Die Wahrheit über Nanotechnologie

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Und noch eine Gruppe nähert sich stetig dem Nanokosmos: die Ingenieure. Seit bei Eastman Kodak 1935 ein Kunststofflack -- ein Photoresist -- erfunden wurde, der bei Lichteinfall aushärtet, haben sie die Photolithographie zu einem mächtigen Werkzeug für winzige Strukturen verfeinert. Belichtet man einen mit Photoresist überzogenen Siliziumblock durch eine Maske mit einem Muster, erhärtet sich der Photoresist überall dort, wo Licht auftrifft. Die unbelichteten Stellen lassen sich mit einem Lösungsmittel wegspülen, sodass dort Vertiefungen in den Block geätzt werden können -- die erste Vorstufe zu Schaltkreisen. In 20 bis 30 derartigen Schritten entstehen so heutige Mikroprozessoren, und auch die Zahnrädchen und Hebelchen der Mikrosystemtechnik werden mittels Photolithografie hergestellt. Nach den Gesetzen der Optik entspricht die "Minimum Feature Size", also die mit diesem Verfahren erreichbare kleinstmögliche Struktur, der halben Wellenlänge des verwendeten Lichts. Derzeit sind das 193 oder 157 Nanometer, was eine Strukturgröße bis hinab zu 80 Nanometern ermöglicht.

Mit dem optischen Trick der so genannten Phasenverschiebung sind sogar 50 Nanometer möglich. Noch kleiner geht es mit ultraviolettem Licht (EUV für englisch "Extreme Ultra Violet") von 11 bis 14 Nanometern Wellenlänge, das allerdings energiereicher und damit aufwendiger zu kontrollieren ist.

Es ist genau dieses Zusammentreffen verschiedener Disziplinen im Nanokosmos, das den eigenartigen Charakter der neuen Technik ausmacht. Am Anfang stand weder eine Idee wie etwa die Rechenmaschine, die die Informationstechnologie begründete, noch ein konkretes Produkt wie das Auto, um das herum eine ganze Industrie entstand. Es waren viele verschiedene Erfindungen und wissenschaftliche Entdeckungen im 20. Jahrhundert, die sich jetzt immer rasanter zu etwas ganz Neuem zusammenfügen: der womöglich grundlegenden Technologie des 21. Jahrhunderts überhaupt. Dass kein Forschungszweig sie für sich allein reklamieren kann, diese Erkenntnis setzt sich gerade erst durch. Deshalb behilft man sich auch mit einer pragmatischen Definition: Nanotechnologie ist die Gesamtheit aller technischen Verfahren, die Materiestrukturen von unter 100 Nanometern Ausdehnung nutzen oder herstellen. Heinrich Rohrer warnt allerdings davor, nur die Miniaturisierung zu betonen.

"Nanotechnologie bedeutet nicht kleiner, schneller, billiger. Nanotechnologie heißt: intelligenter, intelligenter, intelligenter." Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen. Mit Nanopartikeln lassen sich Tumore wie etwa das Glioblastom behandeln, die sich in schwer zugänglichen Regionen des Körpers wie dem Gehirn befinden. Das ist im vergangenen Jahr erstmals Forschern um Andreas Jordan an der Berliner Charité gelungen. Jordan nutzte hierzu superparamagnetische Teilchen, an denen organische Moleküle verankert werden, auf die nur die Tumorzellen anspringen. "Die Nanopartikel werden von den Tumorzellen in einer nie da gewesenen Geschwindigkeit zu Hunderttausenden aufgenommen", sagt Jordan. Setzt man die Teilchen einem magnetische Wechselfeld aus, beginnen sie zu oszillieren und so das Zellplasma auf über 45 Grad zu erwärmen -- nach einer halben Stunde ist die Zelle abgestorben. Die gesunden Zellen, die keine Nanomagneten aufgenommen haben, erwärmen sich hingegen nicht. Im Unterschied zu mikrometergroßen Körnchen verlieren solche Nanopartikel ihren magnetischen Charakter wieder, wenn das Feld abgeschaltet wird. Es bleibt also kein magnetisches Material im Körper zurück. Die Teilchen werden dann mit dem toten Gewebe vom Körper entsorgt und ausgeschieden. Die ersten klinischen Studien, die Jordan durchgeführt hat, sind ermutigend: Bei einem Patienten hat sich der Tumor bereits vollständig zurückgebildet.

Das zweite Beispiel: Unterschreiten Teilchen aus Halbleitern einen Durchmesser von 20 Nanometern, werden sie abrupt zu einer neuen Stoffklasse: den so genannten Quantenpunkten. Obgleich diese Nanopartikel immerhin noch aus hunderten bis zehntausenden Atomen bestehen, verhalten sie sich wie ein riesiges künstliches Atom. Regt man die Quantenpunkte chemisch oder mit Licht an, strahlen sie Photonen einer gewissen Wellenlänge ab. Die lässt sich nun verändern, indem man die Teilchengröße variiert. Firmen wie Evident Technologies aus Troy, New York, verkaufen sie deshalb inzwischen als Biomarker an Labore. Die "Evidots" bleichen im Gegensatz zu herkömmlichen fluoreszenten Farbstoffen auch nach stundenlangem Einsatz nicht aus.

Die Begeisterung über solche lupenreinen Nanoeffekte und die möglichen Anwendungen verstärken die derzeitige Goldgräberstimmung. Jedoch hält Matthias Werner, Unternehmensberater und einer der Autoren einer noch unveröffentlichten Nano-Studie für das Bundesforschungsministerium, die meisten Marktprognosen für zweifelhaft. "Bei Kohlenstoff- Nanotubes", so sagt er, "bekommen Sie natürlich enorme Wachstumsraten, weil der Markt von einem ganz niedrigen Niveau startet."

Die Wundermoleküle wurden 1991 von dem Japaner Sumio Iijima entdeckt. Wie sich herausstellte, können sie sowohl Halbleiter als auch Leiter sein, sie haben mit die höchste Wärmeleitfähigkeit überhaupt und sind fester als Stahl. Billig sind sie nicht: Mit durchschnittlich 180 Euro pro Gramm kosten sie mehr als 100-mal so viel wie herkömmliche Kohlenstofffasern. Auch die Größe künftiger Nanoproduktmärkte hält Werner für erklärungsbedürftig. "Nehmen wir transparente Sonnencreme, die nanokristallines Titandioxid enthält." Nur wenn man mit dem Wert des Endprodukts statt mit dem bloßen Materialwert der Nanokomponente rechne, kämen die "gigantischen Marktvolumina zu Stande". Inmitten der Billionen-Euphorie hebt sich der gerade erschienene Report "Nanotechnology: A Realistic Market Evaluation" des Marktforschungsunternehmens BCC wohltuend ab. BCC teilt den Nanomarkt in drei große Segmente ein: Nanowerkzeuge, Nanowerkstoffe und Nanosysteme. Zusammen, so die Studie, hatten die drei Teilmärkte 2003 ein Volumen von gut 7,5 Milliarden Dollar, bis 2008 soll es auf fast 29 Milliarden wachsen.

Da die physikalische Nanotechnologie mit dem Messen begonnen hat, ist das Werkzeugsegment recht weit entwickelt. Zu den beiden Klassikern sind inzwischen weitere Rastensondenmikroskope hinzugekommen. "Es gibt hier zwei wichtige Trends", sagt Roland Wiesendanger, der das Hamburger Kompetenzzentrum Nanoanalytik leitet. "Der eine ist der parallele Einsatz von vielen Sonden beim Rastern. Der andere ist, Effekte zu finden, mit denen man Bilder mit ganz neuen Kontrasten erzielen kann." Ein Beispiel dafür ist das von ihm entwickelte spinpolarisierte Rastertunnelmikroskop. Legt man ein Material mit mehreren magnetisch verschieden gepolten Flächen unter ein normales Gerät, bekommt man ein atomar scharfes Bild der Kristallstruktur. Von der Magnetstruktur sieht man jedoch nichts. Überzieht man aber die Mikroskopspitze mit einer magnetischen Schicht aus Mangan, kann man diese Struktur sichtbar machen. Die winzigen magnetischen Momente der Elektronen, Folge der quantenmechanischen Eigenschaft des Spins, verändern die Stärke des Tunnelstroms zwischen Manganspitze und Probe. Daraus lässt sich eine aufs Atom genaue Magnetisierungskarte der Oberfläche errechnen. Die Motivation dafür ist nicht nur Forscherdrang, sondern die Aussicht auf neue, dicht beschreibbare Computerspeicher. Selbst in den besten derzeit erhältlichen Festplatten ist ein Bit in der magnetisierten Beschichtung noch immer 200 Nanometer lang und 20 Nanometer breit. Nanotech für jedermann: Handliche, leicht zu bedienende Rastertunnelmikroskope gibt es inzwischen schon ab 7000 Euro Max Planck führt das Wirkungsquantum ein, das den Ausgangspunkt für die Quantentheorie bildet.