Die Masse macht's

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Stärkt Crowdfunding die Innovationskraft eines Landes?

Berlin, diesmal kein hipper Stadtteil, sondern ein etwas heruntergekommener Containerbau in Altglienicke. Mit S-Bahn und Bus braucht man vom Hauptbahnhof bis zu dem Büro von Lifeaction Games rund 50 Minuten. Michael Schiemann, 30, hält ein iPad über den Tisch. Auf dem Display ist der vollgestellte Schreibtisch zu sehen, zahlreiche Schriftdokumente, Aktenordner, ein Ventilator, ein Rechner. Als er das Tablet etwas weiter nach rechts bewegt, erscheint auf dem Display plötzlich eine Schatztruhe. "Hier würde der Spieler ein weiteres Rätsel finden und lösen müssen, um weiterzukommen", erzählt der Gründer und CEO von Lifeaction Games, einer Firma, die Rollenspiele in der realen Welt mit Augmented Reality verbindet. "Was wir entwickeln, ist eine Art Mischung aus Schnitzeljagd, Geocaching und digitalem Rollenspiel", sagt Schiemann. Die Spiele sollen in großen Städten als Event stattfinden. Risikokapitalgeber fanden seine Idee zwar interessant, entdeckten aber keine Expansionsmöglichkeiten und damit zu wenig Gewinnpotenzial. Seine Crowdfunding-Investoren sahen das ganz anders. Jetzt arbeitet er an dem ersten Event.

Pebbles, eine Uhr, die ein kleines Smartphone ist. Blumen im Abo. Billige Möbel. Digitale Schnitzeljagd. Wie innovativ können Ideen sein, die der Masse gefallen müssen? Steve Jobs wird bisweilen der Henry Ford unserer Zeit genannt. Ein Zitat, das dem genialen Autobauer zugeschrieben wird, und das Jobs gern zitierte, lautet: "Wenn ich die Leute gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt: ein schnelleres Pferd." Zu Fords Zeit konnte die Masse einem stinkenden, lauten und teuren Automobil nichts abgewinnen. 70 Jahre später hatten die Visionäre Jobs und Wozniak das gleiche Problem: "Wenn man 1976 hundert Leute auf der Straße gefragt hätte, ob sie einen Personal Computer haben wollen, hätten sie alle gefragt: ,Was soll das denn sein?'", erzählte Apple-Investor Mike Markkula 2011.

"Der Vorteil von Crowdfunding ist, dass viele gute Ideen in ihrer Frühphase nun eine Chance haben, die sie früher nicht gehabt hätten", sagt Franziska Scheidel. Insofern stärkt Crowdfunding die Innovation in der Breite. Aber: "Die Idee oder das Produkt muss massenkompatibel sein und von jedem sofort verstanden werden", sagt sie. Fällt Visionäres daher beim Crowdfunding durch den Rost?

Ethan Mollick glaubt, dass auch revolutionärere Ideen eine Chance haben: "Crowdfunding ist nicht die Lösung für das nächste Clean-Energy-Projekt. Aber es bringt einige kleinere Projekte hervor, die die Welt verändern könnten." Zudem habe Forschung gezeigt, "dass viele wichtige Innovationen von Produktnutzern kommen", so Mollick. "Daher denke ich, dass Crowdfunding einen großen Einfluss auf Innovation haben kann." Projekte müssten außerdem gar nicht der großen Masse gefallen, sondern lediglich einer Gruppe von Menschen, die "aufregende Innovationen erkennen können und die einen Bedarf sehen, wo andere keinen erkennen". Tatsächlich haben viele Kickstarter-Projekte in der Regel nur eine drei- bis vierstellige Anzahl von Investoren. Und im Gegensatz zu Fords Auto und Jobs' und Wozniaks Rechner befinden sie sich in einer frühen Phase und müssen nicht sofort einen Massenmarkt erobern. Ähnlich sieht das auch Eric von Hippel, Innovationsforscher am MIT und Autor des Buches "Democratizing Innovation": "Alles, was Innovation erleichtert, erhöht insgesamt den Innovationsgrad eines Landes."

Allerdings geht es bei Venture Capital auch nicht primär um die Innovation. Das Ziel ist in der Regel: möglichst viel Gewinn in möglichst kurzer Zeit. Und darüber entscheiden wenige Einzelpersonen mit viel Geld. "Zu viel Kapital ist in zu wenigen Händen", räumt sogar Großinvestor Fred Wilson selbstkritisch ein. Allerdings hat Venture Capital gegenüber Crowdfunding einen wichtigen Vorteil: Risikokapitalgeber investieren nicht nur Geld, sondern auch eine Menge Erfahrung und vermitteln den Firmengründern wertvolle Kontakte. So verdankten Steve Jobs und Steve Wozniak Mike Markkula auch seine Kontakte zu weiteren Investoren und sein Know-how, wie man den Heimcomputer in großen Stückzahlen vermarktet. Das war so entscheidend für den Start von Apple, dass Wozniak, der den Rechner baute, im Rückblick Markkulas Anteil am Erfolg der Firma höher einschätzte als seinen eigenen und den von Jobs.

Diese Expertise eines Großinvestors fehlt nun so manchem Projektgründer, der durch Crowdfunding über Nacht zu viel Kapital gekommen ist. Pebble-Gründer Eric Migicovsky hat zwar nun einen Haufen Geld, aber auch einen Haufen Probleme. Denn jedem seiner Unterstützer, der mehr als 99 Dollar spendete, hat er eine oder gar zwei Pebble-Uhren versprochen. 1000 Uhren wollte Migicovsky eigentlich nur bauen. Nun muss er 85000 liefern. Irgendwie. (jlu)