck seines Geldes direkt bestimmen." Crowdfunding macht Investment persönlicher. Aber ist es auch innovativ?